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„Was wir hier beobachten, das kann die Technik nicht.“ Reinhard-Süring-Stiftung will weltweit älteste durchgehende Klimareihe auf dem Telegrafenberg retten

„Was wir hier beobachten, das kann die Technik nicht.“ Reinhard-Süring-Stiftung will weltweit älteste durchgehende Klimareihe auf dem Telegrafenberg retten Von Matthias Hassenpflug Die Potsdamer Klimareihe existierst seit 1893, immer am gleichen Ort und ununterbrochen, sieht man von den wenigen Tagen im Kriegsjahr 1945 einmal ab. Sie ist also „homogen“, was diese Messreihe weltweit einzigartig macht. Doch nun droht der Bruch. Der Deutsche Wetterdienst (DWD), der die Station auf dem Telegrafenberg unterhält, muss einen Großteil seiner bisher bemannten Wetterstationen automatisieren, um Kosten zu sparen. Auch die Potsdamer Anlage, die von sechs Mitarbeitern rund um die Uhr im ehemaligen Meteorologischen Observatorium und auf dem naheliegenden Messfeld betrieben wird, könnte von den Sparmaßnahmen betroffen sein. Für die synoptischen Messungen, also die Erfassung der aktuellen Wetterdaten, wäre so eine Umstellung unerheblich, erklärt Ralf Schmidt, der seit über dreißig Jahren auf der höchsten Erhebung der Stadt arbeitet und die Station leitet. Aber Potsdam wäre eben auch eine klimatologische Wetterstation, und das bedeutet, dass der Mensch mittels „Augenbeobachtung“ den ganzen Himmel erfasst – und zwar rund um die Uhr. „Was wir hier alles beobachten“, sagt Schmidt, „das kann die Technik nicht.“ Dreimal am Tag, um 7.08, 14.08 und 21.08 Uhr MEZ sammeln die Meteorologen Daten wie Lufttemperatur, Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Niederschlagsmenge und verschiedene Bodenwerte, um sie in Tageblätter, Klimatabellen und Witterungsverläufe einzuzeichnen. Mittlerweile sind die alten Klimatagebücher, mit denen es vor über 100 Jahren begann, längst von den Klimaforschern des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) digitalisiert. Zum Messfeld neben dem Observatorium, dessen Umgebung sich seit 1893 nicht verändert hat, laufen die Wetterforscher mindestens sieben Mal am Tag, im Winter, um die Schneedecke zu vermessen, bis zu 20 Mal. Auch der stündliche Weg hinauf auf den Turm des Observatoriums ist kein Problem. „Wir laufen die 70 Stufen gerne hinauf“, sagt Schmidt, „das hält uns jung.“ Zudem werde man mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Klima, erklärt Schmidt, ist das „gewesene Wetter“. Die Klimaforschung weiß, dass schon geringfügige Schwankungen in den Messungen auf gravierende Veränderungen im globalen Klima hindeuten können. Deshalb ist es so wichtig, dieselbe Messmethode beizubehalten. Anders ausgedrückt: „die Augenbeobachtung der Thermometerkapillare der bis zu 12 Meter tiefen Bodentemperaturmessung“, so Schmidt, führt zu anderen Ergebnissen, als wenn ein Computer messen würde. Geht es um die möglichst genaue Beschreibungen des Wetters, findet sogar eine gewisse Poesie Eingang in die täglich zu erfassenden 20 Werte. Ob Nebelmeere und Wolkendächer, Halos, Wetterleuchten, ob Morgen- oder Abendrot, nur der Mensch kann so etwas mit seinen Augen wahrnehmen. Die automatisierten Messungen sammeln vielleicht die Niederschlagsmenge, aber ob es sich um einen Landregen oder einen Schauer handelt, unterscheiden sie nicht. Die Klimaforscher jedoch sind gerade an diesen Beschreibungen interessiert. Um den drohenden Bruch der Reihe zu verhindern, der bereits für Ende des Jahres angekündigt war, wurde von Mitarbeitern des Instituts für Klimafolgenfoschung eigens die Reinhard-Süring-Stiftung ins Leben gerufen. „Eine großartige Sache“, wie Ralf Schmidt findet. Die Stiftung nennt sich nach dem Meteorologen, der die erste offizielle Wetterbeobachtung am 1. Januar 1893 in Potsdam vornahm und auch von 1909 bis 1932 sowie von 1945 bis 1950 Leiter des Observatoriums war. Weltweites Aufsehen erregte seine bis heute nicht übertroffene Freiballonfahrt zur Erforschung der Atmosphäre im Jahre 1901, die ihn bis in 10 800 Meter Höhe brachte. Der Stiftung fehlen nur noch wenige Tausend Euro, um das Grundkapital von 50 000 Euro bereitstellen zu können. Das Ziel ist es, mit den Mitteln der Stiftung die bemannte Beobachtung neben der vollautomatischen Erfassung weiter fort zu führen. Auch benötigt man mindestens fünf Jahre Zeit, so Ralf Schmidt, um Vergleichsmessungen zwischen der neuen Anlage AMDA I und der manuellen Messung vorzunehmen, um die Reihe „sanft“ anzugleichen. Bislang sieht es so aus, als ob Schmidt mit seinen Kollegen bis Ende 2008 Zeit gewonnen hat, die drohende Automatisierung wurde aufgeschoben. Die Klimaforschung kann noch hoffen. Die Säkularstation im Internet: www.klima-potsdam.de; Spenden: Konto-Nr.: 07 133 066 00, Dresdner Bank, Elmshorn, BLZ: 221 800 00, Kennwort DMG e. V., Süring-Stiftung.

Matthias Hassenpflug

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