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Zur Krankheit kommt die Unsicherheit. In Brandenburg wurden nun zwar elf Krebspatienten identifiziert, denen mutmaßlich aus griechischen Krankenhäusern gestohlene Arznei verabreicht wurde. Ob diese darüber in Kenntnis gesetzt wurden und ob die Medikamente voll wirksam waren, ist unklar. 

© Matthias Balk/dpa

Aufklärung im Pharmaskandal: Betroffene Patienten identifiziert

Im Pharmaskandal hat Brandenburg bislang elf Krebspatienten identifiziert, die illegal gehandelte Arznei von Lunapharm enthielten. Bei der Suche nach Betroffenen ließen sich die Landesbehörden viel Zeit. Anderes galt als wichtiger.  

Potsdam - Bei der Aufklärung des Pharmaskandals um illegal gehandelte Krebsmedikamente standen die Patienten für die Brandenburger Behörden nicht an erster Stelle. Erst vergangene Woche – sieben Wochen nach dem Bekanntwerden des Skandals durch einen Fernsehbeitrag des Magazins „Kontraste“ – wurde begonnen, Patienten ausfindig zu machen, die gestohlene, womöglich unwirksame Krebsmedikamente verabreicht bekamen, geliefert vom Pharmahändler Lunapharm in Mahlow (Teltow-Fläming).

Acht Apotheken beliefert

Nach derzeitigem Stand wurden in Brandenburg acht Apotheken mit illegalen Chargen beliefert, elf Patienten seien identifiziert, wie der Präsident des für die Arzneimittelaufsicht zuständigen Landesamtes für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG), Detlev Mohr, am Mittwoch im Fachausschuss des Potsdamer Landtags mitteilte. Ob die Betroffenen nun überhaupt wissen, dass sie Betroffene sind, ist unklar. Die Aufklärung der Patienten obliege den behandelnden Ärzten, so Mohr. Ob diese das Gespräch mit den Krebskranken suchen, entziehe sich seiner Kenntnis.

Gesundheitsamt ist überlastet

Dass Brandenburg – anders als Berlin und andere Länder – so spät mit der Patientensuche begann und erst jetzt Zahlen nennt, begründet Mohr mit einer Überlastung seiner Behörde. „Wir mussten Prioritäten setzen“, so der Präsident. Diese lagen demnach nicht bei den Patienten. Brandenburg habe bei der Aufklärung des Skandals eine besondere Situation, da der betroffene Händler in Brandenburg sitze, verteidigte sich Mohr gegen Nachfragen von Abgeordneten. „Ich verstehe, dass Sie sich wünschen, dass es schneller geht. Aber alle Bundesländer melden sich hier“, sagte Mohr, der anders als Diana Golze (Linke), die vergangene Woche ihren Rücktritt als Gesundheitsministerin erklärte, immer noch im Amt ist – obwohl er eineinhalb Jahre lang trotz Hinweisen aus seinem Haus zu Lunapharm die Dimension des Falls nicht erkannte.

Berlin spricht von 220 Betroffenen

Zunächst hätten Anfragen anderer Behörden abgearbeitet werden müssen, sagte Mohr nun zur aktuellen Aufklärungsarbeit. Vergangene Woche schließlich hätten Mitarbeiter des Landesamtes die Apotheken aufgesucht, die laut Versandlisten Praxen mit den inzwischen zurückgerufenen Medikamenten belieferten. Diese wiederum informierten die Ärzte. Die Berliner Gesundheitsverwaltung hatte bereits Mitte August mitteilt, dass in Berlin und Brandenburg 220 Patienten die Mittel bekommen hätten. Noch gebe es nicht von allen Brandenburger Apotheken Rückmeldungen, aber er rechne nicht mit einem „sprunghaften Anstieg“ der Betroffenenzahl, so der Chef des Brandenburger Gesundheitsamtes. Diese werde sich seiner Schätzung nach bei etwa 20 einpegeln.

172 Ordner müssen gesichtet werden

Gleichzeitig erklärte Mohr aber, dass das „erkennbare Ausmaß“ des illegalen Arzneimittelhandels „von Tag zu Tag und von Woche zu Woche“ wachse. Oder vielmehr die Erkenntnisse darüber, die nun auch die Landesbehörde gewinnt. Bei Lunapharm seien 172 Ordner mit Dokumenten – Lieferlisten etwa – beschlagnahmt worden. Ausgewertet sind bislang die Jahre 2015 bis 2018. Der Handel lief seit 2013. Inzwischen sei klar, dass Lunapharm nicht nur von einer griechischen Apotheke, sondern auch von weiteren Unternehmen beliefert wurde, die im Verdacht stehen, mit gestohlener Arznei gehandelt zu haben. Eine Spur führe nach Zypern, eine anderen nach Italien, so Mohr. Dass im Pharmaskandal auch Spuren zur italienischen Mafia führen, hatten die PNN bereits Anfang August berichtet.

Wirksamkeit weiter unklar

Ob die Medikamente in ihrer Wirksamkeit herabgesetzt waren, lässt sich noch immer nicht beantworten. Bislang liegen laut Mohr die Ergebnisse von 21 der 31 getesteten Rückstellproben vor. Dabei seien keine Mängel festgestellt worden. Was nur bedingte Aussagekraft hat, weil davon auszugehen ist, dass die Firma unbedenkliche Muster für Kontrollen zurückbehielt. Nicht bekannt ist auch, was Stresstests von Medikamentenherstellern ergaben. Dabei sollte untersucht werden, ob die hochsensiblen Medikamente etwa durch unzureichende Kühlung beim Transport Schaden nehmen. Die Ergebnisse unterlägen aber dem Betriebsgeheimnis, so Mohr, sodass er dazu keine Auskunft geben könne.

Arzneimittelaufsicht bekommt mehr Personal

Eine erste Konsequenz aus dem Skandal: Noch in diesem Jahr sollen zwölf neue Stellen für die Arzneimittelaufsicht geschaffen werden, wie Interims-Minister Stefan Ludwig (Linke) im Ausschuss ankündigte. Finanzminister Christian Görke (Linke) wolle am heutigen Donnerstag einen entsprechenden Antrag im Finanzausschuss einbringen. Man wolle nicht den Doppelhaushalt abwarten. Zudem soll die vor Jahren abgeschaffte Innenrevision im Landesamt wieder eingeführt werden. Ludwig folgt damit Empfehlungen, die die noch von Diana Golze eingesetzte Experten-Task-Force vergangene Wochen in ihrem Bericht machte.

Für die Umsetzung anderer Anregungen – etwa den Umzug des Landesamtes von Wünsdorf (Teltow-Fläming) nach Potsdam – brauche man mehr Bedenk- und gegebenenfalls Umsetzungszeit. „Das Patientenwohl steht für uns im Vordergrund“, betonte Ludwig. Angesichts der Reihenfolge der Aufklärungsabarbeitung eine bemerkenswerte Aussage.

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