zum Hauptinhalt
Knifflige Rechnung. Die Kosten von Polizeieinsätzen bei Krawallen – hier beim G20-Gipfel in Hamburg 2018 – müssen für die Untersuchung von denen getrennt werden, die durch die regulären Polizeieinsätze entstanden sind.

© REUTERS

Studie von Potsdamer Wissenschaftlern: Extremisten belasten das Gemeinwohl

Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit Bigs in Potsdam hat untersucht, welcher finanzielle Aufwand durch den Extremismus entsteht. Auch bei Pegida-Einsätze sind die Forscher zu einem überraschenden Ergebnis gekommen.

Dass Extremismus Kosten verursacht, liegt auf der Hand. Die Folgen von Anschlägen und Ausschreitungen oder die Tätigkeit von Sicherheitsbehörden – das alles kostet Geld. Doch wen kostet das am Ende etwas und wie kann man das eigentlich genau beziffern? Der Frage ist das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit Bigs in Potsdam nun in einer aktuellen Untersuchung zusammen mit dem Counter Extremism Project (CEP) in New York nachgegangen.

Modell zur Berechnung

Die Forscher haben Indikatoren für die Kosten des Extremismus zusammengestellt. „Und wir haben ein klares Modell dafür erstellt, diese Kosten auch berechnen zu können“, erklärt der Direktor des Bigs, Tim Stuchtey, der neben Neil Ferguson und Johannes Rieckmann zu den Autoren der Studie gehört. Mit dem Modell lasse sich berechnen, welche Effekte es auf den Wohlstand dieses Landkreises hat, wenn dort eine rechts- oder linksextreme Verbindung aktiv ist. „Wir wollten ein besseres Verständnis dafür schaffen, was Aktivitäten von Extremisten für die Gesellschaft bedeuten“, so Stuchtey. Nicht nur im Kleinen, wenn beispielsweise Absperrungen im Zuge von Krawallen persönliche Wege behindern, sondern die Forscher wollten diese Folgen auch auf einer größeren Ebene berechnen. Grundsätzlich konnten sie für den Zeitraum 2014 bis 2015 eine Zunahme von Extremismus-Delikten in Deutschland erkennen, die danach aber wieder etwas abflaute.

Tim Stuchtey vom Potsdamer Bigs.
Tim Stuchtey vom Potsdamer Bigs.

© Fabrizio Bensch,

Für die Frage der finanziellen Belastung haben die Wissenschaftler Zahlen zu Kosten des Extremismus gesichtet, dann spezifische Beispiele ausgesucht und auf Plausibilität untersucht. Allerdings sind solche Mehrkosten auch eine Herausforderung für die Sicherheitsforscher. Denn bei Krawallen zum G20-Gipfel in Hamburg 2018 war beispielsweise zwar viel Polizei im Einsatz. „Die hatte aber auch die Staatschefs und friedliche Demonstranten zu schützen, war also auch ohne Krawalle im Einsatz“, erklärt Johannes Rieckmann. So standen die Forscher vor der kniffeligen Aufgabe, diese Kosten von denen direkt durch Extremismus verursachten Personen- und Sachschäden zu trennen.

Mehrkosten durch Pegida-Demos

Konkret haben sich die Wissenschaftler die Pegida-Demonstrationen in Dresden genauer angeschaut. „Wir gehen zwar davon aus, dass diese Bewegung nicht nur von Extremisten getragen wird, dass allerdings welche dabei sind“, erklärt Rieckmann. Insofern würden durch die polizeiliche Absicherung auch Mehrkosten durch Extremismus entstehen. Die Landesregierung Sachsens hatte auf eine Anfrage der Linken-Fraktion die Zahl von 300.000 Euro für Polizeieinsätze von Oktober 2014 bis Oktober 2015 genannt. Die Gewerkschaft der Polizei hingegen habe eine Zahl von rund drei Millionen Euro genannt. Beide Zahlen stimmen wohl nicht, wie die Wissenschaftler nun errechnet haben.

„Betrachtet man die vom sächsischen Innenministerium angegebenen Kostenhöhe für die Pegida-Demonstrationen etwas genauer, wird deutlich, dass die angeführten Kosten überprüfungswürdig sind“, heißt es in der Studie. Die Plausibilitätsrechnung auf Grundlage von Personalkosten bei der Sicherung von Fußballspielen der Bigs-Forscher ergab einen wesentlich höheren Wert als vom sächsischen Innenministerium angegeben. Bei insgesamt 23 Kundgebungen im fraglichen Zeitraum und einer konservativen Schätzung von rund 60 Euro pro Einsatzstunde und Polizist kommen die Wissenschaftler bei 4875 Einsatzstunden auf 1 109 520 Euro. „Nur für die Personalkosten und nur für die eine Stadt“, wie Rieckmann betont. An diesem Zahlenbeispiel sei klar geworden, dass die Kosten durch das Ministerium offenbar „deutlich untertrieben“ wurden.

Probleme mit Polizeidaten 

Damit es nicht beim Stückwerk bleibt, haben die Forscher ein Modell entwickelt, mit dem sich die Auswirkungen von Extremismus auf die wirtschaftliche Leistungskraft einzelner Landkreise errechnen lässt. Dazu haben sie Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ausgewertet. Zwei Probleme ergaben sich dabei allerdings. Einmal sei es nicht leicht, Delikte, die auf den ersten Blick nach Extremismus aussehen, auch als solche zu bestimmen. Wenn beispielsweise bei einem Nachbarschaftsstreit die Religion eines Kontrahenten verunglimpft werde, habe man es nicht sofort mit Extremismus zu tun, gibt Rieckmann zu bedenken. Ein anderes Problem haben die Forscher mit der Datenlage. Denn ausgerechnet die vom Staatsschutz als politisch motivierte Kriminalität erfassten Straftaten sind in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht aufgelistet. Nun suchen die Forscher nach einem Weg, die Daten zur politisch motivierten Kriminalität von den Bundesländern zu erhalten – ohne dafür 16 einzelne Landesministerien überzeugen zu müssen. Der Versuch zentral über das Bundeskriminalamt an die Daten zu gelangen, sei gescheitert, weil das Bundeskriminalamt auf die Länderhoheit verwiesen habe. Grundsätzlich schmälere das Problem die Aussagekraft der Untersuchung. Aber die Methode des Berechnungsmodells könne generell verwendet werden, so Rieckmann.

Extremer Absolutheitsanspruch

„Unsere Frage war letztlich, ab wann wird es zerstörerisch, ab wann werden statt Nutzen Kosten erzeugt, danach suchen wir“, erklärt Stuchtey den Hintergrund der Studie. Meinungsunterschiede müsse eine Gesellschaft aushalten können, die Diskussion miteinander müsse aber produktiv bleiben und dürfe nicht ins Destruktive abgleiten. Die Bigs-Forscher definierten Extremismus grundsätzlich als Aktionen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Damit einher gehe ein gewisser Absolutheitsanspruch, der keine Selbstzweifel kennt. „Dabei geht es um die Idee einer allein selig machenden Wahrheit, die nur die eigene Gruppe vertritt: jeder, der etwas anderes meint, muss falsch liegen und den gilt es zu verbannen“, erklärt Stuchtey. Auch der religiöse Extremismus sei hier zu nennen: „Der Absolutheitsanspruch monotheistischer Religionen – keinen Gott neben dem eigenen haben zu dürfen – das trägt schon extremistische Züge“, so der Sozialwissenschaftler. Es gebe eben nicht nur Links- und Rechtsextremismus. Letztlich haben die Forscher drei wesentliche Merkmale des Extremismus definiert: Den Absolutheitsanspruch, die Deutungshoheit (immer recht zu haben) und die Form einer identitären Gesellschaft, die andere ausschließt. Schwierig sei es allerdings, genau diese Punkte in den verfügbaren Daten wiederzufinden. Daher bleibe eine gewisse Unschärfe. “

Nicht immer eindeutig

Auch bei der Frage, was eigentlich genau als Kosten des Extremismus zu bezeichnen ist, hatten es die Forscher nicht leicht. Nicht immer ist das so eindeutig, wie etwa bei Sachschäden eines politisch motivierten Anschlags. So gibt es beispielsweise auch Verhaltensänderungen als Folge von Extremismus. Etwa wenn ein ausländischer Student einen Studienplatz in Berlin einem für ihn besseren Studium in Dresden vorziehe, weil er sich in Berlin weniger Probleme erwarte. Oder etwa, wenn Unternehmen Investitionen vor dem Hintergrund von extremistischen Taten zurückziehen. „Auch das sind Kosten von Extremismus“, so Stuchtey. Auch sei zu klären, wessen Kosten es sind, die entstehen. Nicht immer sind es beispielsweise Mehrkosten für den Staat insgesamt. Wenn ein Fußballspiel aus Sorge vor Ausschreitung von Ultras von einer Stadt in eine andere verlegt wird, entstehen zwar Kosten für die eine Stadt , aber Einnahmen für die andere – und für den Staat bleibt es unterm Strich gleich. Allerdings kann dabei der Verlust des einen größer sein als der Gewinn des anderen.

Noch deutlicher werden die Kosten, wenn beispielsweise der Staat wegen der Gefährdung statt Lehrer einen Polizisten einstellt – die Lücke im Bildungssystem muss dann kompensiert werden. Auch sogenannte Wohlfahrtsverluste sind zu beachten, wenn sich Anfrage oder Angebot durch Extremismus so verändern, dass weniger oder zu einem höheren Preis in einer bestimmten Region produziert wird. Und dann sind da noch die versteckten Kosten. So nutzen beispielsweise Einbrecher polizeiliche Großlagen bei Krawallen und Terror-Warnungen, um an anderen Orten der betroffenen Stadt weitgehend ungestört einbrechen zu können. Der Extremismus hat also zahlreiche Folgen, die auf den ersten Blick erst einmal kaum sichtbar sind.

Zur Startseite