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Debatte um Sanktionen: „Russland hat die Krim illegal annektiert“

Der Osteuropahistoriker Jan Behrends über die Russland-Sanktionen und die Geschichte der SPD-Ostpolitik.

Herr Behrends, Brandenburgs Europaministerin Katrin Lange hat die Russland-Sanktionen der EU als wirkungslos bezeichnet und gefragt: „Welchen Sinn macht das noch?“. Darf ich diese Frage an Sie weitergeben?

Gern. Ich würde Frau Lange widersprechen. Die wirtschaftlichen Sanktionen sind ein wichtiges politisches Signal, das Europa den kontinuierlichen Bruch des Völkerrechts durch Russland in der Ukraine nicht hinnimmt. Außerdem wurden einzelne russische Politiker, die beispielswiese an der illegalen Besatzung der Krim beteiligt waren, persönlich sanktioniert. Es besteht ein parteiübergreifender Konsens – mit Ausnahme der Linken und der AfD, dass diese Sanktionen des Westens erst zurückgenommen werden, wenn die russische Aggression endet. Übrigens sind auch die SPD-Außenpolitiker im Bundestag für die Beibehaltung der Sanktionen. 

Auch der ehemalige Ministerpräsident Matthias Platzeck fordert ein Ende der Sanktionen und eine „neue Ostpolitik“. Damit bezieht er sich auf die sozialdemokratische Außenpolitik im Kalten Krieg. Sie haben 2016 in der SPD-Zeitung „Vorwärts“ geschrieben: „Ostpolitik ist keine Russlandpolitik.“ Was ist heute anders als im Kalten Krieg? 

Im Kalten Krieg war Moskau der wichtigste Ansprechpartner in Osteuropa. Der Kreml dominierte den gesamten Raum. Auch der Schlüssel zur deutschen Einheit lag in Moskau. Das hat sich nach 1989 geändert. Osteuropa ist nun eine Region mit zahlreichen souveränen Staaten, die ihre eigenen Interessen vertreten – oft sehr unterschiedliche Interessen. Osteuropa ist kein imperial beherrschter Raum mehr, sondern eine Region freier Staaten – so wie der Westen des Kontinents. Das macht die Ostpolitik vielschichtiger. 

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Willy Brandt und der sozialliberalen Regierung gelang Anfang der 1970er Jahre eine Entspannung in der Ost-West-Blockkonfrontation. In den Ostverträgen der BRD mit Polen und der Sowjetunion verpflichteten sich die Staaten unter anderem zum Gewaltverzicht und zur gegenseitigen Anerkennung der Grenzen. Ist das nicht ein sinnvolles Vorbild für eine besonnene Außenpolitik? 

Durch die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen in den Ostverträgen hat die Regierung Willy Brandts die deutsche Einheit in Freiheit erst möglich gemacht. So wurde neues Vertrauen aufgebaut. Heute ist es Russland und nicht Deutschland, das Grenzen nicht anerkennt und mit Gewalt gegen seine Nachbarn vorgeht. Ziel europäischer Ostpolitik sollte es deshalb sein, den russischen Einfluss einzudämmen, die Sicherheit unserer Verbündeten zu gewährleisten und die Integrität der Ukraine wiederherzustellen. Mit einer anderen russischen Regierung wird dann zukünftig sicher auch wieder eine sinnvolle Partnerschaft möglich sein. 

In den 1980er Jahren bemühten sich SPD-Politiker aus der Opposition heraus um „Sicherheitspartnerschaften“ in den Ostblock. Was unterscheidet diese Phase der „Ostpolitik“ von den Jahren der Brandt-Regierung? 

In den 1980er Jahren geriet die Ostpolitik in eine ernste Krise. Der versprochene „Wandel durch Annäherung“ hatte nur auf der Regierungsebene stattgefunden. In ihrem Inneren blieben die Regime von der DDR über Polen bis hin zur UdSSR außerordentlich repressiv. Ein Streitpunkt war in der Bundesrepublik, ob man Bewegungen wie die polnische Solidarnosc unterstützen sollte oder ob die Stabilität der Beziehungen zu den kommunistischen Regierungen wichtiger war. Sicher wurde damals der Kontakt zu Oppositionellen in Osteuropa stark vernachlässigt. 

Bei einem Bootsausflug zeigte 1971 der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew (l) dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (Mitte, SPD)  und dem Staatssekretär Egon Bahr (SPD) die Krim.
Bei einem Bootsausflug zeigte 1971 der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew (l) dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (Mitte, SPD)  und dem Staatssekretär Egon Bahr (SPD) die Krim.

© picture alliance / dpa

Russlands Botschafter Sergej Netschajew schrieb kürzlich in einem PNN-Gastbeitrag „Die Krim war und bleibt russisch“. Seit der Annexion 2014 behaupten deren Befürworter, 1954 habe der damalige sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow die Krim an die Ukraine „verschenkt“. Was ist dran und wie russisch ist die Krim?

Die Krim ist 2014 illegal von Russland militärisch besetzt und dann annektiert worden. Wie die gesamte Ukraine war auch diese Halbinsel multiethnisch geprägt – sie wurde von zahlreichen verschiedenen Völkern wie Griechen, Armenier, Ukrainern, Russen und Deutschen bewohnt. Lange Zeit war ein Großteil der Einwohner muslimische Tataren, bis sie 1944 unter Stalin aus ihrer Heimat deportiert wurden. Tatsächlich hat Chruschtschow die Krim 1954 in die ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert. Diese Entscheidung hatte, so weit man weiß, geographische und infrastrukturelle Gründe. Im Rahmen der ukrainischen Republik sollte der Wiederaufbau nach dem Krieg schneller gelingen. Nach dem Ende der Sowjetunion hat Russland dann in mehreren Verträgen die Krim als Teil der Ukraine ausdrücklich anerkannt. Seit der Annexion werden die Krimtartaren, die unter Gorbatschow zurückkehren durften, von den russischen Besatzern drangsaliert. 

Welche Bedeutung hat der Konflikt mit dem Westen für Putin und sein Regime?

Seit den Protesten von 2011, die sich gegen Putins Rückkehr in den Kreml richteten, und besonders seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine legitimiert sich Putins Regime primär durch den Konflikt mit dem Westen. Die repressive Politik im Inneren wird – ähnlich wie in der sowjetischen Zeit – damit begründet, dass Russland eine „belagerte Festung“ sei. Tatsächlich hat der Kreml insbesondere Angst vor demokratischen Einflüssen auf die russische Gesellschaft und versucht das Land deshalb erneut abzuschotten. Letztlich geht es um den Machterhalt für Putin und seine Entourage. 

Katrin Lange machte ihre umstrittenen Aussagen am 8. Mai, anlässlich des Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs. Die geschichtliche Verantwortung Deutschlands wird häufig als Argument für eine Annäherung an Putins Russland bemüht. Seltener ist von der Ukraine die Rede, obwohl das Land ein Hauptschauplatz von Völkermord und Kriegsverbrechen war. Welche historische Verantwortung hat die deutsche Außenpolitik aus Ihrer Sicht gegenüber den Ukrainern? 

Deutschlands historische Verantwortung für die Verbrechen der Nationalsozialisten ist unbestritten. Aber sie gilt nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber Polen und dem Baltikum, unseren engen Verbündeten in der Region und gegenüber der Ukraine, die besonders unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten hat. Außerdem lässt sich historische Schuld nicht gegenüber der Verantwortung Deutschlands für unsere Gegenwart aufrechnen. Das Erbe von 1989 ist es, für ein Europa der freien Nationen einzutreten, die als Grundlage des Friedens die Souveränität der anderen Völker anerkennen. 

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