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Martin und Karoline aus Polen wollten über Singapur nach Phuket in Thailand in den Urlaub fliegen. Daraus wurde erstmal nichts.

© dpa / Christoph Soeder

Update

Warnstreik am Flughafen BER: Betreiber rechnen mit hohem Passagieraufkommen am Donnerstag

Das streikende Personal des Flughafens Berlin-Brandenburg versammelt sich seit dem Morgen am Terminalgebäude. Vor allem internationale Reisende sind am BER gestrandet.

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Nach dem Warnstreik am Hauptstadtflughafen BER rechnen die Betreiber zur Wiederaufnahme des regulären Flugbetriebs an diesem Donnerstag mit einem hohen Passagieraufkommen. „Insbesondere in den Morgen- und Mittagsstunden werden mehr Reisende erwartet“, teilte die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg am Mittwochabend mit. Aufgrund der Nachwirkungen des Arbeitskampfs hätten die Fluggesellschaften auch für Donnerstag vereinzelt Flüge gestrichen. „Die Passagiere werden gebeten, sich vorab zu informieren und 2,5 Stunden vor Abflug im Terminal zu sein“, hieß es. Die Flughafeninfrastruktur werde nach dem Warnstreik am Donnerstag wieder vollständig zur Verfügung stehen.

Auf der zentralen Kundgebung zum Streik hatten Verdi-Funktionäre am Mittwoch mit weiteren Streiktagen gedroht, sollten die Arbeitgeber nicht einlenken.

„Wir warten auf ein gutes Angebot, sonst machen wir hier weiter dicht“, sagte Susanne Feldkötter, stellvertretende Verdi-Bezirksleiterin auf dem Willy-Brandt-Platz am Terminal 1. Dort hatten sich gegen 10 Uhr rund 500 der 2000 streikenden Mitarbeiter versammelt. „Noch nie waren so viele Menschen auf diesem Platz“, sagte Holger Rößler, Verdi-Verhandlungsführer bei der Flughafen-GmbH. „Wir stehen zusammen als BER-Familie. Wir rocken heute die Region.“ Darauf reagierten die Streikenden mit ohrenbetäubendem Pfeifkonzert und Trommeln. Dazwischen vereinzelte Rufe: „Arbeit muss sich lohnen.“

Der Verhandlungsleiter für die Bodendienstleister, Enrico Rümker, erklärte das Motto der Gewerkschafter gegenüber den Arbeitgebern: „Pay or stay“. Diesen Spruch müssten sich auch Passagiere anhören, die sich weigern, anfallende Nachzahlungen zu leisten. Rümker machte die Airlines für die schlechte Bezahlung bei den Dienstleistern verantwortlich. Die würden „Tickets für zehn Euro verramschen“ und den Kostendruck dann auf die Dienstleister abwälzen.

Passagierverkehr stand still

Der Passagierverkehr am BER stand derweil still. Die Hallen waren leer. Nur vereinzelt kamen Fluggäste an, die nicht rechtzeitig von den Ausfällen gehört oder von ihren Fluggesellschaften informiert worden waren. Ein Team vom Bodendienstleister Swissport kümmerte sich am BER um gestrandete Gäste, verteilte Infoblätter über Fluggastrechte. „Die meisten Leute werden auf morgen umgebucht und werden für die Nacht in ein Hotel einquartiert“, sagte ein Mitarbeiter. Viel zu tun hätten sie aber nicht.

Im Service-Center der Deutschen Bahn am Hauptbahnhof in Berlin kamen nur wenige Passagiere an, die ihre Flüge nicht nehmen konnten. Sie alle hatten bereits alternative Zugtickets, die sie stattdessen nutzen konnten und sollten.

Die Gestrandeten

  • Martin Pietrzak aus Danzig hatte die Info von seiner Fluggesellschaft bekommen, auf dem Flughafen auf weitere Hinweise zu warten. Mit seiner Frau fuhr er zum BER. Er war guter Hoffnung, dass sie bald nach Singapur fliegen könnten. Von dort wollen sie weiter nach Phuket in den Urlaub.
  • Ein junger Mann aus Benin leuchtete mit seinem Tastenhandy sein Ticket nach Infos ab, er hatte seinen Flug nach Istanbul von Freitag auf Mittwoch umgebucht, aber keine Mail erhalten, dass der Flug nicht stattfindet – er habe gar kein Mail-Postfach. „Ich bin total verwirrt.“ Er hatte seinen Cousin in Berlin besucht und wollte zurück zu seiner Familie nach Cotonou in Benin.
  • Ein junges Paar aus Danzig war um drei Uhr aufgebrochen, um den Flieger nach Frankfurt zu erreichen, von dort sollte es weiter in den Urlaub nach Cancun in Mexiko gehen. Doch von ihrem deutschen Reiseveranstalter seien sie nicht über den Streik informiert worden. Jetzt saßen sie mit aufgeklappten Laptops und hofften, dass sich jemand um sie kümmert. Wären sie rechtzeitig informiert worden, hätten sie ja einen Zug nach Frankfurt nehmen können, sagte die Frau.
  • Am Berliner Hauptbahnhof wartete Maria auf einen Zug nach Dresden. Ursprünglich wollte sie am Mittwoch um 8.26 Uhr vom BER aus nach London fliegen. Sie hatte dort eigentlich berufliche Termine. Wegen des Streiks wurde ihr Flug allerdings gecancelt. Stattdessen flog sie nun von Dresden aus um 17 Uhr nach London. Sie hatte erst am späten Dienstagabend vom Streik erfahren.
  • Sonja wollte am Mittwoch nach Zürich fliegen. Sie war seit drei Tagen in Berlin und machte hier einen Kurzurlaub. Ihre Fluggesellschaft hatte ihren Flug auf Donnerstag umgebucht. Sonja hatte schon bei ihrer Ankunft am Sonntag auf Twitter von den möglichen Streiks gelesen. Zu diesem Zeitpunkt sei aber noch keine endgültige Entscheidung zu finden gewesen. Am Montag wurde sie dann über ihren gestrichenen Flug informiert und hatte sich daraufhin entschieden, noch einen Tag länger in Berlin zu bleiben.
  • Ein älteres Ehepaar aus Oranienburg hatte sich schon vor zwei Tagen bei Check 24 wegen des Streiktags am BER erkundigt. Der habe erklärt, sie könnten die Bahn nach Frankfurt nehmen und von dort weiter nach Bangkok fliegen. Die Tickets würden sie am BER erhalten. Doch am Bahn-Schalter habe man ihnen kein Ticket geben wollen. Jetzt hingen sie in den Warteschleifen der Hotlines. „Wir fühlen uns im Stich gelassen“, sagte die Frau, während ihr Mann nervös auf seinem Smartphone herumtippte. „Wir haben uns schon in die Wolle gekriegt deswegen.“ Sie wollten zwei Wochen Urlaub machen in Thailand, doch ob das klappt, wissen sie nicht. Sie hatten zwar bei Check 24 gebucht, der Reiseveranstalter sei aber FTI, hieß es. Welche Airline sie befördern sollte, wussten sie gar nicht.

Wir haben uns schon in die Wolle gekriegt deswegen.

Ein Paar aus Oranienburg ist am BER gestrandet

Ursprünglich waren für Mittwoch am BER 300 Starts und Landungen mit etwa 35.000 Passagieren geplant. Sämtliche Flüge wurden an den Infotafeln als gestrichen angezeigt. Je nach Airline erhielten die Kunden die Möglichkeit, ihre Reisen umzubuchen oder alternativ auf die Bahn umzusteigen. Einige wenige Flüge weichen nach Dresden und Leipzig/Halle aus.

Die Streikenden

Die Gewerkschaft Verdi hatte die Beschäftigten der Flughafengesellschaft, der Luftsicherheit und der Bodenverkehrsdienste aufgerufen, zwischen 3.30 Uhr und 23.59 Uhr die Arbeit niederzulegen. Davon betroffen waren zentrale Arbeitsbereiche für einen regulären Flugbetrieb, etwa die Flughafenfeuerwehr, der Check-in, die Gepäckabfertigung oder die Betankung der Flugzeuge.

Der Streik am BER läuft seit dem frühen Morgen.

© dpa/Christoph Soeder

Zwei Frauen mit gelber Verdi-Weste schlenderten durch die Haupthalle und machten Fotos von der Anzeigetafel mit den gecancelten Flügen. Sie sind bei Wisag Passage, einem Dienstleister, im Check-in und beim Boarding tätig. „Unser Job ist eindeutig unterbezahlt“, erzählten sie. „Die 500 Euro haben wir uns verdient. Schichtdienst, Mehrarbeit, aggressive Passagiere. Wir werden ständig beleidigt“, sagte die Ältere. Die Fluggäste kämen oft zu spät und beschwerten sich, wenn sie warten müssten. Bei Wisag Passage sind nach ihren Angaben rund 160 Menschen beschäftigt.

Ein 62-jähriger Mann in grüner Baumwolljacke verfolgte recht zufrieden die Verdi-Kundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz. „Ich habe schon ein paar Tarifrunden miterlebt.“ Letztlich sei am Ende immer zu wenig Gehaltsplus herausgekommen. Er verdiene rund 2000 Euro netto, könne die 500 plus beim Brutto gut gebrauchen, schon allein wegen der Pendelei mit dem Auto von Neuenhagen zum BER und zurück. Er arbeitet beim Bodendienstleister Airline Assistant Switzerland (AAS), die Mitarbeiter dort rangieren und entladen Flugzeuge und kümmern sich ums Gepäck. „Der Job ist okay“, seit 22 Jahren sei er schon dabei, manchmal müsse er um vier Uhr morgens seinen Dienst antreten.

Die Forderungen der Gewerkschaft

Verdi will für die Beschäftigten der Flughafengesellschaft und der Bodenverkehrsdienste 500 Euro mehr Lohn pro Monat bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Die Arbeitgeberseite fordert vor allem deutlich längere Vertragslaufzeiten, für die Beschäftigten der Flughafengesellschaft wurden steuerfreie Einmalzahlungen von bis zu 2000 Euro angeboten. „Eine zusätzliche einmalige Inflationsausgleichsprämie ist zwar gut, kann jedoch keine nachhaltige Tabellenerhöhung ersetzen“, teilte Verdi dazu mit.

Laut der Gewerkschaft war der Zeitpunkt für den aktuellen Warnstreik behutsam ausgewählt worden. In den Winterferien werde es keinen weiteren Streik geben, hieß es. Mittwoch sei zudem nicht der verkehrsreichste Tag der Woche.

Der Verband der deutschen Verkehrsflughäfen kritisierte die Arbeitsniederlegung scharf. „Dauer, Umfang und Intensität des Warnstreiks sind vollkommen überzogen. Dies überschreitet die Grenzen eines sogenannten Warnstreiks deutlich“, sagte Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Die nächsten Verhandlungsrunden folgen am 30. Januar (Bodenverkehrsdienste) und 8. Februar (Flughafengesellschaft).

Streiks mit vergleichbaren Folgen

Der bisher letzte große Warnstreik mit ähnlichen Folgen liegt bereits einige Jahre zurück: Im April 2018 mussten deutschlandweit Hunderte Flüge annulliert werden, weil die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Kommunen und des Bundes nicht vorankamen. In acht Bundesländern legten daher bei einem Warnstreik Zehntausende Beschäftigte die Arbeit nieder. Neben Flughäfen waren vielerorts auch der städtische Nahverkehr, Kitas, Kliniken, Verwaltungen und Hallenbäder betroffen. (mit dpa)

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