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„Wir haben eine sehr geringe Nachfrage nach Impfungen“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

© dpa/Jörg Carstensen

Gegen Corona und Grippe: Mediziner rufen Risikogruppen zu Impfungen auf – Virologe rügt Maskenpflicht in Kliniken

Ärztevertreter beklagen eine geringe Nachfrage nach Auffrischungsspritzen. Dies sei problematisch. Erste Kliniken erhöhen die Schutzmaßnahmen. Streeck sieht das in Teilen kritisch.

Mit dem Herbst steigen wie erwartet die Zahlen der Neuinfektionen mit Atemwegserkrankungen. Dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge gab es bereits in der letzten Oktoberwoche 8500 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner in der Woche vom 23. bis 29. Oktober. Das war für diese Kalenderwoche der höchste Wert seit Beginn der Datenreihe im Jahr 2011 – und die Tendenz ist steigend.

Die Atemwegserkrankungen führten dem RKI zufolge in dieser Oktoberwoche zu 1,4 Millionen Arztbesuchen (1700 pro 100.000 Einwohner). Auch dies sei für diesen Zeitraum einer der höchsten Werte der vergangenen Jahre, so das RKI der Nachrichtenagentur dpa zufolge Ursache für die hohen Werte sind dem RKI neben den für die Jahreszeit typischen Erkältungen sowie Grippe auch die seit Anfang Juli „kontinuierlich steigende Zahl“ von Corona-Infektionen

Bereits Anfang des Monats hatte der Hausärzteverband eine deutlich zu geringe Nachfrage nach Auffrischungsimpfungen gegen das Coronavirus beklagt. Nun ruft auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ältere Menschen und andere vulnerable Gruppen zur Impfung gegen das Coronavirus und die Grippe aufgerufen.

Viele Leute sind verständlicherweise des Impfens überdrüssig. Für Risikogruppen ist das aber problematisch.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)

„Wir haben eine sehr geringe Nachfrage nach Impfungen“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV der „Welt am Sonntag“ („WamS“). „Angesichts des enormen öffentlichen Drucks in der Vergangenheit, sich gegen Corona impfen zu lassen, mag das vielleicht nicht verwundern. Viele Leute sind verständlicherweise des Impfens überdrüssig. Für Risikogruppen ist das aber problematisch.“

Doch besonders die Risikogruppen sollten der Impfempfehlung nachkommen, um sich zu schützen – auch gegen Influenza. „Corona und Grippe darf niemand auf die leichte Schulter nehmen, gerade auf dem Höhepunkt von Infektionswellen wie zurzeit“. Auch könnten Impfungen kombiniert werden: „Linker Arm Grippe, rechter Arm Corona“, so Gassen.

Dem Impfquotenmonitoring des RKI zufolge haben erst 2,6 Millionen Menschen in Deutschland eine dritte oder mehr Corona-Auffrischungsimpfungen erhalten.

Markus Beier, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, sagte der Zeitung: „Es ist immer wieder wichtig zu betonen: Für besonders gefährdete Gruppen ohne einen entsprechenden Impfschutz kann Corona nach wie vor eine schwere Erkrankung sein.“ Das Gleiche gelte für die Grippe. „In einer besonders heftigen Grippesaison sterben bekanntlich zig Tausende Menschen an dieser Erkrankung.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft appellierte: „Wer unter die Stiko-Empfehlung fällt, sollte sich gegen Covid impfen lassen. Das ist der beste Schutz vor eigener schwerer Erkrankung und vor Überlastung der Krankenhäuser“, so der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß.

Aktuell sei die Situation in den Kliniken stabil. „Die Zahl der Corona-Patientinnen und -patienten bewegt sich auf einem niedrigen Niveau, auch wenn die Kliniken mit Beginn der kalten Jahreszeit wieder mehr Fälle melden“, sagte Gaß.

Wie die „WamS“ weiter berichtet, verhängen wegen der steigenden Corona-Infektionen bereits immer mehr Kliniken wieder eine Maskenpflicht. Am Universitätsklinikum Tübingen etwa gelte seit Montag eine Maskenpflicht für Besucher, ambulante Patienten und Mitarbeiter im direkten Patientenkontakt.

Auch die Uniklinik am Standort Marburg schreibe allen Patienten und Besuchern eine Maskenpflicht vor. Zusätzlich würden die Besuchsmöglichkeiten beschränkt: Jeder Patient könne pro Tag nur noch von einer Person für eine Stunde besucht werden.

Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, gehen die Beschränkungen zu weit. Eine kurzzeitige Maskenpflicht für Risikobereiche, etwa die Krebsstation, könne zwar sinnvoll sein. „Es ist allerdings fraglich, ob pauschal für die gesamte Klinik eine Maskenpflicht verhängt werden sollte“, sagte Streeck dem Blatt. Auch die Beschränkungen bei Besuchszeiten seien nicht mehr angemessen. 

„Menschen bekommen schwere Diagnosen, haben Angst, brauchen Kontakt zu Angehörigen. Dass es dann nicht mehr möglich sein soll, dass vormittags die Schwester kommt und nachmittags der Sohn, ist nicht verhältnismäßig“, so Streeck.

Krankenhäuser dürften psychologische Aspekte nicht vernachlässigen. „Es geht nicht mehr nur darum, jede Infektion zu verhindern, sondern um die Würde des Menschen.“ (lem)

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