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Studierende und SA-Männer warfen an diesem Tag allein in Berlin mehr als 20.000 Bücher, die den Nazis als „undeutsch“ galten, in die Flammen.

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Der Scheiterhaufen auf dem Berliner Opernplatz: Als zehntausende Bücher in Flammen aufgingen

Deutschlandweit fanden am 10. Mai 1933 Bücherverbrennungen statt, vernichteten SA und Studierende Werke aus Bibliotheken und Buchhandlungen. In Berlins Mitte war Goebbels dabei.

Überfälle von SA-Schlägern hatte es auf Bewohner der Künstlerkolonie Wilmersdorf wiederholt gegeben. Dagegen wusste sich der „Rote Block“, wie die an den Südwestkorso grenzende Wohnsiedlung wegen der meist linken Einstellung ihrer literarisch oder am Theater tätigen Bewohner genannt wurde, durch einen organisierten Selbstschutz noch zu wehren.

Am Morgen des 15. März 1933 half das nicht mehr. Schutzpolizei und die seit dem 22. Februar von Hermann Göring zur Hilfspolizei erklärte SA riegelten die Siedlung ab, durchsuchten die Wohnungen und nahmen Bewohner fest. Die zahlreich beschlagnahmten Bücher wurden zum Abschluss der mehrstündigen Aktion auf dem heutigen Ludwig-Barnay-Platz verbrannt.

Schon beim Wartburgfest brannten Bücher

Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, war also nicht das erste Berliner Autodafé, mit dem sich die seit dem 30. Januar an der Macht befindlichen Nazis missliebiger Bücher und in der Folge am besten auch gleich ihrer Autoren und Autorinnen entledigen wollten. Es war auch nicht die Erste im Deutschland der Neuzeit: Schon am 18. Oktober 1817, im Anschluss an das Wartburgfest, flogen reihenweise Bücher ins Feuer, deren Autoren es für die versammelten Burschenschafter an der rechten nationalen Gesinnung fehlte – 1933 ein willkommener historischer Anknüpfungspunkt.

Nationalsozialistische Studenten, viele in SA-Uniformen, holten die auf Schwarzen Listen stehenden Bücher in Bibliotheken, Leihbüchereien und Buchhandlungen ab.

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Die Scheiterhaufen auf dem Opernplatz und parallel in den meisten deutschen Universitätsstädten waren aber anders als ihre Vorläufer nicht das Ergebnis von vereinzeltem, gar spontanem Zündeln, sondern von langer Hand geplant – als lodernder Höhepunkt der von der weitgehend gleichgeschalteten Studentenschaft organisierten „Aktion wider den undeutschen Geist“.

Parallel zum Aufstieg der NSDAP hatte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) unter den deutschen Studenten massiv an Bedeutung gewonnen. Es entstand eine Rivalität mit der – ideologisch nicht sehr fern stehenden, ohnehin mit ihm durch zahlreiche Doppelmitgliedschaften personell verwobenen – Deutschen Studentenschaft (DSt). Beide erhoben einen Alleinvertretungsanspruch, ein Machtkampf, der auch Planung und Durchführung der von der DSt initiierten und vorangetriebenen Bücheraktion beeinflusste.

Erst der Boykott jüdischer Geschäfte, dann die Vernichtung der Bücher

Schon bei deren durch Rundschreiben vorbereitetem Start am 12. April stand fest, dass sie am 10. Mai mit Bücherverbrennungen enden sollte. Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte Anfang April war sie die zweite landesweite antisemitische Kampagne, erweitert auf alles der NS-Ideologie zuwider laufende literarische Schaffen, sei es jüdisch, pazifistisch, links- oder liberal gesinnt. Zugleich war sie Teil der letztlich erfolgreichen Bestrebungen, entsprechendes Lehrpersonal an den Hochschulen zu boykottieren, zu verunglimpfen und zu vertreiben.

Am 13. April tauchten in den Berliner Hochschulen und dank eines Kostenzuschusses vom Propagandaministerium auch an städtischen Litfaßsäulen Plakate mit der Losung „Wider den undeutschen Geist“ auf, unterzeichnet mit „Die Deutsche Studentenschaft“. In zwölf Thesen wurde der „Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum“ behauptet, mit klar antisemitischer Tendenz. „Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist“, hieß es in These 4.

Man fordere vom deutschen Studenten „den Willen und die Fähigkeit zur Überwindung des jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben“. Ein „Artikeldienst“ mit Texten nationalsozialistisch gesinnter Autoren in der DSt-Zeitung „Akademische Korrespondenz“ sollte die Aktion flankieren, doch gab es kaum Rücklauf bei den Anfragen. Auch die Aufstellung von „Schandpfählen“ mit angenagelten „undeutschen“ Schriften kam in Berlin nach einem Verbot durch das preußische Kultusministerium nicht zustande.

Erfolgreich dagegen waren die Studenten bei der am 6. Mai angesetzten Büchersammelaktion. Dafür gab es Schwarze Listen, erstellt von Wolfgang Herrmann, Bibliothekar und Parteigenosse, und seinen Kollegen Max Wieder und Hans Engelhard. Neben der „Schönen Literatur“ wurden Werke zu „Geschichte“, „Kunst“, „Politik und Staatswissenschaften“, „Literaturgeschichte“ sowie „Religion, Philosophie, Pädagogik“ auf den Index gesetzt.

Allein die Liste „Schöne Literatur“ wies rund 130 Namen auf, von Bertolt Brecht und Alfred Döblin über Ernest Hemingway, Alfred Kerr, Heinrich Mann und Erich Maria Remarque bis zu Anna Seghers und Stefan Zweig. Manchmal galten nur einzelne Werke als „undeutsch“ – oder waren ausdrücklich vom Verbot ausgenommen. Die Listen wurden laufend ergänzt, waren für die Studenten aber nicht verbindlich.

Am 6. Mai rückte vor Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft im Tiergarten gleich eine Hundertschaft Studenten mit Lastwagen an, plünderte die Bibliothek und ließ das Haus verwüstet zurück. Weitere Ziele waren Stadt- und Volksbibliotheken, private Leihbüchereien und Buchhandlungen. Die Staats- und Universitätsbibliotheken blieben meist verschont.

Mit SA-Uniform in den Hörsaal

Für das, was am 10. Mai mit den Büchern geschehen solle, gab es klare Anleitungen der DSt. In Berlin begann jener Mittwochabend um 19 Uhr mit der Antrittsvorlesung des neuen Ordinarius für Philosophie und politische Pädagogik, Alfred Baeumler, in einem Hörsaal der noch nach ihrem Gründer Friedrich Wilhelm III. benannten Humboldt-Universität. Auch sie richtete sich „Wider den undeutschen Geist“, dazu passte die studentische Abordnung, die in SA-Uniform und mit Hakenkreuz-Fahne Baeumlers Lesepult flankierte.

Nach der Vorlesung versammelte man sich auf dem Hegelplatz hinter dem Universitätsgebäude, marschierte über Kupfergraben und Museumsinsel zu Büchersammelstelle, einem Studentenheim in der Oranienburger Straße 18. Die weit mehr als 20.000 Bände waren bereits auf Lastwagen verladen worden. Fackeln wurden nun verteilt, und auf das Kommando eines SA-Mannes zog die auf mehrere tausend Menschen angewachsene Menge los, vorneweg Professoren in Talaren, dahinter NS-Studierende, SA, SS, Burschenschaften und Hitlerjugend, überragt von einer mitgeführten Büste Hirschfelds.

Berittene Polizei als Eskorte

Über das Oranienburger Tor, die Hannoversche, die Luisen- und die heutige Reinhardtstraße ging es zum Reichstag, dann durchs Brandenburger Tor Richtung Opernplatz, nun eskortiert von berittener Polizei. Auf dem Platz war ein Holzstoß aufgeschichtet worden, Feuerwehr stand mit Benzinkanistern bereit, denn es regnete in Strömen.

Auch Propagandaminister Joseph Goebbels nahm an der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz teil und hielt eine Rede vor den Studierenden.

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Beim Vorbeimarsch flogen erst die Fackeln auf den rasch entflammten Scheiterhaufen und ab 23.30 Uhr, nach einer Rede des Berliner DSt-Führers Herbert Gutjahr, die ersten Bücher. Einzelne Studenten traten vor und warfen die Werke besonders verhasster Autoren ins Feuer, begleitet von vorgegebenen „Feuersprüchen“ etwa gegen den Verfasser von „Im Westen nichts Neues“: „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.“

Die Bücher von den Lastwagen wurden nun stapelweise ins Feuer geworfen. Auch Propagandaminister Joseph Goebbels war inzwischen erschienen, zeigte sich „vor dem Scheiterhaufen der von Studenten verbrannten Schmutz- und Schundbücher“ bei seiner Rede „in bester Form“, wie er im Tagebuch notierte. Mit seinem Auftritt gab er dem Autodafé einen fast staatlichen Anstrich.

Die SA-Blaskapelle, die den Fackelmarsch begleitet hatte, spielte nun „Volk ans Gewehr“, anschließend das „Horst-Wessel-Lied“, und die Studenten sangen lauthals mit. Die Bücher waren da nur noch ein rauchender Aschehaufen.

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