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Dr. Magnus Heier

© Stefan Braun

Keine Furcht vor einer Panikattacke : Wer sie zulässt, kann sie überwinden

Unangenehme Situationen können Menschen in Angst versetzen. Doch wenn man das aushält, lernt das Gehirn: keine Gefahr. Eine neue Kolumne „Im weißen Kittel“

Eine Kolumne von Dr. Magnus Heier

Osterurlaub in England: London hat die größten Theater, enge, lange und vollbesetzte Stuhlreihen – und lange Aufführungen. Es ist unangenehm, in der überfüllten Royal Albert Hall mindestens 15 Personen vom Gang entfernt auf einem engen Klappstuhl zu sitzen. Uns war mulmig, mindestens.

Für viele Menschen bleibt es nicht bei „mulmig“. Das Gefühl, einen überfüllten Raum nicht verlassen zu können (im Zug, im Kaufhaus, im Aufzug, im Tunnel) kann in eine Panikattacke umschlagen: in Todesangst mit Herzrasen, Schweißausbruch, Schwindel, Kribbeln und Atemnot. Die Ursache einer solchen Attacke können auch ganz andere Situationen sein, etwa Höhenangst oder die vor dem Erröten (!), Angst vor Spinnen oder auch nur davor, im Mittelpunkt zu stehen.

Nach einer durchlittenen Panikattacke kommt eine zweite Angst hinzu: davor, dass es wieder passieren könnte

Nach einer durchlittenen Panikattacke kommt eine zweite Angst hinzu: davor, dass es wieder passieren könnte. Und so meiden die Betroffenen, was im normalen Leben schwer zu meiden ist: Menschengruppen, Höhe, Enge oder Spinnen. Und schließen sich immer weiter aus der Welt aus. Ein klassischer Teufelskreis.

Der Ausbruch daraus ist zumindest theoretisch leicht. Eine Panikattacke ist nach zwanzig, spätestens dreißig Minuten „ausgebrannt“, vorbei. Auch wenn der Auslöser – die Spinne, die Menschen, die Höhe – noch da sind. Jetzt fühlt sich der Betroffene warm und geborgen statt kaltschweißig und todesängstlich. Und in diesem Moment lernt das Gehirn, dass die scheinbar unerträgliche Situation ganz unproblematisch ist. Die Spinne ist noch da, aber es ist egal. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es ist ein Genuss, die persönliche Angstsituation ohne Angst zu erleben!

Panikattacken zu behandeln, heißt nicht, die auslösenden Situationen zu meiden, sondern im Gegenteil: sich ihnen auszusetzen und die Attacke auszuhalten. Dem Gehirn die Chance zu geben, die Angst zu „verlernen“, zu überschreiben. So hat Goethe auf eigene Faust seine Höhenangst besiegt. Und so lassen sich Phobien behandeln – mit oder ohne Therapeuten. Eine entsprechende Verhaltenstherapie ist überaus erfolgreich – und es ist schwer erträglich, dass viele Patienten diese Behandlung nie bekommen!

Die Kolumne erscheint immer mittwochs. Alle bisher erschienen Folgen finden Sie auf der Kolumnenseite des Tagesspiegel.

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