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Farbenprächtig leuchtet der Morgenhimmel vor Sonnenaufgang über dem deutsch-polnischen Grenzfluss Oder. Doch der Schein trügt.

© dpa/Patrick Pleul

„Bislang wurde gemauert“: Brandenburger Politik verlangt transparentes Oder-Kataster

Brandenburgs Landtag berät über Ursachen und Konsequenzen aus dem Fischsterben an der Oder. Man müsse wissen, wer wo was und wie viel einleite.

Die Brandenburger Politik drängt auf Aufklärung und Konsequenzen aus dem massenhaften Fischsterben an der Oder, bei dem in Deutschland und Polen inzwischen etwa 200 Tonnen Fischkadaver eingesammelt wurden. „Ob Fischer, Angler oder andere Flussanrainer: Wir fordern ein öffentlich einsehbares Oderkataster, in dem alle Einleitgenehmigungen und Einleitungen nachvollzogen werden können“, sagte Gernot Schmidt, SPD-Landrat von des Kreises Märkisch-Oderland, der mit seinem 80 Kilometer langen Flussabschnitt betroffen ist, am Dienstag dieser Zeitung.

„Bislang wurde gemauert. Doch Transparenz ist nötig.“ Man müsse wissen, wer wo was und wie viel einleite und was das etwa bei Niedrigwasser bedeute. „Der Bund, Polen und Brandenburg müssen so schnell wie möglich ein solches Oderkataster auflegen.“

Schmidt war einer der Experten und Verantwortlichen, die am Dienstag – unmittelbar nach Ende der parlamentarischen Sommerpause – in einer Sondersitzung des Umweltausschusses im Landtag zum Fischsterben Rede und Antwort standen. Er gilt sonst als Kritiker von Umweltminister Axel Vogel (Grüne) und des Landesumweltamtes, im Konflikt um Biber und Wölfe.

Doch diesmal gab es Lob von Schmidt. Im Zusammenhang mit dem Fischsterben habe er „keine Kritik an der Landesebene“, sagte Schmidt. Zur Forderung nach einem solchen Kataster gibt es mittlerweile breite Unterstützung in der Politik sowie beim Angler- und Fischereiverband. Auch Ausschusschef Wolfgang Roick, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sprach sich dafür aus.

[Erinnerungen an die Oder: Quicklebendige Fische und unendliche Weite (T+)]

Im Landtag äußerte sich auch Brandenburgs Umweltminister Vogel. Das Fischsterben haben „ein gigantisches Ausmaß“, sagte er. Allein in Brandenburg seien inzwischen über 113 Tonnen Kadaver gesammelt worden, die in Müllverbrennungsanlagen etwa in der Raffinerie PCK in Schwedt als Sondermüll entsorgt würden.

Zwei Jahresmengen Fisch für den Sondermüll

„Im Verhältnis dazu haben wir zwölf Fischerei-Familienbetriebe im brandenburgischen Abschnitt der Oder, die pro Woche eine Tonne Fisch verarbeiten“, sagte Vogel. „Das heißt, dass wir schon zwei Jahresmengen Fisch, die normalerweise verarbeitet werden, als Sondermüll entsorgen mussten“. Das tue weh.

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Nach Aussagen von Uwe Brämick vom Institut für Binnenfischerei hat die Oder in Brandenburg mit dem Fischsterben schätzungsweise die Hälfte der Fischbestände verloren. „Eine Erholung kann nicht in wenigen Wochen und Monaten erfolgen“, sagte Brämick. „Die Folgen werden mehrere Jahre spürbar sein.“

Laut Vogel ist mittlerweile klar, dass es am 28.Juli in Höhe des polnischen Breslau ein Fischsterben gab, über das Polen entgegen des internationalen Warn- und Alarmplans für die Oder nicht informiert habe. Ein Ereignis von internationaler Bedeutung sei dort als „lokales Ereignis“ eingestuft worden, Verantwortliche hätten wegen der Fehleinschätzung dort ihre Posten verloren.

„Wir wissen, dass das Salz aus Polen kommt“

Vogel betonte, dass der internationale Warn- und Alarmplan für die Oder „dringend überarbeitet“ werden müsse. Bisher müssten etwa höhere Salzfrachten nicht gemeldet werden. „Ich möchte niemanden einen schwarzen Peter zuschieben“, sagte Vogel. In den letzten Tagen hatte sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland verschärft, hatte Polens Umweltministerin Anna Moskwa der deutschen Seite das Verbreiten von Fake News vorgeworfen.

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Dennoch ist mittlerweile gesichert, dass ungewöhnlich hohe Salzfrachten aus Polen, wohl aus einem geöffneten Rückhaltebecken stammend, sowie die Ausbreitung von toxischen Stoffen durch eine Algenblüte, die so genannte Goldalge, das Fischsterben befördert haben. Die genaue Herkunft des Salzes kenne man zwar nicht, sagte Vogel. „Wir wissen, dass es aus Polen kommt.“

Er wies auch auf die aktuelle Verbindung zu den hohen Wassertemperaturen und den niedrigen Wasserständen an der Oder hin und auf ohnehin hohe Schadstoffbelastungen im Fluss. „Das Algentoxin ist die Ursache, die zu allen Befunden passt“, sagte Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

„Da kommen einem die Tränen in die Augen“

Wolter erklärte, dass die Bedingungen, die die Alge befördern, weiterhin bestehen bleiben. „Es kann wieder passieren.“ Er fordert deshalb weitreichendere Konsequenzen: „Wir müssen den Fluss widerstandsfähiger machen für die Folgen des Klimawandels.“

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Dazu gehöre auch das Ausweisen natürlicher Hochwasserflächen, das Erhöhen der Fließgeschwindigkeit, was auch das Algenwachstum bremse. „Die Oder zu vertiefen, steht dem diametral entgegen“, sagte Wolter mit Blick auf den von Polen geplanten Oder-Ausbau. Jede Alge kann sich an einem Tag verdoppeln, ergänzte sein IGB-Kollege Jan Köhler. Es gehe um exponentielles Wachstum.

Besonders gravierend sind die Auswirkungen auch auf den Nationalpark Unteres Odertal, des einzigen Flussauen-Nationalparks in Deutschland. Dessen Chef Dirk Treichel berichtete auch von massenhaft abgestorbenen Muscheln und Schnecken. Es seien auch Kadaver von 30 bis 40 Jahre alten Welsen aufgesammelt worden, sagte Treichel. „Da kommen einem die Tränen in die Augen.“

Auch das Wiederansiedlungsprojekt für Störe in der Oder habe einen „herben Rückschlag“ erlitten. Treichel plädierte ebenfalls mit Blick auf die Debatte über den Ausbau der Wasserstraße eindringlich dafür, stattdessen die Oder als Gesamtökosystem zu betrachten und zu stärken.

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