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Tote Fische in der Oder. Die im Auftrag des Landes Bandenburg arbeitenden Fachleute gehen weiter davon aus, dass das Fischsterben ein „multikausales Ereignis“ war, also mehrere Ursachen hatte.

© Reuters/Lisi Niesner/File Photo

Update

Massenhaftes Fischsterben: Gift von Goldalge und ein Pestizid in der Oder nachgewiesen

Die Suche nach der Ursache für das Fischsterben in der Oder geht weiter. Fachleute gehen von einem „multikausalen Ereignis“ aus.

Eine giftige Algenart könnte Wissenschaftlern zufolge ein entscheidender Faktor für das Fischsterben in der Oder sein. Ein Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei identifizierte die toxische Art als Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum. Auch in Polen wurde diese Art nachgewiesen. Nach Worten des Gewässerökologen Christian Wolter ist sie bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt. Das bestätigt Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Universität Frankfurt. Nachgewiesen ist aber noch nicht, dass das Gift dieser Alge Grund für das Fischsterben ist, nur ihre Massenentwicklung ist bewiesen.

Goldalgen brauchen hohe Salzgehalte

Die Algenart Prymnesium parvum kommt den Forschern zufolge eigentlich ausschließlich im Brackwasser vor. Sie benötigt stark erhöhte Salzgehalte, wie es sie auf der betroffenen Oderstrecke normalerweise nicht gibt. An der offiziellen Messstation des Landesamts für Umwelt in Frankfurt an der Oder werden aber seit rund zwei Wochen massiv erhöhte, unnatürliche Salzfrachten gemessen, die den Forschern zufolge ihren Ursprung stromaufwärts haben müssen.

Das Massenwachstum der Algen bewirkte den Wissenschaftlern zufolge auch deutlich erhöhte Messwerte bei Sauerstoff, pH-Wert und Chlorophyll. Im oberen Teil der Oder befinden sich viele Staustufen. Dort gibt es wegen des Niedrigwassers momentan kaum Wasseraustausch.

Befund neunfach über dem Grenzwert

Eine Untersuchung des brandenburgischen Landeslabors ergab zudem, dass Wasserproben, die zwischen dem 7.und 9. August aus der Oder genommen wurden, ein bestimmtes Pestizid in ungewöhnlich hohen Konzentrationen enthalten. Es handele sich, so das brandenburgische Umweltministeriums, um den Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure.

Die Werte überstiegen die Höchstgrenze der Umweltqualitätsnorm. Diese liege bei einem Mikrogramm pro Liter (µg/l). Die Messungen hätten für den 8. August 9,14 Mikrogramm pro Liter ergeben. Am Vortag seien 6,41 µg/l, am 9. August 4,28 µg/l festgestellt worden. Die Jahresdurchschnitt-Umweltqualitätsnorm beträgt nach Angaben des Ministeriums 0,2 µg/l.

Proben von Anfang August

Die Proben stammen laut Zelt von einer Routine-Messtelle in Frankfurt (Oder). Deshalb sei davon auszugehen, dass das Pestizid hier bereits stark verdünnt war. Diese Annahme beruht auf der Vermutung, dass der Eintrag weit flussaufwärts in Polen stattgefunden haben muss.

An anderen Stellen im Oberlauf der Oder hätten folglich in den Tagen zuvor höhere Konzentrationen vorliegen müssen. Ob es von dort noch ähnliche, so genannte „Rückstell-Proben“ gibt, die jetzt durch die polnischen Behörden unabhängigen, gezielten Analysen zugeführt werden können, geht aus der Mitteilung nicht hervor. Es ist aber theoretisch auch möglich, dass das Pestizid aus unbekannter Quelle in der Nähe von Frankfurt in den Fluss gelangte und dann nichts mit dem Fischsterben flussaufwärts zu tun hätte.

Mehrere Ursachen weiterhin vermutet

Die Überschreitung der Werte über mehrere Tage am Messort habe „mit Sicherheit einen Effekt auf die Biozönose (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen) gehabt, insbesondere auf Makrophyten (Wasserpflanzen)“. Die in Frankfurt nachgewiesene Dosis könne aber wahrscheinlich kein Fischsterben, wie es beobachtet wurde, auslösen.

Die im Auftrag des Landes Bandenburg arbeitenden Fachleute gehen offenbar weiter davon aus, dass das Fischsterben ein „multikausales Ereignis“, so Zelt, gewesen sein könnte, also mehrere Ursachen sich addiert und möglicherweis potenziert haben dürften.

Nach dem aktuellen Stand komme eine Kombination aus Pestizid, hoher Salzfracht, durch diese möglicherweise gefördertem Wachstum von für Fische giftigen Algen, Fische stressenden hohen Wassertemperaturen, stellenweisen durch Aufwirbeln des Sediments verursachten erhöhten Quecksilberwerten und möglichen anderen Faktoren infrage.

Die weiteren Ergebnisse vom 19. August bestätigten „im Großen und Ganzen die bisherigen Erkenntnisse“, hieß es aus dem Ministerium. Die Werte hätten sich auch in den weiteren Proben nicht verschlechtert.

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Für alle Funde organischer Substanzen wurden demnach die Grenzwerte eingehalten. „Auch die Metallwerte erreichen weiter nicht den akut toxischen Bereich.“ Am Oder-Grenzübertritt bei Lomy sei aber die elektrische Leitfähigkeit, ein Zeichen für hohen Salzgehalt, immer noch erhöht. Auch die Chlorophyll-Werte in Frankfurt (Oder) sind demnach weiter ungewöhnlich hoch. Diese könnten mit den hohen Sauerstoffwerten, die ebenfalls gemessen wurden und werden, in Verbindung stehen.

Wahres Ausmaß noch immer unklar

Seit Ende Juli wurden an der Oder vermehrt tote Fische gefunden. Inzwischen sind wahrscheinlich mehrere Hundert Tonnen, aber auch große Mengen Weich- und Krebstiere, verendet. Die polnischen Behörden hatten es lange versäumt, diese Befunde zu melden.

Welches Ausmaß das Sterben hat und wie schnell eine Erholung des Flusses möglich ist, hängt auch von den chemischen, biologischen und physikalischen Ursachen ab, deren Aufklärung Labore und Behörden mit den aktuellen Befunden wahrscheinlich nun nähergekommen sind. (mit dpa)

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, bei dem Pestizid handele es sich um den Wirkstoff 2,4-Dinitrophenylhydrazin. Inzwischen hat das Umweltministerium die Angaben korrigiert. Demnach lautet der Name 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure.

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