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Potsdamer Klimaforscher über einen Messturm in Brasilien: „Die Erde ist noch viel komplizierter“

Der Wissenschaftler Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) spricht im Interview über einen 325 Meter hohen Messturm im Urwald, die Rolle der Wälder und warum Klimaforschung weiterhin wichtig ist.

Im brasilianischen Urwald steht ein 325 Meter hoher Messturm. Deutsche Forscher untersuchen dort unter anderem Treibhausgase und Luftströmungen. Herr Lucht, warum braucht man solche Türme? Es gibt doch so viele Mess-Stationen und Satellitenmessungen.

Große Messtürme wie das Atto-Observatorium in Brasilien sind ein wichtiger Teil der „Augen und Ohren“ der Menschheit auf den Zustand der Erde insgesamt. Gerade zum Verhalten der tropischen Wälder im Klimawandel bestehen noch erhebliche Wissenslücken, weil die meisten Messungen bislang in Wäldern der gemäßigten Zone gemacht wurden. Der tropische Regenwald ist jedoch eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde und nicht nur für die Regulierung des Klimas, sondern auch wegen seiner Artenvielfalt relevant. Messdaten von Atmosphäre, Boden und Vegetation sind unter anderem für Computermodelle nötig, die die Zukunft der tropischen Ökosysteme untersuchen. Die Bedeutung des Turms für die Erdsystemwissenschaft ist daher sehr hoch.

Welche Punkte sind noch offen bei der Rolle der Wälder für das Klima?

Einige der geplanten Messungen betreffen Prozesse mit noch großen Unsicherheiten in unserer Analyse des Erdsystems. Was geschieht mit den Bäumen, wenn die Kohlendioxidkonzentration der Atmosphäre ansteigt? Verändern sie ihre Blattfläche, wachsen sie vermehrt, oder wird dieses Mehrwachstum durch einen Mineralstoffmangel begrenzt? Wie reagieren sie auf Dürreperioden? Wie viel Wasser verdunsten sie, das entfernt dann erneut als Regen fällt? Nicht zuletzt ist es wichtig, Messdaten über das riesige, artenreiche Waldterritorium zu erhalten, damit wir diese mit Daten in Zukunft unter dann veränderten Bedingungen vergleichen können. Es besteht heute eine letzte Chance, die Funktionen des tropischen Waldes gründlich zu studieren, bevor sich vieles dort verändert.

Was hilft es überhaupt noch, so viel Geld in die Forschung zu stecken? Man weiß doch nun schon, dass es den Klimawandel gibt.

Es ist völlig richtig, dass wir schon genug über den Klimawandel wissen, um zu handeln. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir schon alles wissen, was wir wissen sollten. So wird zum Beispiel seit beinahe 20 Jahren diskutiert, ob der Regenwald des Amazonas möglicherweise durch zunehmende Dürre in einen bedrohlichen Niedergang geraten könnte. Dieser könnte durch veränderte Strömungsmuster in der Atmosphäre ausgelöst werden. Es gibt einerseits Hinweise darauf, dass ein solcher Umschlag tatsächlich nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Andererseits gibt es Studien, die auf eine gewisse Widerstandsfähigkeit des tropischen Waldes hinweisen. Hier wüssten wir gerne sehr viel genauer Bescheid.

Und was bringt uns das?

Wenn die Auswirkungen des Klimawandels nicht kontinuierlich verlaufen, sondern solche kritischen Kipp-Punkte enthalten, müssen wir uns darauf einstellen und erst recht sicherstellen, dass der Klimawandel gar nicht erst bis zu diesem Punkt voranschreitet. Die Erde ist noch komplizierter als vielen bewusst ist, und deshalb gilt: Man muss beides tun, die Erde weiter erforschen und gleichzeitig handeln. Obwohl es um das Schicksal ganzer Regionen geht, sind die Summen, die dafür ausgegeben werden, auch heute noch vergleichsweise moderat.

Das Interview führte Simone Humml

ZUR PERSON: Wolfgang Lucht (52) ist Abteilungsleiter für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Zudem ist er Professor für Nachhaltigkeitsforschung an der Berliner Humboldt-Universität.

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Der Paris-Vertrag soll die globale Erwärmung unter zwei Grad halten. Im Interview spricht der Potsdamer Klimaforscher Wolfgang Lucht über die Klima-Ziele von Paris und erklärt, warum das noch ein weiter Weg ist.

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Simone Humml

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