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Übergabe Weihnachtsbaum 2022 an das Bundeskanzleramt in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz, begleitet durch einen Kinderchor.

© Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen

O Fichtenbaum, O Pappenbaum: Nachhaltiges Weihnachtsgrün für Kanzleramt und Bundestag in Berlin

Weihnachtbäume aus weiter Ferne und ohne Nachhaltigkeits-Siegel haben keine Chance mehr. Wie das Problem in diesem Jahr für Kanzleramt und Bundestag gelöst wurde.

Es  war einmal draußen im Schwarzwald eine wunderschöne Weißtanne, die schönste weit und breit in den sieben Bergen von Freudenstadt und Bad Rippoldsau, schlank, kerzengrade und so dicht benadelt, wie eine Tanne nur sein kann.

Ihr ward eine große Zukunft vorausgesagt: Nicht im schnöden Sägewerk sollte dereinst ihr Leben enden, sondern zum Weihnachtsfest weit, weit weg: Als Schmuck des Ehrenhofs im Berliner Kanzleramt, dicht besetzt mit strahlenden Kerzen, Olaf Scholz und den Seinen zur Freude und Erbauung. Sogar ihre nicht minder schöne Schwester war für den Fall der Fälle als Ersatz auserkoren.

Soweit das kleine Märchen, das zum Ende dann leider doch in Richtung Sägewerk abbiegt. Denn, wie im Freudenstädter Rathaus zu hören ist: Das Kanzleramt wollte die traditionelle Spende des Verbands der Waldeigentümer (ADGW), die bisher jedes Jahr aus einem anderen Bundesland kam, nicht mehr haben.

Wenn überhaupt einen Baum, so habe es geheißen, dann allenfalls aus der Region und natürlich PEFC-zertifiziert – das ist so eine Art Bio-Siegel für Bäume, mit dem unsere Schwarzwälder Schöne nicht glänzen konnte.

Ihr fällt einen Baum und dann schmückt ihr seinen Leichnam mit Kerzen?

Schneemann Olaf im Disney-Kinderfilm „Die Eiskönigin“

„Irgendwie können wir ja verstehen, dass man in Zeiten der knappen Ressourcen lieber eine Tanne aus der näheren Umgebung auswählt“, sagt ein Mitarbeiter im Freudenstädter Rathaus: „Der lange Transport kostet ja auch eine Menge Energie. Trotzdem waren wir auch ein wenig traurig.“ Kritisch vorausgedacht hat das Olaf, nicht der Kanzler, sondern der Schneemann aus Disneys Saisonklassiker „Die Eiskönigin“: „Ihr fällt einen Baum und dann schmückt ihr seinen Leichnam mit Kerzen?“ 

„Der lange Transport kostet ja auch eine Menge Energie. Trotzdem waren wir auch ein wenig traurig.“

Nun ist der Waldeigentümerverband als mächtige Lobby durchaus auch diplomatisch geschult und war insofern bereit, zumindest einem der Olafs entgegen zu kommen und nach einer regional ausgewiesenen Alternative zu fahnden. Einfach war das nicht, weil in den Weiten der Brandenburger Kiefernholzplantagen Weißtannen von Kanzler-Format praktisch nicht zu finden sind. Die Suche führte schließlich nach Neuzelle im Landkreis Oder-Spree, in den Forstbetrieb der Stiftung Stift Neuzelle.

Deren Mitarbeiter bewirtschaften seit 2016 einen eigenen Forstbetrieb mit 9000 Hektar Wald. Auch dort hat es keine passgerechten Tannen, aber, wie der stellvertretende Betriebsleiter Robert Hörnig berichtet: „Wir haben zwei wunderschöne Fichten ausgewählt, wobei wir die zweite nur brauchen, wenn die erste etwa beim Fällen oder beim Transport beschädigt wird.“

O Fichtenbaum – nun ja, die Zeiten sind eben so, dass Traditionen auch mal zurückstehen müssen. Immerhin erfüllen die Neuzeller Bäume offenbar alle Anforderungen an Nachhaltigkeit und Schönheit und erfreuen sich deshalb der Duldung höchster Stellen. Am Donnerstag Nachmittag wurde der Aufbau vor den Kameras der Weltpresse vollzogen. Immerhin weiß das Märchen, dass auch Schneemann Olaf eine Kehrtwendung vollzog und den Leichnam im vollen Ornat am Ende doch ganz toll fand.

Der Baum im Bundestag ist gar kein Baum

Übrigens: Auch der Bundestag lässt sich jedes Jahr einen Weihnachtsbaum spenden – diesmal soll er am kommenden Dienstag aufgestellt werden, nachhaltig selbstredend und ganz ohne Misstöne. Allerdings steht die Einschränkung im Kleingedruckten der Pressemitteilung: Er braucht kein Siegel, weil er gar kein Baum ist. Sondern eine vom althergebrachten Baum nur inspirierte Nachempfindung, aus Wabenplatten hergestellt und zu 99 Prozent aus recyceltem Karton und Pappe.

Schüler der Grundschule Blankensee im Brandenburgischen haben ihn im Auftrag des Verbands Deutscher Naturparke gebastelt, da stimmt sogar die regionale Zuordnung. Und wegen seiner eher unromantischen, aber stabilen Art kann er in den kommenden Jahren erneut genutzt werden, bis es dann eventuell doch langweilig wird.

Wir sehen: In diesen komplizierten Zeiten ist auch das Weihnachtliche politisch. Olaf, der Schneemann, konnte zu diesem neuen Baum-Modell noch nicht werden. Vermutlich ist auch er selbst längst aus Pappe.

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