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Begrünte Holzfassaden, Lieferdrohnen und Vorrang für den Fußverkehr. So könnte das Schumacher-Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel aussehen.

© Tegel-Projekt-GmbH

Schumacher Quartier auf dem Holzweg: Unsichere Finanzierung bringt Pläne ins Wanken

Das Leuchtturmprojekt für nachhaltiges Bauen und Wohnen wird möglicherweise in der geplanten Form nie gebaut. Es gibt dafür keine Finanzierung.

Die Finanzierung des Schumacher Quartiers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel hängt weiter in der Luft. Entsprechende Tagesspiegel-Informationen bestätigte auf Anfrage Dirk Stettner, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Fachpolitischer Sprecher seiner Partei für Bauen & Wohnen sowie „bauende Beteiligungen“. „Es gibt aktuell überhaupt keine Idee, wie man das denn finanzieren soll - Aussage des Senators Geisel“, sagte Stettner unter Berufung auf eine Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Berliner Abgeordnetenhaus am 29. August.

Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel hatte in der Sitzung gesagt: „Uns fehlt da ja Geld für die Finanzierung des Schumacher Quartiers. Und ich habe da einen Vorschlag gemacht, mit dem ich offenbar keine politische Mehrheit finde - ein anderer Vorschlag wäre, über Dichte nachzudenken.

Im geplanten Schumacher Quartier sollen ab 2025 5000 Wohnungen für bis zu 13 000 Menschen entstehen.

© Tegel-Projekt-GmbH

Um über die Menge der zu errichtenden Wohnungen dann die Finanzierbarkeit herzustellen. Bloß: eine Antwort werden wir finden müssen, auf die eine oder andere Weise. Denn das Schumacher Quartier nicht zu bauen, ist auch keine Antwort.“ Geisel hatte zunächst vorgeschlagen, dass landeseigene Wohnungsunternehmen auch in Tegel Eigentumswohnungen bauen und verkaufen, um künftig damit niedrige Sozialmieten im Neubau zu finanzieren. Wegen der stark angestiegenen Materialpreise hatte der Gesobau-Geschäftsführer (und Sprecher der Berliner Wohnungsbaugesellschaften) Jörg Franzen im Juni kritisiert, dass der verteuerte Bau von günstigem Wohnraum schwer realisierbar sei - und brachte den Vorschlag, die Kosten durch den Bau von Eigentumswohnungen auszugleichen.

Steigende Kosten stellen die bisherige Planung in Frage

Unter dem Schlagwort „Bezahlbarkeit gesichert“ hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen - Referat IIB Projektentwicklung Tegel und Tempelhof noch im April in einer Präsentation eine hälfige Verteilung der Aufgaben so vorgesehen: 50 Prozent werden von städtischen Wohnungsbaugesellschaften umgesetzt, davon fünfzig Prozent gefördert, fünfzig Prozent sind für gemeinwohlorientierte Bauherren vorgesehen (Umsetzungen mit 30 Prozent Förderanteil bei Projekten von über 3000 qm Bruttogrundfläche/BGF vorgesehen für Genossenschaften, Baugruppen und Sonderformen wie z.B. studentisches oder betreutes Wohnen). Von einer Beteiligung privater Projektentwickler und Bauherren ist im Schumacher Quartier aktuell nicht die Rede.

Jörg Franzen sagte auf Anfrage zur Kostensituation: „Allein für das Thema Holzhybrid rechnen wir mit ungefähr 20 Prozent Mehrkosten.“ Die Tegel Projekt GmbH versuche, diese Mehrkosten über einen zentralen Holzeinkauf und eine zentrale Verarbeitung über ein Spezialunternehmen, das Module zur Verfügung stellen kann, zu reduzieren. „Vor dem Hintergrund der massiven Veränderungen durch die Kriegssituation und die damit verbundenen Kostensteigerungen, auch aufgrund der Zinsentwicklung auf dem Kapitalmarkt seit Januar 2022, kann es jedoch notwendig werden, die bisherigen Planungen noch einmal auf den Prüfstand stellen“, sagte Franzen. Weitere Mehrkosten würden durch andere geplante Faktoren entstehen, wie z.B. das LowEx-Wärmenetz, Fassaden-Photovoltaik und -Begrünung sowie Unterkellerung.

Der Kostendruck erhöht sich auch deshalb, weil Berlins Muster-Holzbaurichtlinie verschärft wird, wie die „Koalition für Holzbau“ am Mittwoch kritisierte. Die „Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an Bauteile und Außenwandbekleidungen in Holzbauweise“ (MHolzBauRL)“ stellt demnach zusätzliche Anforderungen an das nachhaltige Bauen mit Holz. „Es gibt für keinen anderen Baustoff eine eigene Richtlinie. Diese ist im Wesentlichen auf längst widerlegbare Brandschutzmythen zurückzuführen. Holz brennt z.B. wesentlich kontrollierter ab, als selbst Stahlbeton“, sagte Reinhard Eberl-Pacan, Brandschutzexperte und Ambassadeur in der „Koalition für Holzbau“ einer Mitteilung zufolge.

Die Musterholzbaurichtlinie wird von einer Arbeitsgruppe im DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) bearbeitet und ist für die Bundesländer dann verbindlich. Berlin hat die Verschärfung am 16. Mai per Verwaltungsrichtlinie umgesetzt. Das Institut ist die Plattform für die sogenannte Bauaufsicht. Hier arbeiten Vertreter der Länder und des Bundes zusammen.

 „Ein ganzes Stadtquartier mit mehr als 5000 Wohneinheiten in Holz!“. So warb die Tegel Projekt GmbH im April für das Schumacher Quartier. Grafik: Tegel Projekt GmbH

© Tegel Projekt GmbH

Nach Auffassung der „Koalition für Holzbau“ wird der Holzbau in der sogenannten Gebäudeklasse 5 (mehrgeschossige Gebäude mit einer Höhe über 13 Meter und z. B. auch Hochhäuser, Krankenhäuser, Hotels, Schulen und andere Sonderbauten) mit sichtbaren Holzoberflächen durch die nochmals verschärften Brandschutzbedingungen nun de facto gar nicht mehr möglich sein. „Wir haben mit unserer aktuellen Holzmodul-Bauweise in Zukunft erstmal keine Chance mehr, Sondergebäude zu bauen in der Gebäudeklasse 5 zu bauen“, kritisiert Lorenz Nagel, Sprecher der Ambassadeure der „Koalition für Holzbau“ die Verschärfungen.

„Allein durch das notwendig gewordene Bekleiden der sichtbaren Holzwände erhöhen sich die Baukosten im schlimmsten Fall um hundert bis zweihundert Euro pro Quadratmeter“, sagt Nagel (Primus developments GmbH).

Ein maximaler Holzanteil ist essentiell für das innovative Konzept

Besonders negativ berührt wären von der Richtlinie die von Geisel nun für Tegel favorisierten Sechs- und Siebengeschosser. „Damit stellt sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit und dem ehrlich gemeinten klimaschützenden nachhaltigen Bauen“, schrieb die „Koalition für Holzbau“ am 25. Juli an Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel. Eine Antwort blieb aus.

„Ausgerechnet der Neubau großer Gebäude wird erschwert, in denen es ohnehin die umfangreichsten Brandschutzkonzepte gibt“, sagt Koalitionär Reinhard Eberl-Pacan. Die „Koalition für Holzbau“ sieht an der Stelle die Politik in der Pflicht. Deshalb hat sie auch alle Länderbauminister angeschrieben und bittet im Sinne der klimapolitischen Ziele die baurechtlichen Hürden ins Machbare zu wandeln. Zugesagt wurde, dass das Thema in der Bauministerkonferenz behandelt wird.

Allein für das Thema Holzhybrid rechnen wir mit ungefähr 20 Prozent Mehrkosten.

Jörg Franzen, Gesobau

Um die Gebäude eines Quartiers klimaneutral zu errichten, muss der Holzbauanteil gemäß der speziellen Bedingungen der Gebäude voraussichtlich über 70 Prozent liegen, sagte Eike Roswag-Klinge (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und Leiter des Fachgebiets Natural Building Lab der Technischen Universität Berlin) in einer Anhörung zur 6. Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen am 25. April 2022. „Die aktuell noch als Holz-Beton-Hybridbauten geplanten Gebäude des Schumacher Quartiers müssen, um innovativ zu bleiben und das Quartier zu einem Holzbau-Quartier zu machen, einen maximalen Holzanteil anstreben und den Betonanteil signifikant reduzieren.“ Auch in dieser Hinsicht steht hinter dem Projekt also ein großes Fragezeichen.

Mit „Berlin TXL - The Urban Tech Republic“ wollen die Eigentümer des knapp 500 Hektar großen Areals, das Land Berlin und der Bund, einen Schritt in die Zukunft urbaner Stadtentwicklung wagen. Aus dem ehemaligen Flughafen mit der prägnanten Sechseck-Architektur, der seit 2019 unter Denkmalschutz steht, soll in den nächsten Jahren ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien entstehen - flankiert von großzügigen Grünflächen.

Etwa 13000 Menschen sollen in den geplanten 5000 Wohnungen leben

Im östlichen Teil des Geländes, zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Kurt-Schumacher-Damm und anliegend an die A111, ist mit dem etwa 48 Hektar großen Schumacher Quartier auch ein neues Wohnviertel mit Schulen, Kitas und Sporteinrichtungen geplant. 5000 Wohnungen für bis zu 13 000 Menschen sollen hier ab 2025 gebaut werden.

Ein Fokus liegt auf einer sozialen Mischung und einem Nebeneinander vieler unterschiedlicher Nutzungen. In der Projekt-Charta heißt es dazu: „Für das Schumacher Quartier besteht der politische Auftrag, im Sinne einer daseinsvorsorgenden Liegenschaftspolitik insbesondere Menschen mit geringem Einkommen mit Wohnraum zu versorgen.“ Die Hälfte wird von den landeseigenen Unternehmen, voraussichtlich Degewo, Gesobau und Gewobag, errichtet; zehn Prozent sind für studentisches Wohnen vorgesehen. Die übrigen 40 Prozent sollen via Erbbaurecht durch Genossenschaften und private Baugruppen gestaltet werden.

Schwammstadtprinzip und Vegetation sorgen für Abkühlung des Quartiers im Sommer

Für deren Einreichungen hatte kürzlich ein öffentliches Konzeptverfahren begonnen. Den Startschuss bildete am 27. Juni eine digitale Informationsveranstaltung, in der die Rahmenbedingungen vorgestellt wurden - etwa die innovativen Parameter, an denen sich die Gestaltung des autofreien Schumacher Quartiers orientieren soll. So ist etwa das Prinzip des Animal Aided Design (AAD) integraler Bestandteil des Konzepts. In den Rahmenbedingungen für die Bewerber sei zum Beispiel vorgegeben, wie viele Nistmöglichkeiten oder Habitate für welche Tierarten auf den Baulosen erfüllt werden sollen, so der Bereichsleiter für Planung und Entwicklung der Tegel Projekt GmbH, Nicolas Novotny. Nach dem Schwammstadt-Prinzip soll durch das Speichern von Regenwasser auch bei Hitze genügend Wasser für Bäume und Pflanzen vorhanden sein und das Quartier abgekühlt werden.

Nicolas Novotny, Prokurist der Tegel Projekt GmbH, sieht durch die steigenden Preise keine Gefährdung des Projektes. In vielen Punkten gehe man neue Wege, was das Schumacher Quartier zu einer wichtigen Chance für zukünftige Wohnkonzepte mache. „Wir haben keine wirklichen Optionen, was den Klimawandel angeht - wir müssen so bauen. Durch die Zusammenarbeit mit den Berliner Forsten lassen sich zum Beispiel Kosten einsparen“, sagte er dazu im Juni dem Tagesspiegel. Das Holz soll aus den umliegenden Wäldern kommen - wo aufgrund der Folgen des Klimawandels statt der bisherigen Monokulturen Mischwälder gefördert werden sollen. Fichten entnehmen und durch Laubbäume ersetzen - das ist das Konzept.

Ambitioniertes Konzept mit Modellcharakter für die Zukunft

Damit würde das Schumacher Quartier nicht nur zum größten urbanen Holzbau-Viertel weltweit, sondern hätte Modellcharakter für das zukünftige Bauen im urbanen Raum. Architektur und Städtebau müssen sich an die Herausforderungen von Klimawandel und Wohnraumknappheit sowie an die sich verändernden Anforderungen an öffentliche und private Räume anpassen. Das ambitionierte Konzept des Schumacher Quartiers verfolgt ein sportliches Ziel: Voraussichtlich ab 2027 sollen die ersten Wohnungen bezogen werden können, wie es auf der Website der Tegel Projekt GmbH heißt.

Zur Verarbeitung des Holzes wollte das Land Berlin „so eine Art Bauhütte aufbauen“ (Dirk Stettner). An eine Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen ist bisher nicht gedacht, sagt der CDU-Bauexperte. Eine Zusammenarbeit könnte indes auch räumlich naheliegen: Die Renggli Deutschland GmbH baut im Technologie- und Gewerbepark Eberswalde Deutschlands größtes Holzmodulwerk. Ab 2023 sollen im Werk Holzmodule die Grundlage für viele klimafreundliche mehrgeschossige Gebäude sein. „Das Werk setzt mit einer Produktionsfläche von 20 000 Quadratmeter neue Maßstäbe“, heißt es in einer Unternehmensmitteilung. Die Renggli AG ist ein in der Schweiz führendes Holzbau- und Generalunternehmen.

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