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Erstklässler:innen sitzen im Halbkreis und eine Schülerin meldet sich.

© Foto: picture alliance/dpa/Uncredited

Während des Wechselunterrichts: Berlin und Brandenburg kritisieren Testzeitpunkt für Bildungsbericht

Die „Bildungstrends 2021“ zeigen große Defizite der Viertklässler. Brandenburg schnitt besonders schlecht ab und spricht von einer „Verzerrung der Länderergebnisse“ durch besonders frühe Testung.

| Update:

Berlin und Brandenburg gehören zu den Sorgenkindern beim aktuellen Bildungsvergleich zwischen den Bundesländern. Ihre Viertklässler lieferten besonders schwache Ergebnisse in den Deutsch- und Mathematikkompetenzen. Besonders auffällig ist dabei, dass sich die Leistungen in Brandenburg zwischen 2016 und 2021 überproportional verschlechtert haben.

Somit sank es aus dem Mittelfeld auf die unteren Plätze. Die Verluste waren daher noch stärker als im Bundesschnitt. Die alarmierenden Bundesergebnisse waren bereits im Juli vorgestellt worden. .

Auf der Suche nach Erklärungen verwiesen Berlin und Brandenburg am Montag darauf, dass besonders viele Kinder besonders früh getestet worden seien. Das habe dazu geführt, dass sie nach den Schulschließungen und dem Wechselunterricht weniger Zeit hatten, wieder Anschluss zu finden und Schulstoff aufzuholen als andere Länder.

„Aus Sicht Brandenburgs erfolgte durch das Verfahren der Testung eine Verzerrung der Länderergebnisse“, teilte das Bildungsministerium mit. In Brandenburg sei nach einer fast zweimonatigen Komplettschließung mit Distanzunterricht und mitten im Wechselunterricht, der schon fast zwei Monate angedauert habe, getestet worden. Bundesländer mit einem späterem Testzeitraum hätten sich länger im Präsenzunterricht befunden.

Etliche Länder konnten im Regelbetrieb testen

Auch Berlins Bildungsverwaltung betonte, dass Berlin und Brandenburg aufgrund der frühen Sommerferien 2021 die ersten Bundesländer gewesen seien, in denen die Studie durchgeführt wurde. In der fraglichen Zeit vom 12. April bis 9. Juni seien die Berliner Schulen noch im Wechselmodell gewesen.

Regelungen zur Testung und Materialien für den Wechselunterricht wurden teilweise zeitgleich durchgeführt. Andere Bundesländer waren mit Ferienbeginn Ende Juli flexibler.

Ein Sprecher der Berliner Bildungsverwaltung

„Regelungen zur Testung und Materialien für den Wechselunterricht wurden teilweise zeitgleich durchgeführt. Andere Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Sachsen oder auch Thüringen waren mit Ferienbeginn Ende Juli flexibler“, lautet der Hinweis eine Behördensprechers. In diesen Ländern hätten die Testungen überwiegend im Regelbetrieb stattgefunden.

Nicht beantwortet wurde von den Behörden in Berlin und Brandenburg die Tagesspiegel-Anfrage, warum das Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg früher getestet habe als andere Bundesländer mit vergleichbaren Ferienterminen. Das Institut untersteht den beiden Ländern.

Jetzt werden die Ergebnisse ausgewertet

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) kündigte an, es werde mit dem wissenschaftlichen Beirat ihres Ministeriums eine „sorgfältige Auswertung der Ergebnisse“ geben. Die Befunde zeigten, wie notwendig das Programm „Aufholen nach Corona“ sei.

Das Ministerium habe den Schulen durch vereinfachte Rahmenbedingungen ermöglicht, unbürokratischer auf den Nachholbedarf zu reagieren: In Brandenburg steht ein Schuljahresbudget zur Verfügung, während andere Länder ihren Schulen ein aufwändiges Antragsverfahren verordneten.

Aus Berlin hieß es zur Studie, man habe den Handlungsbedarf „bereits vor längerer Zeit klar erkannt“ und deshalb vieles auf den Weg gebracht. Dazu zähle die Beauftragung der Qualitätskommission und die Gründung des neuen Landesinstituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung, um die Lehre zu verbessern.

Es braucht eine Evaluationskultur und die Lernerfolge der Kinder müssen im Mittelpunkt stehen.

Sybille Volkholz, Bildungsexpertin

Die Qualitätskommission hatte unter anderem empfohlen, die Leistungsdaten der Schüler mehr in den Fokus zu nehmen und einen Qualitätsbeirat zu etablieren. Er soll die Bildungsverwaltung bei der Umsetzung der Empfehlungen begleiten. Vorsitzender ist der ehemalige Hamburger Staatsrat Michael Voges (SPD). Hamburg schnitt bei den aktuellen Bildungstrends viel besser ab als die anderen Stadtstaaten und auch die meisten anderen Länder. Als Schlüssel zum Hamburger Erfolg gilt die jährliche Testung aller Schüler:innen und die ständige Evaluation.

„Es braucht eine Evaluationskultur und die Lernerfolge der Kinder müssen im Mittelpunkt stehen“, betonte die ehemalige Berliner Bildungssenatorin Sybille Volkholz (Grüne) am Montag. Zusammen mit Michael Voges hat die ausgewiesene Bildungsexpertin gerade erst bei der Heinrich-Böll-Stiftung ein Papier zur wirkungsvolleren Förderung so genannter bildungsarmer Schüler:innen veröffentlicht. Untertitel: „Wie aus Risiken Chancen werden können“.

Für die FDP-Fraktion beklagte der bildungspolitische Sprecher Paul Fresdorf, es sei „ein sträfliches Versäumnis von 26 Jahren sozialdemokratischer Bildungsideologie“, dass so enorme Lücken in der Vermittlung von Kernkompetenzen entstanden seien. Aktuell sei der Senat „bedauerlicherweise mehr damit beschäftigt, kurzfristig die Beschulung aller schulpflichtigen Kinder zu sichern, statt qualitative Verbesserungen auf den Weg zu bringen, die langfristig wirken“.

Dieser Zustand sei „zu einer Dauerschleife“ geworden, weshalb der Senat sen Problemen konstant hinterherlaufe und somit kurzfristige Notlösungen anzubieten versuche, beobachtet Fresdorf. Damit gehe der entstandene Flickenteppich zulasten der Bildungsqualität ganzer Generationen und setze „die Zukunft unserer Wirtschaftskraft und unseres Wohlstandes aufs Spiel“.

Die Bildungspolitik muss sich auf die gravierenden Bildungslücken fokussieren.

Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg

Die Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg forderte angesichts der Schlusslichtposition der beiden Länder, dass sich die Bildungspolitik „dringend darauf fokussieren“ müsse, die gravierenden Bildungslücken durch zusätzliche Angebote zu schließen „und konsequent in die Berufschancen der Schülerinnen und Schüler zu investieren“.

Gültig blieben die Empfehlungen der Qualitätskommission, die noch immer nicht umgesetzt worden seien. Notwendig seien „regelmäßige Lernstandserhebungen und klare Kosten-Nutzen-Analysen bei allen Bildungsprojekten“ sowie eine ausreichenden Ausstattung mit pädagogischem Personal von der Kita bis zur Berufsschule.

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