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Dicht an dicht stehen Autos in der Rushhour auf der Stadtautobahn A100 in Berlin.

© picture alliance / dpa / picture alliance / dpa / Tim Brakemeier

Mehrheit will am Auto festhalten: Berlins Verkehrswende ist kein Selbstläufer – aber unverzichtbar

Trotz der Verkehrswende-Pläne des Senats wollen viele Berliner mehr Einsatz für das Auto. Doch eine Politik, die sich nur daran orientiert, verliert ihren Gestaltungsanspruch – und verspielt Berlins Zukunft.

Ein Kommentar von Christian Latz

In der Stadt fahren alle nur noch mit dem Rad, vom Stadtrand kommen die Menschen mit Bus und Bahn ins Zentrum gependelt – man muss kein Autofanatiker sein, um zu sehen, wie weit dieses Szenario von der Berliner Realität entfernt ist. Auch im Jahr 2023 spielt das Auto für die Mobilität vieler Berliner eine, wenn nicht die zentrale Rolle.

Seit Jahren propagieren insbesondere die Grünen die Verkehrswende. Dass darauf längst nicht alle Berliner gewartet haben, zeigt eine aktuelle Umfrage, erhoben im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.

Nur 37 Prozent der Berliner seien demnach dafür, wo immer es geht, Autospuren zugunsten von Radwegen abzuschaffen. 60 Prozent der Befragten wiederum wollen weiterhin Berlins Straßen ausbauen, weil das Auto auch in der Stadt unverzichtbar sei.

Plant der rot-grün-rote Senat den Umbau der Stadt an den Menschen vorbei?

Wie lassen sich solche Werte erklären, wo die Verkehrswende in Berlin doch ein zentraler Baustein der Politik der Landesregierung ist und sich die Politik über steigende Zahlen von Radfahrern und ÖPNV-Abonnenten freut? Plant der rot-grün-rote Senat den Umbau der Stadt an den Menschen vorbei?

Die Diskrepanz dürfte zunächst an der Wahrnehmung liegen. Breite und sichere Radwege voller Menschen, die für ihre Strecken durch die Stadt gerne in die Pedale treten, sind keine Seltenheit im Berliner Zentrum. Nur eben vor allem dort und nicht am Stadtrand.

Wunsch und Wahrnehmung vieler Politiker leiten sich dennoch in erster Linie davon ab. Dabei sieht die Realität in den Außenbezirken ganz anders aus. Der Bus kommt dort teils nur alle 20 Minuten. Radwege sind schmale Holperpisten auf dem Gehweg – wenn überhaupt. Umso selbstverständlicher setzt man sich ins Auto.

Nur was folgt daraus? Menschen haben zu allen Zeiten dazu geneigt, den bequemen Status quo einer Veränderung vorzuziehen. Eine Politik, die sich nur daran orientiert, würde ihren Gestaltungsanspruch aufgeben – und Berlins Zukunft verspielen.

Denn jenseits persönlicher Vorlieben ist die Faktenlage eindeutig. Ob zur Bekämpfung des Klimawandels, dessen Folgen, einer effizienteren Verkehrsabwicklung oder einfach für eine lebenswertere Stadt: Berlin kann diese Ziele nur erreichen, wenn künftig weniger Menschen ein eigenes Auto besitzen und damit umherfahren.

Dass die Ablehnung dieser Vorstellung so konstant hoch bleibt, zeigt vor allem, wie viel Arbeit die Politik noch vor sich hat. Zunächst mal auf der Straße und Schiene. Damit Menschen insbesondere am Stadtrand vom Auto umsteigen, braucht es gute Alternativen für sie. Bis diese überall angekommen sind, werden je nach Region noch etliche Jahre vergehen.

Und selbst dann bleibt es ständige Aufgabe der Politik, die Menschen von diesem Wandel auch zu überzeugen. Umso bewusster sollte den politisch Handelnden sein: Ein Selbstläufer ist die Verkehrswende nicht.

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