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Von Jan Kixmüller: In der Sackgasse

Potsdamer Klimaforscher Schellnhuber: An CO2-neutralen Kraftwerken führt kein Weg vorbei

Ein Geologe hat es unlängst auf den Punkt gebracht: Es ist nicht unbedingt elegant, wenn für den Klimaschutz in den kommenden Jahrzehnten Millionen von Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid unter die Erde gepumpt werden. „Carbon Capture and Storage“ (CCS) heißt das Verfahren, was soviel bedeutet wie Kohlendioxid am Kraftwerksschlot abfangen und unterirdisch lagern. Das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) hat bei Ketzin einen Großversuch laufen, der CCS auf seine Machbarkeit prüft. Doch selbst wenn die Geowissenschaft grünes Licht dafür geben sollte, hält sie das Verfahren nur für eine Übergangslösung.

Die CO2-Mengen, die in Ketzin verpresst und für einige Jahre beobachtet werden, stehen zudem in keinem Verhältnis zu den riesigen Mengen, die in den kommenden Jahrzehnten unter die Erde kommen sollen. Wie lange das Treibhausgas dort bleiben kann, ob es Risiken gibt und wie es sich mit dem Verlust der Kraftwerkskapazität durch das Verfahren verhält – das sind die Fragen, die die Gegner von CCS seit Jahren stellen. Fragen die gestellt werden müssen, schließlich ist eine „Endlagerung“ immer auch eine Hypothek für die kommenden Generationen.

Doch eine Welt ohne CCS scheint mittlerweile in weite Ferne gerückt. Am vergangenen Freitag traf sich auf Einladung des Informationszentrums klimafreundliches Kohlekraftwerk (IZ Klima) alles, was in der Energiewirtschaft, Forschung und Politik Rang und Namen hat. Dass die Vertreter von RWE, Eon und Vattenfall die CO2-Abtrennung als Segen feierten, war klar. Sie investieren nach eigenen Worten dreistellige Millionensummen in CCS. Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich als Freund des Verfahrens, der die Gesetzesgrundlage dafür noch in dieser Legislatur schaffen will – allerdings sei Akzeptanz in der Öffentlichkeit Voraussetzung dafür.

Doch nicht nur Politik und Wirtschaft waren sich einig, auch die Klimaforschung hält viel von CCS. Der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Regierungsberater Hans Joachim Schellnhuber, sprach sich eindeutig für die CO2-Abscheidung aus. Schellnhuber stellte klar, dass CCS ohnehin schon „im Portfolio“ der Klimamodelle enthalten sei. Also all die Szenarien zur Erd erwärmung, die auch im besten Falle nicht besonders rosig aussehen, rechnen schon damit, dass das Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe frei wird, unter die Erde kommt. Denn, davon gehen die Forscher aus, die Bestände an Braun- und Steinkohle werden von den Menschen sowieso verheizt, der Energiehunger Chinas zeige es derzeit. Wenn man dies nicht stoppen könne, dann sollte es wenigstens ein sauberes Verfahren geben. „Ohne CCS haben wir keine Chance, das EU-Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad zu halten“, sagte Schellnhuber. Und das sage er nicht, weil er auf einem Kongress der Energieunternehmen spreche. Nein, er habe mit seinem PIK-Kollegen Ottmar Edenhofer mögliche Wege zum Erreichen des 2-Grad-Ziels durchgerechnet. Eine Grafik zeigt, wie das Klimaziel unter bestimmten Bedingungen zu halten sei: ein kleiner Anteil Nuklearenergie, etwas mehr Erneuerbare Energien, dann ein mittlerer Anteil von Biomasse mit CCS, gefolgt von einem großen Anteil fossiler Energien mit CCS – und den größten Anteil macht darin die Energieeffizienz, also das Einsparpotenzial, aus.

Die Situation bleibe dennoch, auch bei der Verwirklichung der ehrgeizigsten Ziele, sehr kritisch. Ein ambitionierte – nicht unbedingt realistische – Höchstmarke von 400 ppm CO2-Anteil in der Atmosphäre sei nach seinen Berechnungen nur mit der gleichen Wahrscheinlichkeit zu erreichen, wie ein Treffer beim Russischen Roulette. Und der ist mit Fünfsechstel gar nicht so wahrscheinlich, wie man denkt . „Wir sitzen in der Klimafalle“, gab Schellnhuber den Energiemanagern mit auf den Weg. Die Menschheit habe sich, ohne es anfangs zu wissen, tief in eine Sackgasse hineinmanövriert. Mittlerweile zeige der Klimawandel geradezu perfide Effekte. Neueste Ergebnisse zeigen, dass es eigentlich schon 2,4 Grad wärmer auf der Erde wäre, würden nicht Aerosole, also der Schmutzteilchen, die bei der Energiegewinnung frei werden, die Erderwärmung wie ein Vorhang abschwächen. Schellnhuber spricht von einem moralischen Dilemma: Wenn in den Schwellenländern die Luft sauberer werde, was aus gesundheitlichen Gründen dringend nötig ist, beschleunigt sich die Erwärmung.

Und auch die Modelle mit den weitreichendsten Reduktionen würden zeigen, dass man langfristig dahin kommen müsste, nicht nur die CO2-Emission einzudämmen, sondern der Atmosphäre das Kohlendioxid auch wieder zu entziehen. Hier spiele die Biomasse eine große Rolle, Pflanzenreste und biologische Abfälle die in Kraftwerken verstromt werden – auch dies mit Hilfe von CCS möglichst CO2-neutral. Ein anderer wichtiger Faktor sei es, Klimasenken zu schaffen. Durch Aufforstung von Pflanzen könne der Atmosphäre CO2 entzogen werden. Aber Schellnhuber mahnt: all das geht nicht ohne den Süden, ohne die Schwellenländer. Und: auch wenn der Winter in diesem Jahr etwas kühler als zuvor ausfällt, der Klimawandel bleibe leider Realität. Grönland schmelze derzeit schon heftig ab, der Amazonas-Regenwald werde bis 2100 kollabieren, wenn die Menschheit so weiter mache wie bislang.

Fast gleichzeitig zum Kongress der Kohle-Lobby traf man sich im Potsdamer Einstein Forum, um über die Welt nach dem Erdöl nachzudenken. Der Münchner Biologe und Autor Josef H. Reichholf erläuterte vorab seine von Klimaskeptikern gern bemühte These davon, dass sich auch in der Vergangenheit heiße mit kalten Perioden abwechselten – „historisch sind Warmzeiten gute Zeiten“ so sein Credo. Dann schob er noch eine „neueste Prognose“ nach, laut der es im kommenden Jahr ein Grad kühler werden soll. Was auf dem Podium zu selbstgerecht geraunten Reaktionen führte. Die Rede war schnell von der „unbequemen Wahrheit“, dass einiges wohl nicht so ist, wie einige – also die Klimaforscher – das wollen. Der stellvertretende Chefredakteur der „tageszeitung“ (taz) Peter Unfried war es dann, der den Potsdamer Thinktank vor dem völligen Abgleiten auf Stammtischniveau rettete. Er wolle gar nicht darüber streiten, ob der Klimawandel menschgemacht sei. Die Sache sei doch längst geklärt. Unfried berichtete lieber, wie er sich von einem typischen 90er-Jahre-Hedonisten zu einem „Neuen Öko“ entwickelt habe, einem Menschen, den umweltbewusstes Konsumieren glücklich mache, der nicht mehr in Kalifornien seinen Urlaub verbringe, sondern mit der Familie im 3-Liter-Auto an die Adria fahre. Auch Zukunftsforscher Eckard Minx betrachtet das Klimaproblem eher von seinen dynamischen Seiten. Er berichtete von den gerade entstehenden klimaneutralen Reißbrettstädten Masdar City (Abu Dhabi) und Dongtan (China), die zu Sinnbildern für eine Welt würden, die energetisch und gesellschaftlich vollkommen anders aussehe werde. Und auch wenn das Beharrungsvermögen der Menschen unterschätzt und ihre Wandlungsfähigkeit überschätzt werde, ist sich Minx sicher: „Wir werden durch den bevorstehenden Wandel gezwungen sein, viele Dinge vollkommen neu zu denken.“

Wie sehr wir dazu gezwungen sein werden, hatte Klimaforscher Schellnhuber bei der Kohle-Lobby deutlich gemacht. Selbst wenn schlagartig die Treibhaus-Emissionen eingefroren würden, falle die Erderwärmung noch sehr stark aus. Schon über zwei Grad Erwärmung seien äußerst kritisch. Teile der „planetarischen Maschinerie“ könnten dadurch in einen anderen Zustand gestoßen werden. Das arktische Sommereis würde verschwinden und die meisten Himalaya-Gletscher abschmelzen. Sollte dann auch Grönland abtauen, steige der Meeres spiegel um sieben Meter, rund eine Million Kilometer Küstenlinie müssten weltweit für Trillionen-Summen geschützt werden. Kosten für unsere Nachfahren, die durch einen nachhaltigen Klimaschutz heute zu vermeiden seien.

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