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Ansicht des nächtlichen Grandhotel Pupp.

© Jan_Maly

Unsere Hotelkolumne für Karlovy Vary: Eine Nacht im Grandhotel Pupp

Hätte dieses Haus eine Seele, müsste sie schizophren sein. Fürsten, Filmstars, Funktionäre schliefen unter seinem Dach. Von einem Hotel, das Kommunisten wie Kapitalisten in seinen Bann zog.

Der Größenwahnsinn dieses Hauses beginnt ganz unten, auf dem Pflaster der Tatsachen. Vor dem Eingang des Grandhotel Pupp in Karlovy Vary sind goldene Erinnerungssteine in die Auffahrt eingelassen. Sie erinnern an illustre Gäste. So liegen dort in gewöhnungsbedürftiger Eintracht nebeneinander: Sharon Stone, Franz Kafka und Karl Marx. Glamour trifft Hochkultur plus Umsturzfantasien. Das ist in Kurzform die Geschichte dieses Betriebs: gaga und göttlich.

Und so lässt sich auch die Aura des Hotels beschreiben. Seit 1701 stand auf demselben Boden und in diversen Inkarnationen ein Gastwirtschaft- und Übernachtungsunternehmen. Goethe und Beethoven sollen sich in den Räumen aufgehalten haben, Grafen, Maharadschas und Sultane mieteten sich ein, der James-Bond-Film „Casino Royale“ wurde vor Ort gedreht, und Regisseur Wes Anderson dachte bei seinem „Grand Budapest Hotel“ unter anderem an diesen weißen Kasten in Nordböhmen.  

228 Zimmer beherbergt der schneeweiße Komplex, vier Etagen hoch schlängelt er sich am Fluss entlang. Lange Flure verbinden die Bar, den Festsaal mit einer theatertauglichen Bühne, das Restaurant mit dem spektakulären Lüster und die mächtigen Treppenaufgänge, in denen auch Elefanten Platz hätten. Überall hängen Bilder von ehemaligen Gästen. Morgan Freeman, Scarlett Johansson, Johnny Depp.

Kann der profane Aufenthalt diesem sagenhaften Mythos gerecht werden? Geht das überhaupt? Wie schläft es sich unter dem Dach, das Adligen, Schauspielern und dem Politbüro Obhut gab, das Dekadenz und Kunstfertigkeit vereinte wie kaum ein anderes Haus in Tschechien? Hätte dieses Haus eine Seele, müsste sie schizophren sein – so die Vermutung. Wie sonst hält es das aus, eine Reflektionsfläche von so vielen Histörchen zu sein?

Blick auf den Talkessel mit der Altstadt von Karlovy Vary.
Blick auf den Talkessel mit der Altstadt von Karlovy Vary.

© Ladislav Renner

Zur Verteidigung des Grandhotel muss man sagen, dass die gesamte Geschichte des Ortes ein bisschen irre ist. In der Mitte des 14. Jahrhunderts verbrühen sich der Legende nach die Hunde des Kaisers Karl IV., als sie einem Hirsch nachstellen und in eine sprudelnd heiße Quelle springen. Der Herrscher ist elektrisiert von so viel Naturgewalt. An selbiger Stelle lässt er ein Schloss errichten, und drumherum entsteht ein rudimentärer Kurbetrieb.

Damals glaubte man noch, stundenlange Bäder, in denen die Haut aufriss, würden den Körper heilen. Kein Schmerz, kein Gewinn. Wochenlang durchlitten die Damen und Herren Durchlauchten diese Kuren. Im Stadtmuseum Karlovy Vary, fünf Minuten zu Fuß vom Hotel entfernt, wird der Bericht eines begleitenden Arztes von 1571 wie folgt zitiert: „Lieber Gott, danke dir, dass wir die Karlsbad-Kuren überlebt haben.“

Warmes Wasser, heiße Feste. Sachsens Vergnügungsherrscher August, der Starke schaut im frühen 18. Jahrhundert vorbei – just an der Stelle, an der sich heute das Pupp befindet und damals eine Art Gastzeltwirtschaft – und erwählt das Kaff alsbald zur Partyhochburg. Der deutsch-österreichische Hochadel folgt seinem Ruf, Zar Peter I. kehrt 1711 ein und erobert die Herzen im Sturm. Nun kommen auch die Russen zwischen April und Oktober in das ansonsten verschlafene Tal.   

Die Häuser werden mondäner, die Hotels schicker. Nach einem verheerenden Hochwasser 1890 – am Café Elefant erinnert bis heute eine goldene Wassermarkierung an der Fassade daran – entscheiden sich die Pupp-Brüder für eine radikale Renovierung: Sie reißen alle bisherigen Gebäude ab und bauen ein komplett neues Haus. Aus ganz Europa und Übersee treffen nun Gäste ein, um Kur und Kür zu erleben. Moorbäder und Champagnerfeste, so herrlich dekadent kann man nur in Karlsbad – so der deutsche Name – feiern.

Dem steilen Aufstieg folgt der tiefe Fall. Die Nationalsozialisten bereiten der Dekadenz ein Ende, was vom Glanz noch bleibt, schleifen die Sowjets und ihre Marionettenregierungen nach dem Zweiten Weltkrieg ab. Das Hotel heißt bis 1989 Moskau, was den Einheimischen nur zähneknirschend aus dem Mund rollt.

Die Mühlenkolonnade gehört zu den schönsten Heilstätten der Stadt.
Die Mühlenkolonnade gehört zu den schönsten Heilstätten der Stadt.

© Ladislav Renner

Und heute? Karlovy Vary im Winter 2023 ist ein ungewollter Kriegsverlierer. Viele reiche Russen besitzen Immobilien in der Stadt oder haben hier wochenlange Heilpläne erduldet, sich in Kurkliniken eingebucht und in Boutiquen ausgestattet. Diese Klientel fehlt, in manchen Geschäften stehen sich die Besitzer die Beine in den Bauch, das Sicherheitspersonal in den Uhrenläden schläft beinahe an der Tür ein, und an einigen Häusern hängen Banner wie im Winterschlussverkauf: „Byty na prodej.“ Zu verkaufen! Auch vom Fenster des Pupp sieht man diese unbeleuchteten Gebäude mit Spruchbändern.

„Das sind die Häuser von den Russen“, sagt Stadtführer Bruno Fisher, 75 Jahre, pensionierter Ingenieur, gebürtiger Karlsbader mit deutschen Wurzeln. Er zeigt auf einen ganzen Komplex am Theaterplatz, gleich neben dem ockerfarbenen Historismusbau der berühmten Wiener Architekten Fellner und Helmer, die zwischen 1870 und 1910 schlappe 48 Theater entworfen haben.

Der Eingang des Pupp.
Der Eingang des Pupp.

© Jan Maly

In den Gebäuden der Russen wohne gerade niemand, nun könnten die Karlsbader ein Schnäppchen machen. 240 Immobilien seien angeblich auf dem Markt, meint der Stadtführer gehört zu haben. „Aber was sollen wir da?“, fragt Fisher. Kein Supermarkt in der Nähe, kein Spielplatz, kaum ein Parkplatz. Die Menschen von Karlovy Vary wohnen nicht im Zentrum, das ist für Touristen reserviert.

In der Lobby des Hotels ahnt man schon: Die Zeiten des üppigen Glamours sind im Winter fern. Rentnerpaare aus Sachsen, tschechische Pärchen und wenige Engländer flanieren durch die Flure. Jeans, Pullover, Jogginghosen dominieren, auch wenn für das hauseigene Restaurant der Dresscode „smart casual“ gilt. Der Luxus ist bezahlbar geworden, bereits für 120 Euro könnte man ein Zimmer in der untersten Kategorie bekommen, in einem Schweizer oder österreichischen Grandhotel reichte der Preis gerade für einen Hocker am Katzentisch.  

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Dafür ist das Betragen von Ludek, dem Oberkellner, von ausgesprochener Feinsinnigkeit. Der kleine Mann in schwarz-weißer Uniform raunt mit angenehmer Stimme und auf Deutsch: „Dort hat James Bond gesessen.“ Er zeigt auf den gegenüberliegenden Platz am Tisch – und kurz läuft im Kopf ein Film ab. Daniel Craig als schneidiger Geheimagent, der im Restaurant seine Geliebte Vesper Lund trifft, verkörpert von Eva Green. Kleiner Schönheitsfehler im Programm: Das Casino Royale samt Hotel befand sich laut Drehbuch in Montenegro, nicht im schönen Karlsbad.

Ludek ist voll des Lobes, wenn er über Daniel Bond Craig spricht. So ein bescheidener Mensch, habe sich stets mit dem Personal betrunken und sei am nächsten Tag mit einem jungen Kollegen zum Sportstudio gefahren. Mit einem Skoda Fabia! Einem Kleinwagen! Ludek lächelt. Knödel in Sahnesoße? Und hat überhaupt schon jemand erwähnt, dass es eine hauseigene Torte gibt, die im Hotel-Café serviert wird: die Pupp-Torte mit viel Aprikosenmarmelade? Man versteht schon, warum die tschechische Kaloriendiät dem figurbewussten Schauspieler in die Quere kam.

Ein Blick in die Präsidentensuite des Pupp.
Ein Blick in die Präsidentensuite des Pupp.

© Jan Malý

Oben auf dem Zimmer, in der vierten Etage, das Fenster halb geöffnet, weht der kühle Wind hinein. Es ist ruhig, nein, mucksmäuschenstill. Würde auf dem Bürgersteig jemand gehen, man könnte das Klickklack der Absätze ganz deutlich hören. Indes: niente, nothing, nada.

Nichts lenkt ab von der Betrachtung des geräumigen Zimmers. Das Badezimmer könnte etwas moderner sein, das Schlafzimmer mit dem großen Kastenbett etwas heiterer. Dunkle Teppiche liegen auf dem Boden, ein schwarz-weiß-graues Tapetenmuster gibt dem Raum ein gewisses Wald-im-Herbst-Gefühl. Wenn sich der silbrig-schimmernde Vorhang schließt, wähnt man sich in einem behaglichen Schmuckkästchen.

Der Schlaf, er kommt rasch über einen. In den Träumen kämpfen Agenten und Fürsten miteinander, Peter I. rennt einen Berg hinauf, und Goethe guckt mal wieder den Damen hinterher. Das Grandhotel Pupp hat große Tage hinter sich – nun legt es Winterschlaf ein. Bis zum Sommer spätestens, wenn die Filmstars kommen und das hiesige Festival beehren. Unten vor dem Eingang ist noch Platz für neue Gedenksteine.  

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