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Berlin: Radfahrer sind keine besseren Menschen

Ohne Licht und auf der falschen Seite: Die Unfallzahlen sind alarmierend. Die Polizei kontrolliert jetzt verstärkt – aber auch die Autofahrer

Von Sabine Beikler

Die Zahlen sind alarmierend: 18 Radfahrer kamen im vergangenen Jahr auf Berliner Straßen ums Leben – acht mehr als im Vorjahr. Elf der getöteten Radfahrer haben nach Polizeiangaben die Unfälle zumindest „schuldhaft verursacht“. Auch der am Sonntag in Treptow tödlich verunglückte Radfahrer trägt eine Mitschuld: Er fuhr nach Polizeiangaben betrunken und ohne Licht auf einer für Fahrräder gesperrten Schnellstraße. Fahren auf der falschen Fahrbahn, verkehrswidriges Einfahren in den fließenden Verkehr und zu geringe Sicherheitsabstände: Das ermittelten die Polizeibeamten als häufigste Unfallursache bei den Radfahrern. Bei den Autofahrern lagen die Unfallursachen in der Missachtung der Vorfahrt – vor allem in Kreuzungsbereichen oder beim Rechtsabbiegen. Durch den Vorfahrt-Fehler eines Lkw-Fahrers kam Ende Februar ein Radfahrer in Tempelhof ums Leben: der erste tödliche Radfahrunfall in diesem Jahr.

Auch jetzt beginnt wieder die Radsaison. Um Rad- und Autofahrer auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, will die Polizei am Dienstag und Mittwoch bis in die späten Abendstunden flächendeckend in Berlin Fahrräder kontrollieren – und auch Autofahrer beim Abbiegen beobachten. „Abbiegesünder werden aufgehalten – und nach Ermessen auch zur Kasse gebeten“, sagte Michael Zeilbeck, beim Landesschutzpolizeiamt für den Straßenverkehr verantwortlich.

5926 Unfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr unter Beteiligung von Radfahrern in Berlin. In fast 60 Prozent der Fälle haben nach Polizeiangaben Radfahrer die Unfälle zumindest mitverursacht. „Fahrradfahrer sind keine besseren Menschen als Autofahrer. Auch sie verhalten sich manchmal falsch“, sagt Benno Koch, Vorsitzender des Allgemeinen Fahrradclubs (ADFC) in Berlin. Koch weist allerdings darauf hin, dass die Unfälle mit schwer verletzten Radfahrern rückläufig sind. „Wir wollen keine Hysterie verbreiten.“ Seit Jahren würde der ADFC die Einführung so genannter Tote-Winkel-Spiegel für Lkw fordern, um Radfahrer vor dem Abbiegen noch sehen zu können. Das Rechtsabbiegen ist die für Radfahrer am häufigsten tödlich verlaufende Unfallursache.

Die Polizei weist auf eine andere weit verbreitete „Unsitte“ bei den Radfahrern hin: das Fahren ohne Licht. Auch wenn der Anteil an den Unfallursachen mit 0,5 Prozent gering ist, sind das die „häufigsten Situationen, in denen es beinahe zu Unfällen kommt“, sagt Michael Zeilbeck. Bei den Kontrollen am Dienstag und Mittwoch will die Polizei auch auf die Beleuchtung der Räder achten. Benno Koch vom ADFC rügt vor allem die Fahrrad-Industrie und den Gesetzgeber: „Es ist immer noch erlaubt, Fahrräder ohne ausreichende Beleuchtung zu verkaufen.“ Eine entsprechende ADFC-Gesetzesinitiative wurde vor zwei Jahren abgelehnt.

Auch wenn ein Radfahrer sich ohne Licht bewegt, heißt das noch nicht, dass er im Falle eines Unfalls die Alleinschuld trägt. Im August vergangenen Jahres trat das so genannte Schadensrechtsänderungsgesetz in Kraft. Demnach haftet der Autofahrer „grundsätzlich für Schäden. Es sei denn, er kann höhere Gewalt als Ursache nachweisen“, sagt Paul Kuhn, Jurist für Schaden- und Versicherungsrecht beim Automobilklub ADAC. Das Gesetz sei deshalb geändert worden, um die schwachen Verkehrsteilnehmer besser zu schützen. Einen „Freibrief“ für den Radfahrer gebe es trotzdem nicht: „Das Verschulden des schwachen Verkehrsteilnehmers ist juristisch mit zu berücksichtigen“, sagt der ADAC-Jurist.

Dennoch gilt für Autofahrer die Gefährdungshaftung. „Ein Autofahrer muss sich bewusst sein, dass er mit einem gefährlichen Gegenstand unterwegs ist“, sagt die Berliner Verkehrsrichterin Ruth Ehrentreich. Man könne von niemandem „Übermenschliches“ verlangen. Doch müsse der Autofahrer damit rechnen, dass sich Radfahrer verkehrswidrig verhalten können. Schwer wird es ein Berliner Autofahrer allerdings haben, wenn er erklärt, er habe den ohne Licht fahrenden Radfahrer nicht gesehen. Verkehrsrichter verweisen auf die gute Straßenbeleuchtung in Großstädten: Deshalb könne ein Radfahrer in der Regel gesehen werden – auch ohne Licht am Rad.

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