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Radfahrer transportieren immer häufiger Waren auf den Straßen Berlins. Das ist ein gefährlicher Job, denn gesicherte Radwege sind selten.

© IMAGO/snapshot-photography/T.Seeliger

Tempo, Tempo!: Ohne Fahrrad geht in Berlin zukünftig nichts mehr

Klimaneutraler Wirtschaftsverkehr sei ohne Räder und E-Bikes nicht möglich, schreibt unser Gastautor. Das müsse sich der Senat endlich auf seine Fahnen schreiben

Ein Gastbeitrag von Sven Irmer

Der Schlachtruf Berlins in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war „Tempo, Tempo!“ Tempelhof war das größte Luftdrehkreuz Europas. Die erste Ampel stand am Potsdamer Platz. Alle Welt blickte nach Berlin. Und heute? Die Europäische Kommission hat Anfang Oktober im spanischen Sevilla eine umfassende Erklärung zur Förderung des Radverkehrs abgegeben. Der Radverkehr, so der Tenor, biete der Wirtschaft in der gesamten Europäischen Union gewaltige Mehrwerte.

Alle Mitgliedstaaten sollten laut Kommission nun mit Hochdruck sichere und zusammenhängende Radverkehrsnetze in den Städten etablieren, die Ladeinfrastruktur ausbauen, flächendeckend Ladezonen und sichere Abstellplätze für E-Bikes und E-Mopeds einrichten. Die Komplexität der Anforderungen an eine zeitgemäße Verkehrspolitik zeigt, dass Berlin das Klein-Klein hinter sich lassen muss.

Im Straßenverkehr gilt das Recht des Stärkeren

Das Verantwortungs-Ping-Pong zwischen Senats- und Bezirksebene muss ein Ende haben. Sonst werden weitere Mobilitätsexperten wie Arne Petersen, Kurzzeitchef der städtischen GB infraVelo, der Stadt den Rücken kehren.

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Seit Jahren werden immer mehr Waren in Berlin auf zwei Rädern transportiert. Warmes Essen, Lebensmittel und sogar rezeptfreie Medikamente kommen emissionsfrei zu den Berlinerinnen und Berlinern. Auch Getir/Gorillas setzt voll auf E-Bikes und E-Mopeds. Wir sehen täglich in unserer Arbeit auf den Straßen Berlins, welche Vorteile diese emissionsfreie und platzsparende Auslieferung von Waren mit bietet.

Radverkehr ist auch Wirtschaftsverkehr.

Sven Irmer, Head of External Affairs bei Getir-Gorillas

Unsere Rider müssen sich in Berlin aber immer noch in einen Großstadtdschungel stürzen, in dem das Recht des Stärkeren gilt, in dem Konfrontation und nicht Miteinander den Alltag bestimmt. Schuld daran ist auch die lange Auseinandersetzung um den Berliner Stadtraum, Auto gegen Fahrrad, Fahrrad gegen Fußgänger, privater Verkehr gegen ÖPNV, Innenstadt gegen Außenbezirke.

Ein Radfahrer im Rückspiegel eines Autos. Im Berliner Verkehr gilt das Recht des Stärkeren.

© imago/Jürgen Ritter

Seit April 2023 wird Berlin von einer Großen Koalition regiert. Seitdem herrscht Unsicherheit bei allen Akteuren, wie die Verkehrspolitik konkret ausgestaltet werden soll. Jetzt ist der perfekte Moment für den Berliner Senat, die in der Stadtgesellschaft aufgerissen Gräben beherzt zuzuschütten und der Verkehrspolitik eine klare Richtung zu geben. Denn Radverkehr ist auch Wirtschaftsverkehr – ein Punkt, der im alten, sehr fahrradfreundlichen Berliner Mobilitätsgesetz unterbelichtet geblieben ist. Die Potenziale liegen buchstäblich auf der Straße:

Berlin braucht Logistik-Hubs an allen großen Bahnhöfen, um das Verladen von Waren auf Minitransporter, E-Bikes, E-Mopeds und Lastenräder zu ermöglichen. Doch seit Jahren stocken die Verhandlungen über die dafür benötigten Flächen mit der Bahn. Der Senat sollte jetzt diesen Gordischen Knoten endlich zerschlagen.

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Mehr Sicherheit ist die unabdingbare Voraussetzung für eine flächendeckende Nutzung von Fahrrädern für die Warenauslieferung. Der Umbau des Tempelhofer Damms zeigt, dass es gelingen kann, Zweiradverkehr neben dem Auto zu etablieren. Mit Tempo 30 funktioniert das Nebeneinander, wenngleich in den nächsten Jahren weitere Verbesserungen mit den gesammelten Erfahrungen vorgenommen werden müssen.

Quartiere müssen umgebaut werden

Der Streit um die Friedrichstraße oder die aktuelle Diskussion um die Kantstraße zeigen, dass Berlins Verkehrspolitik einen Neustart braucht. Es genügt eben nicht, einfach einen zweieinhalb Meter breiten Fahrbahnstreifen grün einzufärben und mit Pollern vom Autoverkehr abzugrenzen. Gute Verkehrspolitik kann nur sektorübergreifend erfolgreich sein: Verkehr muss fließen können, allein schon für Feuerwehr und Rettungsdienste.

Berlins Quartiere müssen so umgebaut werden, dass sie lebenswert sind, sicher und emissionsarm befahren werden können, Abstellflächen und Ladezonen bereithalten und attraktiv für Einzelhandel und Gastronomie sind. Gleichzeitig müssen die Anforderungen des Klimawandels berücksichtigt werden. Wasser muss gespeichert und zur Bewässerung des Stadtgrüns wieder abgegeben werden können.

Der Senat sollte einen Mobilitäts-CEO einsetzen, der mit weitreichenden Befugnissen und Durchgriffsrechten ausgestattet ist, um den Umbau der Stadt kraftvoll voranzutreiben.

Sven Irmer, Head of External Affairs bei Getir-Gorillas

Mobilitätsdienstleister wie Getir/Gorillas sammeln große Mengen an wertvollen Daten über die Verkehrs- und Lieferströme in Berlin. Wir sind bereit, diese Daten mit der Stadt zu teilen, um einen sinnvollen Beitrag für eine lebenswerte Stadt und mehr Sicherheit im Radverkehr auf Berlins Straßen zu ermöglichen. Ich bin mir sicher, dass das andere Anbieter auch tun würden.

Die Große Koalition aus CDU und SPD in Berlin sollte den Mut haben, auch groß zu denken. Der Senat sollte einen Mobilitäts-CEO einsetzen, der mit weitreichenden Befugnissen und Durchgriffsrechten ausgestattet ist, um den Umbau der Stadt kraftvoll voranzutreiben. E-Mopeds, E-Fahrräder und Lastenräder sowie die dazugehörige Infrastruktur werden dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Berlin hat zu Recht den Anspruch, als Weltstadt wahrgenommen zu werden. In Sachen nachhaltiger Mobilität ist sie davon aber weit entfernt. Da hilft ein Blick in die Städte, die das Nebeneinander verschiedener Verkehrsträger gut hinbekommen. Nach Kopenhagen zum Beispiel. Dahin gibt es immerhin schon einen Radweg.

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