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Die Weideflächen im Neubaugebiet Lichterfelde-Süd sollen den Verlust von Brachflächen ausgleichen.

© Mike Wolff TSP

Einzahlen ins „Ökokonto“: Berlin sucht nach Ausgleichsflächen für Bauprojekte – auch in Brandenburg

In einigen Bezirken gibt es kaum noch Flächen für Naturschutz-Maßnahmen als Ausgleich für Bauprojekte. Deswegen scannt der Senat jetzt systematisch seine Liegenschaften.

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Das Ziel von 200.000 neuen Wohnungen in Berlin hängt nicht nur an der Bauwirtschaft, dem Angebot an Bauflächen, an Kreditzinsen und Baukapazitäten. Es hängt auch an brach liegenden Bahndämmen, an Flachwasserzonen, Streuobstwiesen, Weideflächen und Unterkünften für die gefährdeten Berliner Zauneidechsen und Kreuzkröten.

Genügend Bauflächen gebe es in Berlin, sagte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) schon vor einem Jahr. Völlig unklar ist dagegen, ob auch ausreichend Platz für die gesetzlich vorgeschriebenen „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ vorhanden ist. Damit soll der Verlust von Flora und Fauna kompensiert werden.

Der Geschäftsführer der landeseigenen Immobilienmanagement-Gesellschaft (BIM), Sven Lemiss, geht davon aus, dass die Flächen in Berlin dafür nicht reichen. „Wir brauchen eine Gesetzesänderung, damit wir auch in Brandenburg aktiv werden können“, sagte Lemiss dem Tagesspiegel. Die Senatsverwaltung für Umwelt sieht dafür aktuell aber keine Grundlage. Kompensationen in Brandenburg sollten die Ausnahme bleiben, allein schon wegen der „komplexen, zeitaufwendigen Abstimmungsprozesse mit zahlreichen einzubeziehenden Akteuren und Genehmigungsbehörden“.

Wir brauchen eine Gesetzesänderung, damit wir auch in Brandenburg aktiv werden können

Sven Lemiss, Berliner Immobilienmanagement (BIM)

Die BIM sucht im Auftrag des Senats derzeit systematisch nach landeseigenen Flächen, die sich für den naturschutzrechtlichen Ausgleich eignen. Eine neue Aufgabe für das Unternehmen, das sich normalerweise mit Instandhaltung von Gebäuden und der Nachnutzung von Grundstücken beschäftigt. Das Scannen und Identifizieren von Kompensationsflächen sei aber vom vorhandenen Personal zu bewältigen, sagt Lemiss.

Anlass für die Suche war der dringend benötigte Neubau mehrerer Feuerwachen am südöstlichen Stadtrand. Die Suche nach Ersatzflächen zum Aufforsten oder Anlegen von Trockenrasen erwies sich als schwierig. In Treptow-Köpenick werden derzeit viele Wohnungen gebaut, Ersatzflächen sind ein knappes Gut geworden.

Der Senat hat schon vor Jahren die Errichtung eines „gesamtstädtischen Kompensationsmanagements“ beschlossen, zentrale Idee ist dabei, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu realisieren, bevor die zu kompensierenden Bauprojekte angelaufen sind. So sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Mit den Naturschutzprojekten werden dann sogenannte „Ökokonten“ gefüllt, von denen Bauherren später einfach geeignete Ausgleichsprojekte abbuchen können.

Der Lankegrabenteich in Lankwitz ist ein Pilotprojekt der „Blauen Perlen für Berlin“.

© Stiftung Naturschutz Berlin/Pamela Rall / Stiftung Naturschutz Berlin/Pamela Rall

Erste Ökokonten sind bereits eingerichtet. Die BIM hat eine ehemalige Bezirksgärtnerei in Tempelhof-Schöneberg ausgemacht, für die es keine Nachnutzung gab. „Nach dem Abriss der dortigen Gebäude und Gewächshäuser und der Entsiegelung von Wegen sollen Trockenrasen und Frischwiesen mit Feldgehölzen angelegt werden“, teilt die Senatsumweltverwaltung mit.

Besonders wertvoll ist die Entsiegelung, denn während der Ersatz von Bäumen oder Teichen auf vorhandenen Grünflächen vorgenommen werden kann, ist der Verlust von Vegetationsfläche streng genommen nur durch die Entsiegelung von gleich großen Flächen auszugleichen. „Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen müssen immer funktionsbezogen sein, sich also auf das jeweilige Schutzgut beziehen: Wenn Bäume gefällt werden, müssen Bäume neu gepflanzt werden; wenn Wiesen asphaltiert werden, sollen versiegelte Flächen entsiegelt und zu Wiesen aufgewertet werden“, schreibt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Die Senatsverwaltung für Umwelt widerspricht dieser Darstellung. „Die durch Eingriffe beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes müssen möglichst ähnlich wiederhergestellt werden“, erklärt die Senatsverwaltung auf Anfrage. Wird Boden versiegelt, könne das beispielsweise auch durch „Wiedervernässung von Standorten oder die Neuanlage strukturreicher Waldränder“ ausgeglichen werden.

900
Hektar Fläche haben die Berliner Stadtgüter in Brandenburg mit Naturschutzprojekten belegt

Weitere Ökokonten der BIM könnten auf einem ehemaligen Polizeigelände an den Margaretenhöhe in Lichtenberg und an einem Ex-Berufsschulgebäude an der Wilbergstraße in Pankow entstehen. Jedes Ökokonto-Vorhaben muss vom Portfolioausschuss – dort sind verschiedene Senatsverwaltungen und die Bezirke vertreten – durchgewinkt werden, denn damit ist jede andere Nutzung längerfristig ausgeschlossen. „Wir bereiten alles vor, entscheiden müssen andere“, sagt Lemiss.

Das Ökokonto „Blaue Perlen für Berlin“ umfasst rund 30 kleine Gewässer

Die Senatsumweltverwaltung hat die Malchower Auenlandschaft fürs Ökokonto reserviert. Dort könnten Gräben renaturiert, Hecken gepflanzt und Ackerflächen weniger intensiv bewirtschaftet werden. Im „Biotopverbund Wuhletal“ in Marzahn-Hellersdorf soll die Artenvielfalt „durch die ökologische Aufwertung der waldartigen Vegetation verbessert werden“. Das Ökokonto „Blaue Perlen für Berlin“ umfasst rund 30 kleine Gewässer, die ökologisch aufgewertet werden. Die Kosten dafür werden später von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ersetzt.

Die grenzüberschreitende Kompensation von Bauprojekten in Brandenburg ist bislang eher die Ausnahme, weil gesetzlich vorgeschrieben ist, Naturausgleich möglichst vor Ort zu schaffen. Ein Pilotprojekt ist das große Neubauquartier auf dem ehemaligen US-Truppenübungsplatz in Lichterfelde-Süd.

Dort BUND hat die Pflege der ökologischen Ausgleichsflächen übernommen, darunter rund 20 Hektar Ackerfläche in Brandenburg, die den Berliner Stadtgütern gehört. Der Acker wurde in eine offene Weidelandschaft für Pferde umgewandelt.

Die Groth-Gruppe und Degewo als Bauherren von 2500 Wohnungen, Kitas und einer Schule wollen hier mehr als 900 Millionen Euro investieren, davon ist für die Naturschutzmaßnahmen „eine zweistellige Millionensumme“ eingeplant. Die Bauherren finanzieren die Naturprojekte für den Zeitraum von 25 Jahren; wie es dann weitergeht, ist offen.

Die Berliner Stadtgüter bieten Bauherren „Komplettleistungen“ an

Die landeseigenen Stadtgüter bieten Bauherren „Komplettleistungen von der Planung und Herstellung über die behördliche Abnahme bis zur langfristigen Pflege an“, das sei inzwischen ein „wichtiges Geschäftsfeld“, sagt Stadtgüter-Bereichsleiterin Daniela Kurtzmann.

Auf einer Fläche von 900 Hektar seien seit den 1990er Jahren Ausgleichsmaßnahmen realisiert worden, bald laufen die Pflegezeiten der ersten Projekte aus. Nicht mehr im Angebot seien derzeit Aufforstungen, sagt Kurtzmann.

Bisher sie man „vorwiegend für Brandenburger“ Bauträger aktiv, es kämen aber auch vermehrt Anfragen aus Berlin. Dann wird es allerdings kompliziert, weil Bauherren nachweisen müssen, dass sie sich vergeblich um Ersatzflächen in Berlin bemüht haben und die Umweltbehörden zweier Bundesländern mitspielen müssen.

Rund 600 Hektar stünden für diverse Kompensationsmaßnahmen kurzfristig zur Verfügung, sagte Kurtzmann, teilweise sind das verpachtete Agrarflächen, die in sogenannten Flächenpools zusammengefasst sind. Die größte Pool-Fläche sind 370 Hektar am Autobahnkreuz Schönefeld.

Wenn die Pächter Brutplätze für Feldlerchen einrichten oder Blühstreifen anlegen, bekommen sie dafür Geld aus dem Ausgleichstopf. Eine sichere Einnahmequelle, die unabhängig von Marktpreisen für Getreide oder Milch sprudelt.

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