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Distanz hat im Miteinander nun Priorität, wie hier im brandenburgischen Landtag.

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Wege aus der Coronakrise: Experten fordern Krisenstab des Bundeswirtschaftsministeriums

Wie kann Deutschland aus der Coronakrise kommen? Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften machte Vorschläge. Auch dabei: Der Potsdamer IASS-Direktor Ortwin Renn.

Potsdam - Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hat in einem Positionspapier zur Coronakrise Vorschläge für die Volkswirtschaft sowie für eine sichere Grundversorgung und den Gesundheitsbereich gemacht. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch der Erhalt des sozialen Friedens in Krisenzeiten. Der Direktor des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS, Ortwin Renn, der Präsidiumsmitglied bei acatech ist, äußerte sich dazu nun wie folgt: „Je länger die Einschränkungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens andauern, desto gezielter wird die Politik sich auch um den Erhalt des sozialen Friedens kümmern müssen. Dabei ist vor allem eine offene Informationspolitik wichtig, um Transparenz zu schaffen und Vertrauen für politische Entscheidungen zu gewinnen.“ Renn ist Professor für Technik- und Umweltsoziologie und seit 2016 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam.

Die acatech-Forscher haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sich die unmittelbare Krisenintervention stärken lässt, wie versetzungsrelevante Wirtschaftsbereiche stabilisiert werden können und mit welchen Stimuli sich die Rückkehr aus dem Krisen- in einen Wachstumsmodus vorbereiten lässt. Die allgemeine Einschränkung des sozialen Lebens („Social Distancing“) zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus, sollten nach Ansicht der acatech-Arbeitsgruppe um Reinhard F. Hüttl, Leiter des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam, und Christoph M. Schmidt und jetzt Priorität haben. Andererseits gelte, eine Vollbremsung der Volkswirtschaft unbedingt zu vermeiden, um das Gesundheitssystem zu Höchstleistungen zu befähigen und die allgemeine Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Ortwin Renn.
Ortwin Renn.

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Bundeswirtschaftsministerium sollte Krisenstab einsetzen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Akademie begrüßen deshalb auch die stützenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen, zu denen Kurzarbeit, Liquiditätshilfen und Steuerstundungen gehören: „Diese Hilfen müssen auch schnell und zielgerichtet ankommen.“ Das Bundeswirtschaftsministerium sollte demnach mindestens für den Zeitraum der 24 bis 36 Monate einen Krisen- und Expertenstab einrichten, der die Umsetzung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen überwacht und zeitnahe Empfehlungen zur Nachsteuerung von Interventionen gibt.

In dem Impulspapier entwickelt die Arbeitsgruppe konkrete Vorschläge für drei Handlungsstränge des Krisenmanagements im Zuge der Coronapandemie. Zum einen müssten zunächst zwei Krisen parallel bewältigt werden: die Gesundheitskrise und die aus ihren unmittelbaren Folgen resultierende Wirtschaftskrise. Zudem müssten bei einem möglicherweise länger anhaltenden Herunterfahren der Wirtschaft versorgungsrelevante Bereiche funktionsfähig bleiben, auf deren Stabilität die Gesellschaft besonders angewiesen ist. Als drittes sei es wichtig, auch das Augenmerk auf die Zeit nach der Coronakrise zu legen, um die Volkswirtschaft rechtzeitig aus dem Krisenmodus wieder in einen nachhaltigen Wachstumsmodus zu bringen: „Gerade jetzt müsse Deutschland an innovationspolitischen Zukunftsprojekten festhalten.“

An flächendeckenden Tests führe kein Weg vorbei

Die Wissenschaftler betonen dann auch, dass sich die wirtschaftspolitischen Überbrückungsmaßnahmen des aktuellen Shutdowns nicht unbegrenzt durchhalten lassen. Umgekehrt sei auch ein Ausstieg aus dem Shutdown nur dann vernünftig, wenn eine explodierende Anzahl von Neuinfektionen vermieden wird, heißt es weiter. Mittelfristig führe daher kein Weg an flächendeckenden Tests und einer individuellen Isolierung von Infizierten und Kontaktpersonen vorbei. Dafür sollten dann immunologische Tests eingesetzt werden, um Menschen zu identifizieren, die bereits eine schleichende Infektion hinter sich haben, somit auf absehbare Zeit immun sind – und deshalb wieder ihren Tätigkeiten nachgehen können. „Die Behandlung gefährdeter Bevölkerungsteile ließe sich priorisieren.“ Ebenso könnte der Gefährdungsgrad nach Lockerung des Social Distancing epidemiologisch erfasst werden. „Die Bereitstellung solcher Tests sollte maximal unterstützt werden“, so die Forscher.

Grundversorgung in Deutschland nicht in Gefahr

Für die Experten ist auch klar, dass gutes Krisenmanagement ein aus Erfahrung wachsendes System sein sollte. „Wir müssen uns eingestehen, dass wir kaum Erfahrung mit dem gezielten Herunter- und wieder Herauffahren unserer hochgradig arbeitsteiligen und vernetzten Wirtschaft haben“, so Christoph M. Schmidt. Die unermessliche Zahl wechselseitiger Abhängigkeiten der Entwicklungen mache Simulationen und Prognosen praktisch unmöglich. „Weiterhin fehlen uns Erkenntnisse über mögliche Kipppunkte, ab denen ein geregeltes Hochfahren der Wirtschaft unter Umständen schwerfällt.“ Krisenmanagement müsse sich deshalb als ein lernendes System begreifen: „Wir müssen uns auf eine ständige Nachsteuerung einrichten und das auch klar sagen.“

Die gute Nachricht der acatech-Experten ist, dass es derzeit keine grundsätzlichen Beeinträchtigungen der Grundversorgung in Deutschland gebe. Die aktuellen Engpässe im Gesundheitsbereich bedürften allerdings eines detaillierten zentralen Monitorings versorgungsrelevanter Wirtschaftsbereiche, schreiben die Forscher. 

Das Papier im Internet: www.acatech.de/corona

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