zum Hauptinhalt
Frauen, Empfindungen und die Konflikte des Einzelnen in und mit der Gesellschaft waren die großen Themen der 1923 in Berlin geborenen Schriftstellerin.

© picture-alliance / dpa / Heinz_Wieseler

Erinnerungen an Ingeborg Drewitz: Für uns war sie eine Heldin

Unser Autor hatte als Schüler das Glück, bei Ingeborg Drewitz Tee trinken zu dürfen – und seinen ersten Artikel über sie zuschreiben.

Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Ein Reihenendhaus, um 1930 gebaut, moderat-konservative Moderne, nett geteilte, weiß gestrichene Fenster, einige Stufen geht es hinauf zum Eingang, eine Bank steht vor der Wand. Quermatenweg 176. Eine Gedenktafel aus KPM-Porzellan erinnert preußischblau auf weiß: „In diesem Haus lebte und arbeitete von 1946 bis zu ihrem Tode die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz.“

Sie hätte sich darüber amüsiert: Der Senat und Berlin stützen eine chronisch finanzschwache Firma, indem sie an eine chronisch senats- und berlinkritische Dichterin erinnern. Kurze Haare, dunkle Augen, großer Mund

Irgendwie skandinavisch

Zu Schulzeiten waren wir bei ihr eingeladen, es muss während ihres größten Ruhms gewesen sein, Anfang der 1980er-Jahre. Kurze, praktisch gewellte Haare, sehr dunkle Augen, sehr großer Mund. Und ständig redend. Wir saßen in der Küche beim Tee. Kräutertee in meiner Erinnerung, die Küche ganz hell und freundlich, leicht möbliert, aber mit viel Kram. Irgendwie skandinavisch.

„Die Drewitz“ war für uns Oberschüler schon deswegen eine Heldin, weil sie als Frau aneckte – man kann sich das West-Berlin jener Jahre unmöglich zu populistisch-männerbündelnd vorstellen.

Symbol einer neuen Wohnungspolitik

In Parteiclubs, Kleingarten- und Akademiebars sowie Zehlendorfer Parties entschieden die Bonzen der SPD, CDU und FDP, die Bauunternehmer, Genossenschaftschefs und Architekten an aller Demokratie vorbei das Schicksal der Stadt. Die Drewitz dagegen setzte sich als Patin eines besetzten Hauses für eine grundsätzlich neue Wohnungs- und Städtebaupolitik ein.

Bülowstraße 89 hieß die Adresse. Der erzreaktionäre Innensenator Heinrich Lummer ließ auch dieses Haus räumen. Das Berliner Bürgertum war entsetzt: Wie kann die PEN-Vize sich gemein machen mit Chaoten, linken Spinnern, Asozialen, Kommunistensäuen?

Hochpolitisch und sehr radikal

Immerhin: „Gestern war heute“ war Schullesestoff. Und West-Berlin war eben auch hochpolitisch und wir alle sehr radikal. Drewitz dagegen schien mit jedem sprechen zu wollen. Und alle ausfragen zu wollen. Daraus entstehe Literatur, sagte sie. Hinter ihr die wunderschön Bücherregale. Ein Kunstwerk. „Gestern war heute“ liest sich übrigens immer noch toll.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false