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Allein in Frankfurt (Oder) holte das Technische Hilfswerk vergangene Woche tonnenweise tote Fischer aus dem Wasser.

© IMAGO / Winfried Mausolf

Update

Nach Umweltkatastrophe in Brandenburg: Forscher finden gesunde Fische in der Oder – Umweltministerin sagt Betrieben Unterstützung zu

Potsdamer Wissenschaftler haben in der Oder zahlreiche gesunde Exemplare vieler Fischarten nachgewiesen. Derweil will der Bund betroffenen Betrieben helfen.

Nach dem großen Fischsterben in der Oder gibt es Anlass zur Hoffnung auf Leben in dem Grenzfluss. Wissenschaftler des Potsdamer Instituts für Binnenfischerei hätten bei einer Probebefischung zahlreiche gesunde Exemplare vieler Fischarten nachgewiesen, teilte der Landesfischereiverband Brandenburg/Berlin am Freitag gemeinsam mit dem Landesanglerverband mit. Auch Flusskrebse und weitere Wasserorganismen wie Dreikantmuscheln oder Bachflohkrebse seien in der Oder unterwegs und wirkten gesund. Das Institut selbst war am Nachmittag telefonisch nicht zu erreichen.

„Dass Fische und auch andere Wasserorganismen in der Oder überlebt haben, ist endlich eine gute Nachricht, die Hoffnung macht“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Landesanglerverbands, Andreas Koppetzki. „Aber es bedarf weiterer Untersuchungen, um den Zustand der Fischbestände und der gesamten Artengemeinschaft wirklich einschätzen zu können.“ Die Schäden seien angesichts der Massen verendeter Fische sehr groß. „Die heutigen Ergebnisse sprechen dennoch für eine eher rasche Erholung dieses sensiblen Ökosystems“, meinte Koppetzki.

Derweil hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) den Betrieben, die vom Fischsterben in der Oder betroffen sind, Unterstützung zugesagt. Das Kabinett habe am Mittwoch besprochen, „dass wir Hilfen für die von der Katastrophe betroffenen Betriebe auf den Weg bringen werden, wenn das nötig wird“, sagte Lemke dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Zudem werde der Bund das Land Brandenburg „bei den laufenden Analysen zur Schadensursache über das Umweltbundesamt und über die Bundesanstalt für Gewässerkunde“ unterstützen. Von der Bundesanstalt erwarte sie Ergebnisse bis Ende August, sagte die Ministerin.

Die Kritik von Kommunalpolitikern entlang der Oder, der Bund habe zu spät auf die Katastrophe reagiert, wies Lemke zurück: „Als mein Ministerium von dem Fischsterben erfahren hat, haben wir sofort mit Brandenburg Kontakt aufgenommen und Unterstützung angeboten.“

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Auf deutscher Seite war das massive Fischsterben in der Oder am 9. August bekannt geworden. In Polen hatte es dagegen bereits Ende Juli erste Hinweise auf Fischkadaver in dem Grenzfluss gegeben. Die deutschen Behörden werfen der polnischen Seite vor, sie zu spät informiert und damit die Suche nach der Ursache erschwert zu haben.

Lemke räumte ein, dass bei der Bewältigung der Katastrophe nicht alles ideal gelaufen sei. Die deutsche Seite sei „offensichtlich zu spät informiert“ worden. „Die polnische Seite hat den Alarmplan nicht rechtzeitig aktiviert. Schuldzuweisungen bringen aber nichts. Wir müssen dieses Unglück gemeinsam bewältigen.“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei einem Besuch an der Oder.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei einem Besuch an der Oder.

© dpa/Patrick Pleul

Das Umweltministerium in Brandenburg erklärte derweil, eigene Warn- und Meldeketten zu überprüfen. Es gehe unter anderem darum, ob die bestehende Messpraxis neu bewertet und angepasst werden müsse, hieß es am Donnerstag.

Der „Spiegel“ hatte zuvor berichtet, das Landesamt für Umwelt habe bereits Anfang August registriert, dass sich das Wasser der Oder verändert habe. Die Behörde sei aber tatenlos geblieben, hieß es unter anderem in dem Bericht.

„Von den bis dahin in der automatisierten Messstelle in Frankfurt (Oder) gemessenen Werten allein war nicht von einem Fischsterben auszugehen“, teilte dazu eine Ministeriumssprecherin mit. Auch in der Vergangenheit hatte es ihr zufolge schon deutlich hohe Werte gegeben, die auf Salzfrachten hingedeutet, aber kein Fischsterben in der Oder ausgelöst hätten. Erhöhte Salzkonzentrationen in der Oder gibt es dem Ministerium zufolge bereits seit vielen Jahrzehnten.

Die automatische Messstation Frankfurt (Oder) verzeichnete vom 7. zum 8. August einen Anstieg der Kurven bei den Parametern Leitfähigkeit, Sauerstoffgehalt und Chlorophyll. Diese waren laut Umweltministerium für sich allein noch nicht interpretationsfähig.

Insbesondere lieferten sie mit Blick darauf, dass die Oder ohnehin wegen des extremen Niedrigwassers, starker Hitze und hoher Wassertemperaturen unter Stress stehe noch keine direkteren Hinweise. Die Werte seien aber weiter beobachtet worden.

Nach internationaler Vereinbarung hätte die polnische Seite das für die Oder geltende Meldesystem auslösen müssen, als ein massenhaftes Fischsterben Ende Juli dort bekannt wurde. Das habe Polen aber nicht zeitnah, sondern zu spät getan, stellte die Ministeriumssprecherin klar. Man hätte mit einer Warnung bessere Vorkehrungen treffen können, Sperren errichten.

Nun lieferten die Landesbehörden ständig Daten an die polnische Seite, von dort trafen am Donnerstagabend erste Untersuchungsergebnisse, die laut Umweltministerium jetzt abgeglichen werden.

Ursache für Fischsterben weiter unklar

Die Ursache für die größte Umweltkatastrophe in Brandenburg seit Jahrzehnten ist auch mehr als eine Woche nach Bekanntwerden des massenhaften Fischsterbens noch unklar. Das Landesamt für Umwelt und Forschungsinstitute untersuchen mit Hochdruck Wasser und Fische. Ganz im Dunkeln tappen Behörden und Wissenschaftler nicht mehr. Mittlerweile gibt es verschiedene Erklärungen zum Sterben der vielen Fische.

Tote Fische haben sich am Ufer der Oder gesammelt.
Tote Fische haben sich am Ufer der Oder gesammelt.

© dpa/Patrick Pleul

Wissenschaftlern zufolge könnte eine giftige Algenart ein entscheidender Faktor für das Fischsterben sein. Ein Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei identifizierte die toxische Art als Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum. Nach Worten des Gewässerökologen Christian Wolter ist sie bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt.

Das bestätigt auch Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Nachgewiesen ist aber noch nicht, dass das Gift der Alge Grund für das Fischsterben ist, nur ihre Massenentwicklung ist bewiesen.

Algenart normalerweise nur in Brackwasser

Die Algenart Prymnesium parvum kommt den Forschern zufolge eigentlich ausschließlich im Brackwasser vor. Sie benötigt erhöhte Salzgehalte, die es auf der betroffenen Oderstrecke normalerweise nicht gibt. An der offiziellen Messstation des Landesamts für Umwelt in Frankfurt an der Oder wurden aber rund zwei Wochen massiv erhöhte, unnatürliche Salzfrachten gemessen, die laut der Forscher ihren Ursprung stromaufwärts haben müssen.

Das Massenwachstum der Algen bewirkte den Wissenschaftlern zufolge auch deutlich erhöhte Messwerte bei Sauerstoff, PH und Chlorophyll. Im oberen Teil der Oder befinden sich viele Staustufen. Dort gibt es wegen des Niedrigwassers momentan kaum Wasseraustausch.

Klärbecken als Brutstätte?

Einem polnischen Medienbericht zufolge könnte die Alge in einem Klärbecken im polnischen Glogau entstanden sein. Das berichtete der RBB am späten Donnerstagabend. Das Klärbecken gehöre dem polnischen Bergbauunternehmen KGHM, schreibt dem RBB-Bericht zufolge die in Breslau erscheinende „Gazeta Wyborcza“. Wie die Zeitung weiter schreibt, leitete das Unternehmen KGHM zwischen dem 29. Juli und dem 10. August salziges Wasser, das in dem Klärbecken über längere Zeit stillsteht, in die Oder. Dabei könnte die für Fische und Muscheln tödliche Alge in den Fluss gelangt sein.

Auch der Chemie-Professor Marcin Drag von der Fachhochschule in Wroclaw (Breslau) vermutet aufgrund des hohen Salzgehaltes, dass der Fluss mit Einleitungen aus dem schlesischen Bergbau verseucht wurde. Nach Angaben des oppositionellen Parlamentsabgeordneten Piotr Borys leitet das staatliche Bergbau-Unternehmen bei Glogow regelmäßig salzhaltiges Abwasser aus dem Rückhaltebecken in die Oder ein – es hat dafür allerdings auch die Genehmigung der Wasserbehörde.

Ermittler überprüfen derzeit auch andere Industriebetriebe, die in der Nähe des Flusses liegen. In den Tagen nach den ersten Hinweisen auf das Fischsterben wurde in sozialen Medien in Polen eine Papierfabrik im niederschlesischen Olawa südlich von Breslau beschuldigt. Das Unternehmen dementiert. Das Werk habe „weder etwas mit der Umweltkatastrophe an der Oder zu tun noch in irgendeiner Weise dazu beigetragen“, hieß es in einer Erklärung vergangene Woche.

Klimawandel stresst das Ökosystem

Auch der Klimawandel stresst das sensible Ökosystem. Für die Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei kommen dabei mehrere schädliche Faktoren zusammen. Dürrephasen und viel zu niedrige Pegel, geringe Sauerstoffwerte und viel zu hohe Wassertemperaturen erhöhen als „menschengemachte“ Probleme: das Risiko für Umweltkatastrophen, sagen sie. Bei Niedrigwasser etwa würden schädliche Substanzen in viel geringerem Wasservolumen transportiert.

Dieser Extremzustand stresst die Fische. Kommen zur bestehenden Belastung weitere Gefahren wie toxische Algenblüten oder chemische Verunreinigungen hinzu, kann das ganze Ökosysteme in Gewässern vernichten, sagt etwa der Forscher Jörg Oehlmann.

Forscher sprechen von Sisyphusarbeit

Das Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) untersucht weiterhin Wasserproben verschiedener Tage und Messpunkte sowie Fische. Nach Angaben des Brandenburger Umweltministeriums gestaltet sich die Suche nach der Ursache für das Fischsterben auch schwierig, weil Informationen von polnischer Seite fehlen, etwa zu eventuellen Einleitungen oder konkreten Anlässen für die Umweltkatastrophe.

Forscher sagen, die Ursachenforschung zu der Katastrophe durch Analyse der Stoffe in der Oder sei eine wahre Sisyphusarbeit, da etwa 350.000 Substanzen potenziell in einer Wasserprobe vorhanden sein könnten – und auch eine ausführliche Diagnostik nie alle abdecke. Die Untersuchung könne Wochen dauern, so der Ökotoxikologe Oehlmann.

Erste Ergebnisse aus Polen

Polens Umweltministerin Anna Moskwa gab am Donnerstagabend bekannt, dass in Wasserproben toxische Algen entdeckt worden seien. Es waren demnach sogenannte Goldalgen, die für Fische und Muscheln tödlich seien. Es handele sich um die Art Prymnesium parvum, sagte Agnieszka Napiorkowska-Krebietke vom zuständigen Institut für Binnenfischerei in Olsztyn am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Die polnische Regierung geht von einem Umweltsünder aus. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am vergangenen Freitag. Die polnische Polizei hat eine Belohnung von umgerechnet 210.000 Euro für Hinweise auf den Täter ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile mehr als 200 Zeugen gehört und zwölf Ortstermine an der Oder absolviert - eine heiße Spur war bislang nicht dabei. (dpa, Tsp)

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