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Mauerreste: Geschichte in kleinen Brocken

Der Handel mit Mauerresten läuft auch nach 20 Jahren.

Der Verkäufer duldet keinen Widerspruch: „Auf jeden Fall echt.“ Dann zieht er die braune Russenmütze aus seinem Sortiment noch ein bisschen tiefer in das Gesicht der Touristin und setzt sogar noch eins drauf: „Ist echtes Kaninchenfell.“ Dass sich die Haare der Touristin elektrisiert anheben, lässt er als Gegenargument nicht gelten. Immerhin kostet bei ihm die Russenmütze nur 30 Euro und nicht 35 wie am Nebenstand. Die Frau will nicht so viel Geld ausgeben, kauft aus Verlegenheit einen kleinen Hammer-und-Sichel-Button für sechs Euro und verdrückt sich.

Der Checkpoint Charlie ist Hochburg der Wendedevotionalien. Standen die Händler früher an allen einschlägigen Berliner Wendeplätzen, konzentrieren sie sich heute auf das kleine Stück Friedrichstraße, wo eh so getan wird, als gäbe es noch ein bisschen DDR. Allerdings: Die fliegenden Händler mit ihren Vopo-Mützen (25 Euro), die innen eine geklebte Pappverstärkung haben, den Orden (ab 8 Euro), die viel zu leicht erscheinen, und den schiefen Gasmasken (ab 30 Euro) sind nicht gern gesehen. Im offiziellen Souvenirladen direkt am Checkpoint Charlie blickt eine Verkäuferin unzufrieden nach draußen. „Mafia“ nennt sie die fliegenden Händler mit der überteuerten Ware. Drohungen habe es gegeben, als man sie wegschicken wollte. Viele Käufer denken nämlich, sie gehörten zum Souvenirladen dazu. Ein kleiner Krieg. Ein kalter Krieg, wenn man sich den blöden Witz erlauben möchte.

Wenigstens nehmen die Händler keine Kunden weg, denn hier im Laden wird der meiste Souvenirumsatz immer noch mit Mauerstücken gemacht. Zwei winzige Stückchen im Plastikbeutel für 2,50 Euro. Ein kleines, plexiglasgerahmtes Stück zum Aufstellen mit dem Hinweis „The Wall 1961–1989“ für 6,50 Euro, das größere Exemplar für 12,50. Manchmal wundert sich die Verkäuferin, dass es immer noch Mauer gibt. Irgendwann müsste die doch mal verbraucht sein. Wo das Bröckchen-Geschäft schon seit 20 Jahren läuft.

Volker Pawlowski sagt, 155 Kilometer Mauer verkaufen sich nicht so schnell. Pawlowski ist ein echter Wendegewinner. Als die Mauer fiel, schlug der West-Berliner, der bis dahin als Isolierer auf dem Bau arbeitete, sofort zu. Denn die Mauer sollte sofort aus dem Stadtbild verschwinden, und niemand machte sich Gedanken, was man mit ihr noch anstellen könnte. Nichts wie weg mit dem Monstrum und ab auf die Recyclinghöfe, zerkleinert, als Unterbaumaterial zum Beispiel für Häuser. Pawlowski kaufte ihnen die Mauer ab. Vier Meter mal 1,20 Meter für etwa 2000 Mark. Heute beliefert Pawlowski zahlreiche Souvenirshops mit kleinen Mauerstücken, hinter Plexiglas geklebt oder mit kleinen Trabifigürchen, die hinüberfahren.

Volker Pawlowski sagt, er könne noch sein ganzes Leben lang weiter Mauer verkaufen. Und wenn sie ihm ausginge, könnte er sich auf vielen Berliner Recyclinghöfen Nachschub besorgen. An gefälschte Mauerstücke glaubt er nicht, denn „die echten sind billiger, als wenn man die in China machen würde“. Auf den Höfen stehen nämlich immer noch viele Reste. Wo genau? „Das sag ich natürlich nicht!“

Das Geschäft der Russenmützenhändler läuft nicht so gut wie das Pawlowskis. In der Karnevalssaison könnte es wieder etwas besser werden, aber an Echtheit glaubt fast keiner mehr. Nicht mal mehr am Brandenburger Tor verkauft noch jemand die falschen Mützen. „Aber Mauer wird immer gehen“, sagt Volker Pawlowski. Elena Senft

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