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In Berlin ist die Zahl der Verfahren zur Kindeswohlgefährdung seit 2017 kontinuierlich gestiegen. (Symbolbild)

© imago/Kirchner-Media

Experten sehen Einfluss der Pandemie: Mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung in Berlin

Die Zahl der Verfahren zur Kindeswohlgefährdung ist in Berlin um 10 Prozent gestiegen. Häufigste Ursache ist Vernachlässigung.

Es sind Zahlen, die alarmieren: Am Dienstag hat das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg neue Daten zur Kindeswohlgefährdung veröffentlicht. Im Jahr 2021 führten Jugendämter in Berlin und Brandenburg insgesamt 28.115 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls durch, davon 20.632 in Berlin und 7483 in Brandenburg.

In Berlin sind die Zahlen seit 2017 kontinuierlich gestiegen, zuletzt um 10 Prozent im Vergleich zu 2020. Inwiefern die Pandemie besonderen Einfluss auf den Anstieg hatte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. In Brandenburg ist die Zahl der Fälle im letzten Jahr sogar um 8 Prozent gesunken.

Doch Expert:innen der Jugendhilfe spüren in ihrer Arbeit durchaus Auswirkungen der Coronakrise. Annette Knor, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche von Kinderschutzbund, bezeichnet die Pandemie als Brennglas.

"Die Anfragen sind in den letzten Jahren gestiegen. Familien, die in unsere Beratungsstelle kommen, haben häufig Probleme gewaltfrei zu kommunizieren. Was wegen der Corona-Einschränkungen nicht im Außen reguliert werden konnte, fand innerhalb der Familie statt. So kam es häufiger zu Problemen mit verbalen und körperlichen Übergriffigkeiten, Alkohol oder Drogen."

Ein besonderes Problem seien unterdrückte Bedürfnisse bei Kindern, erklärt Knor. "Wenn Eltern den Kindern zum Beispiel verbieten, die Oma zu besuchen, werden Bedürfnisse unterdrückt. Die Kinder entwickeln daraus Ängste: Sie wollen die Oma nicht krank machen. Wenn eine Bezugsperson etwas verbietet, ist das Bedürfnis noch da. Wenn ein Kind selbst Bedürfnisse unterdrückt, beeinflusst es seine Entwicklung." So können depressive Verstimmungen entstehen und die Kinder müssen ihre Verhaltensweisen zum Beispiel in einer Therapie umlernen.

Vernachlässigung häufigste Gefährdung

Fast jeder zweite Fall aus Berlin weist auf eine eine akute oder latente Gefährdung der Kinder oder Jugendlichen hin; in Brandenburg jeder dritte. In diesen Fällen wurde das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Betroffenen bereits beschädigt oder es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dazu kommt.

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Am häufigsten ist dabei die Vernachlässigung (57 Prozent), gefolgt von psychischen (26 Prozent) und körperlichen (14 Prozent) Misshandlungen und sexueller Gewalt (3 Prozent). Die Anteile sind in Brandenburg ähnlich.

Laut dem Amt für Statistik informiert in den meisten Fällen die Polizei oder Justizbehörden das Jugendamt (Berlin: 31 Prozent, Brandenburg: 19 Prozent). Darauf folgen die Kitas und Schulen (Berlin: 19 Prozent, Brandenburg: 13 Prozent).

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Die restlichen Fälle werden anonym, durch Verwandte, Bekannte und Nachbarn, oder die Minderjährigen beziehungsweise Eltern oder Erziehungsberechtigten selbst angestoßen.

Wichtige Ansprechpartner sind weggefallen

"In der Pandemie sind Schulen als wichtiger Ansprechpartner weggefallen", sagt Ines Dommann. Sie ist Kinderschutzbeauftragte beim freien Träger "Kinder lernen Leben (KileLe)" in Berlin. "Viele Fälle blieben daher lange unentdeckt. Außerdem war es für uns eine große Herausforderung, die Kinder in den Einrichtungen zu unterrichten."

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KileLe betreibt mehrere Wohnheime in Berlin und betreut dort junge Menschen, die nicht bei ihren Eltern leben können. Ines Dommann und ihr Team greifen also dann ein, wenn die Fälle dem Jugendamt bereits vorliegen und entschieden werden muss, ob Kinder oder Jugendliche in die KileLe-Kriseneinrichtungen aufgenommen werden. "Unser Ziel ist die Rückführung der Kinder zu den Eltern. Wir möchten sicherstellen, dass Eltern ihre Kinder erziehen und versorgen können, um die Gefährdung abzuwenden", sagt Dommann.

Sie fordert, dass freie Träger der Jugendhilfe mehr Unterstützung erhalten. "Wir benötigen mehr Personal. Zusätzliches Personal müssen wir selbst finanzieren und unsere Mitarbeiter:innen erhalten keine Coronazulagen. Wir sollten dem öffentlichen Dienst gleichgestellt werden."

Sabrina Patsch

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