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Bullerbü ist überall. Die Jungunternehmerin Theresa Mai produziert Mobile Homes. Doch das ist erst der Anfang. Sie will noch größere Räder drehen: Die Gesellschaft soll sich von unten verändern.

© Daniel Zangerl

Wohnen auf dem Lande: Städte werden nicht mehr die Zentren sein

Theresa Mai will das große Ganze im Kleinen ändern: Autarkie ist ihr Zauberwort für Wandel und Selbstbestimmung. Ein Interview

Frau Mai, eine Alternativkultur, wie Sie sie in Ihrem Buch „Wie wir leben könnten“ beschreiben, gab es schon einmal in den 70er Jahren. Wir denken da zum Beispiel an das alternative Schulprojekt Tvind, unter dessen Dach eine Windmühle und neue Lebens- und Unterrichtsformenformen entwickelt wurden – ein Lebensmodell, das von Gemeinschaft und einer stetigen Durchdringung von Theorie und Praxis geprägt war. Ist so ein Leben, dass Sie – autark mit Energie versorgt – anstreben nicht ziemlich anstrengend, vielleicht auch bevormundend?
Ja, gesellschaftlicher Wandel ist nicht bequem, oft sogar ziemlich anstrengend! Ganze Wertesysteme müssen neu gedacht werden: Was macht eigentlich ein gutes Leben aus? Das war vielleicht in den Siebzigern ähnlich. Wir stehen in der Gesellschaft im Moment auch wieder vor extrem herausfordernden Zeiten. Viele Menschen suchen nach neuen Antworten, stellen sich ähnliche Fragen: Wo rennen wir da im Moment eigentlich hin? Wollen wir das so?

Man spürt, dass es Zeit ist für neue Wege. Für mich geht es da im Grunde um Emanzipation, ähnlich wie in der Aufklärung: die Selbstermächtigung des eigenen Verstandes. Hier hat Autarkie auch viel mit mit der Frage zu tun, wie ich mein Leben wieder selbst in die Hand nehme, so aufstellen und organisieren kann, dass es mir guttut. Ja, Selbstermächtigung ist nicht bequem, es ist das Gegenteil von Konsum und es braucht Pioniergeist. Gleichzeitig ist es auch das Allerschönste. Damit kann man sehr viel Bestätigung holen und man kann als Mensch wachsen.

Wie stark ist Ihr Wunsch nach Autarkie vom Klimawandel getrieben, wie stark werden Sie von gesellschaftspolitischen Überlegungen vorwärts gebracht? 

Mich persönlich treibt der gesellschaftliche Wandel mehr um als der Klimawandel. Ich bin in der Natur groß geworden. Für mich war Klimaschutz immer eine selbstverständliche Basis: Energiesparen, Mülltrennung – das alles war und ist für mich normal. Zum Schreiben dieses Buches hat mich der Gedanke motiviert, einen gesellschaftlichen Wandel „von unten“ anzustoßen und Lust zu machen, darüber nachzudenken. Stellen wir uns auf die eigenen Füße! Der Gedanke der Autarkie ist in der Hinsicht auch ein hoch politischer Akt.

 Theresa Mai (31) gründete die Firma „Wohnwagon“, die Tiny Houses auf Rädern baut. Die Österreicherin entwickelt mit ihrem Team Autarkie-Systeme in der Gemeinde Gutenstein.
Theresa Mai (31) gründete die Firma „Wohnwagon“, die Tiny Houses auf Rädern baut. Die Österreicherin entwickelt mit ihrem Team Autarkie-Systeme in der Gemeinde Gutenstein.

© Daniel Zangerl

Sie idealisieren in Ihrem Band stark das Dorfleben, womöglich weil Sie einen Ort und eine Gemeinschaft gefunden haben, in denen Sie sich wohlfühlen. Es ist buntes, genossenschaftliches „Bullerbü“, das Sie da beschreiben. Wie könnte ein Stadtumbau aussehen, wenn Sie hier ein Eingangskapitel schreiben wollten? Nicht ein Jeder, eine Jede kann auf Land ziehen.

Ich sehe auch in der Stadt viele Entwicklungen, die Zukunft anders zu gestalten als bisher. Er gibt schon viele Räume für Natur in der Stadt, von Dachbegrünungen bis Fassadengestaltung. Man kann Parkplätze gegen Hochbeete tauschen. Da gibt es doch ganz wunderbare Utopien für die Städte der Zukunft, die sicher deutlich grüner, deutlich autofreier seien werden. Was notwendig ist, denn sonst kann keiner mehr dort leben.

Gibt es bei Ihnen Homeoffice-Arbeiter, die von der Pandemie in Ihr genossenschaftliches Projekt getrieben wurden?
Städte werden nicht mehr das notwendige Zentrum sein, das man braucht, um ein Auskommen zu haben. Die Stadt ist und bleibt ein Teil des Wirtschaftssystems, doch ohne dort sein zu müssen. Das macht den ländlichen Raum als wirtschaftlichen Arbeitsraum spannender. Ja, wir haben einige Coworking-Plätze. Warum soll man mit dem Auto pendeln, wenn man in der Natur auch so seine Arbeit machen kann?

Ab 100 000 Euro aufwärts. Wohnwagen wie dieser zeigen, wie autarkes Wohnen auch auf kleinstem Raum aussehen kann. Die Biotoilette ist natürlich ein Muss, Photovoltaik-Inselanlage, Solar-Zentralheizung und natürliche Baustoffe – Schafwolle, Lehmputz, regionales Holz – schaffen Freiräume für Mensch und Natur. Das Fahrgestell für dieses Modell (www.wohnwagon.at) ist für 80 km/h zugelassen. Das Budget entscheidet über eine der Größenvarianten: 7 mal 2,5 Meter oder 10 mal 2,5 Meter oder 10 mal 2,5 Meter mit ausziehbarem Erker (3,3 mal 2 Meter). Die mobilen Häuser mit Loft-Charakter werden in einer kleinen Manufaktur in Niederösterreich gebaut. Mit einem Vorschaltgerät kann eine Waschmaschine an das Warmwasser angeschlossen werden, das im Wohnwagen über Sonne und Holz erzeugt wird.
Ab 100 000 Euro aufwärts. Wohnwagen wie dieser zeigen, wie autarkes Wohnen auch auf kleinstem Raum aussehen kann. Die Biotoilette ist natürlich ein Muss, Photovoltaik-Inselanlage, Solar-Zentralheizung und natürliche Baustoffe – Schafwolle, Lehmputz, regionales Holz – schaffen Freiräume für Mensch und Natur. Das Fahrgestell für dieses Modell (www.wohnwagon.at) ist für 80 km/h zugelassen. Das Budget entscheidet über eine der Größenvarianten: 7 mal 2,5 Meter oder 10 mal 2,5 Meter oder 10 mal 2,5 Meter mit ausziehbarem Erker (3,3 mal 2 Meter). Die mobilen Häuser mit Loft-Charakter werden in einer kleinen Manufaktur in Niederösterreich gebaut. Mit einem Vorschaltgerät kann eine Waschmaschine an das Warmwasser angeschlossen werden, das im Wohnwagen über Sonne und Holz erzeugt wird.

© Daniel Zangerl

Ihr Gegenentwurf beschreibt im Idealfall eine Insel der Glückseligen. Selbstbestimmt und autark in allen Lebenslagen schreiten Sie voran. Wenn Sie die drei größten Rückschläge und die drei größten Erfolge benennen sollten – welche wären das? Wären das eher Niederlagen und Erfolge, die Sie mit Technik in Verbindung bringen würden, mit Trockentoiletten und Solaranlagen, oder mit der Form Ihres Zusammenlebens in einer Genossenschaft?
Natürlich gibt es immer wieder technische Herausforderungen: Autarke Wasserkreisläufe, unabhängige Stromversorgung, Toiletten ohne Kanalanschluss – da gab es vieles zu entwickeln! Für mich waren das aber immer die einfacheren Aufgaben, denn da geht's um die Sache, nicht um mich. Herausfordernder ist es, die Themen rund um ein neues Miteinander zu lösen, eine Form zu finden, um in dieser „neuen Welt“ nicht wieder in ein Konsumdenken zu verfallen. Es gibt viele Menschen mit der Vorstellung: Wow – da entsteht was Neues, jemand hat sich etwas Tolles ausgedacht: Dann konsumiere ich diese neue Welt und alle meine Probleme sind gelöst! So ist es leider nicht. Selbstbestimmung erfordert sehr viel von jedem Einzelnen, ich bin da nicht ausgenommen. Es ist immer wieder die Challenge in einem Modus zu kommen, wo die Menschen selbst agieren, statt zu konsumieren.

Klein aber mein. Selbstbestimmtes Leben bedeutet Konzentration auf das Wesentliche: Ein Tisch, ein Stuhl, ein Glas Rotwein.
Klein aber mein. Selbstbestimmtes Leben bedeutet Konzentration auf das Wesentliche: Ein Tisch, ein Stuhl, ein Glas Rotwein.

© Daniel Zangerl

Sie bieten Ihrem Leser nicht das Du an, sondern eher das Wort „Ich“: Wie groß ist in Ihrer Generation der Gemeinsinn, wie klein das Ego? Wen können Sie sich in einem solchen Projekt nicht vorstellen und wer wäre dessen besonders bedürftig?
Wir alle sind das Thema Gemeinschaft nicht mehr gewohnt. Das Zusammenleben in unseren Dörfern ist immer weniger geworden über die letzten Jahrzehnte, weil man es einfach nicht mehr gebraucht hat. In den Städten war es ohnehin schon so. Dort lebt man in sozialen Blasen und im Konsum. Es ist etwas, was man wieder lernen muss, nicht nur in meiner Generation sondern generell. Was uns glücklich macht, ist es als Selbst Teil eines großen Ganzen zu sein. Einerseits selbst wirksam zu sein, mit eigenen sozialen Stärken etwas beizutragen, mitzuarbeiten und kreativ zu sein und zugleich eingebunden zu sein in ein Netzwerk. Beides verhindert aber gerade die Welt, in der wir leben. In den großen Konzernstrukturen ist man nur ein kleines Rädchen und hat nur wenig Chancen, dort wirksam zu sein. Man eckt immer wieder an Entscheidungsstrukturen an, die man nicht versteht und landet in der Freizeit wieder im Konsum. Kein Wunder, dass sich viele Menschen da auf den Weg machen und nach Antworten suchen!

Gibt es bei Ihnen in Österreich keinerlei Konflikte zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, die ganz anders leben wollen?
Konflikte gab es schon vor allem dann, wenn die Alteingesessenen den Eindruck hatten, wir wollten ihnen zeigen, wie Dorf geht. Das wollten wir nicht. Wir sind bewusst nach Gutenstein gekommen, weil das noch ein intaktes Dorf ist. Wir wollen eher nach außen zeigen, wie schön es ist, miteinander zu leben und miteinander zu agieren und gemeinsam etwas zu erschaffen.

In dem energieautarken Dorf Feldheim bei Treuenbrietzen wird die größte Batterie Deutschlands gebaut.
In dem energieautarken Dorf Feldheim bei Treuenbrietzen wird die größte Batterie Deutschlands gebaut.

© Enrico Bellin

Ihr Dorf Gutenstein ist überall, oder könnte es sein. Feldheim im brandenburgischen Treuenbrietzen hat eine ähnlich „revolutionäre Zelle“ gegründet wie Sie: Auch dort hat man sich von fossiler Energie verabschiedet, kocht mit Windstrom und heizt mit Gas aus Mais und Gülle. Demnächst soll auch grüner Wasserstoff aus Windstrom gemacht werden. Wie politisch und wie individuell sind Dörfer wie Feldheim und Gutenstein? Inwieweit sind Modelle übertragbar?
Ich glaube, dass es schon ein hochpolitischer Akt ist, mit dem Thema Wohnen anzufangen und die damit verknüpften Lebensbereiche neu zu denken. Ein Akt, der aber ohne Widerstand auskommt. Wir stehen eben nicht auf der Straße und demonstrieren. Über die Art, wie wir leben und unser Wertesystem organisieren, leben wir auf eine politische Art, die uns guttut, ohne kämpfen zu müssen. Jedes Projekt braucht seinen eigenen „Werkzeugkasten“. Die Lösungen sind alle abrufbar, man kann ganz viel voneinander lernen und Orte für den Austausch, für den Wandel schaffen.

Wären Sie mit dabei, wenn aus Ihren Glaubenssätzen Gesetze würden?
Ich würde es begrüßen, wenn wir einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der den Menschen und die Natur in den Vordergrund stellt. Den Wohnraum zu begrenzen auf eine bestimmte Quadratmeterzahl, würde ich aber sicher nicht sinnvoll finden.

Die Alternativkultur wurde in den siebziger Jahren stark von den Grünen getragen. Baugruppen und Genossenschaften sind heute nicht mehr so klar einer politischen Richtung zuzuordnen.
Das finde ich auch ganz gut so. Was die Szene ausmacht ist: Dass wir wieder ein Verständnis bekommen für die Vielfalt und nicht nur das Soziale oder die Wirtschaft in den Vordergrund stellen, wie Parteien es tun. Dass wir wieder miteinander auskommen müssen, dass wir für Nahrung und Umwelt miteinander Lösungen finden.

— Theresa Mai: Wie wir leben könnten. Autark wohnen, Unabhängigkeit spüren, Gemeinschaft entdecken. Löwenzahn Verlag Innsbruck 2021, 264 Seiten,

gebunden, 24,90 Euro.

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