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Hans Joachim Schellnhuber geht nach 26 Jahren am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in den Ruhestand.

© PIK/Batier

Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber: „Was heute geschieht, gleicht einem kollektiven Suizidversuch“

Nach 26 Jahren gibt der Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, die Leitung des Hauses an seine Nachfolger ab. Ein Gespräch über die Dimension des menschgemachten Klimawandels, das enge Zeitfenster für Klimaschutz, die Erfolgsaussichten der neuen Kohlekommission und die Chancen für eine bessere Moderne.

Herr Schellnhuber, Sie haben eine beispiellose wissenschaftliche Karriere gemacht, Sie haben hier in Potsdam eines der weltweit wichtigsten Forschungsinstitute zum globalen Klimawandel aufgebaut. Eigentlich könnten Sie doch nun mit großer Gelassenheit in den Ruhestand gehen. 

Meine Antwort ergibt sich am besten aus einem Rückblick: Die mathematische Physik ist ein extrem hartes Brot - man braucht viel Talent und muss sehr arbeiten. Ich habe mir das Studium damals sicher nicht ausgesucht, um später ein ruhiges Leben zu führen. Vielmehr wollte ich mich an der Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit beteiligen, so pathetisch das klingen mag. Und diese Suche hört natürlich nicht einfach mit einem fiktiven bürokratischen Schlussstrich auf.

Sondern?

Nach Arbeiten zu den Grundlagen der Quantentheorie bin ich über das Feld der komplexen Systeme schließlich zur Klimafolgenforschung gekommen. Anfangs konnte ich gar nicht ahnen, wie hochgradig relevant und zukunftsweisend dieses Wissen für unsere Zivilisation ist und sein wird. Diese Verantwortung kann und will man natürlich nicht einfach mit der Pensionierung abstreifen wie ein altes Hemd. Ich werde an diesen Themen weiterarbeiten und die Diskussion weiter mit zu prägen versuchen. 

Kaum jemand – außer Wissenschaftlern und Umweltaktivisten – scheint bislang wirklich begriffen zu haben, wie dramatisch die Lage eigentlich ist. 

Ich habe den Eindruck, dass das Problem - zumindest unterschwellig - immer mehr begriffen wird. Große Unternehmen, Verbände und die Kirchen kommen inzwischen auf das PIK zu, weil sie verstanden haben, dass mit dem Klimawandel eine existentielle Herausforderung verbunden ist. Gleichzeitig wird immer wieder deutlich, dass viele Menschen das Ausmaß des Problems und vor allem die Geschwindigkeit, mit der es auf uns zurast, noch nicht gänzlich erfassen, und die Botschaft vom menschgemachten Klimawandel viel zu langsam das große Rauschen an weitgehend nutzlosen Informationen durchbricht. Unterbewusst haben die meisten zwar erfasst, dass etwas Bedrohliches im Gange ist, möchten sich der Problematik aber lieber nicht stellen.

Warum?

Je dringlicher ein Problem wird, desto entschlossener können Menschen mitunter wegschauen und sich stattdessen mit Nebensächlichkeiten beschäftigen. Die Wissenschaft nennt das „kognitive Dissonanz“. Der Mensch bleibt tendenziell so lange in seiner Komfortzone, wie es nur irgendwie geht. Die Frage ist nun, wie man diesen Verdrängungsreflex überwinden kann. Denn es rächt sich am Ende bitter, wenn man den Kopf in den Sand steckt. Und es gibt tatsächlich so vieles, was wir tun könnten, um den Klimawandel zu begrenzen und eine nachhaltige Zukunft aktiv zu gestalten. Erfreulicherweise kommen entsprechende Impulse mehr und auch aus der Zivilgesellschaft.

Es gibt aber auch viele Menschen, die den Zusammenhang von Kohlendioxid und Erwärmung abstreiten, wie etwa der US-Präsident. 

Das ist eine immer kleiner werdende Gruppe an Verwirrten, die allerdings umso lauter brüllen. Wie etwa die AfD im Bundestag, die Maßnahmen zu Klimaforschung und Klimaschutz einfach streichen möchte. Das erscheint fast kabarettreif, wenn es nicht so erschreckend wäre - immerhin bedeutet das, dass hier eine Partei gleichsam versucht, die wissenschaftliche Evidenz abzuschaffen. 

Sie sagen, dass die Menschheit sehenden Auges in die Katastrophe geht. Ist das nicht etwas übertrieben? 

Ein Blick in die Erdgeschichte verdeutlicht vielleicht, was ich meine. Denn frühere geologische Epochenbrüche sind mit der heutigen Situation schlicht nicht mehr vergleichbar, darüber müssen wir uns im Klaren sein. An der Grenze zwischen Perm und Trias zum Beispiel erwärmte sich das Klimasystem um fünf Grad - aber über Zehntausende Jahre hinweg, also sehr viel langsamer als heute. Damals wurde dennoch die ganze Biosphäre umgekrempelt, unzählige Arten starben aus. Was heute - hundertmal rascher - geschieht, gleicht auf unserem überbevölkerten und übernutzten Planeten tatsächlich einem kollektiven Suizidversuch. Das mag drastisch klingen. Viele Jahre lang wurden wir Wissenschaftler am PIK mitunter sogar von Kollegen für einen angeblichen Alarmismus angegriffen. Diese Töne sind leiser geworden. Es breitet sich die Einsicht aus, dass es auch Aufgabe der Forschung ist, unser Wissen über erhebliche Risiken ungeschönt zu kommunizieren. 

Das heißt? 

Der Mensch ist bereits zu einer geologischen Kraft geworden, die beispielsweise den Beginn der nächsten Eiszeit unterdrücken wird. Eiszeiten haben unsere planetarische Umwelt geformt und damit auch die Entwicklung unserer Art und unserer Zivilisation bestimmt. Heute ist es jedoch die Industriegesellschaft mit ihren Emissionen aus fossilen Brennstoffen, die die zukünftige Entwicklung des Planeten dominiert. Wir sind also schon längst in eine neue Ära eingetreten. 

Zum Beispiel?

Es gibt gewisse rote Linien im Erdsystem - werden diese überschritten kann sich die Erwärmung über lange Zeiträume von selbst verstärken, auch ohne weiteres menschliches Zutun. Wir sprechen hier von Kippvorgängen: Das sind kritische Prozesse im planetaren Getriebe, die bei hinreichend großer äußerer Störung außer Kontrolle geraten. Kaskaden solcher Ereignisse könnten das gesamte Erdsystem in eine neue Betriebsweise kippen. Ein Beispiel wäre der Kollaps des Westantarktischen Eisschilds, wo wir einige regionale rote Linien wohl schon überschritten haben. Aber es geht auch um Korallenriffe, das Eis Grönlands oder etwa die Ozeanzirkulation. Das müssen wir vermitteln, damit wirklich jeder versteht, warum wir die komplette Dekarbonisierung der Weltwirtschaft unverzüglich auf den Weg bringen müssen.

Wie meinen Sie das?

Nun, zusätzlich zur Klimastabilisierung können wir enorm viel gewinnen, wenn wir in eine Welt ohne fossile Energien eintreten. Seit der industriellen Revolution verfeuern wir Kohle, Öl und Gas und ermöglichen damit eine permanente Expansion von Produktion und Konsum. Und doch gibt es immer noch weltweit Hunger, Arbeitslosigkeit und Armut. Die notwendige Transformation zu einer sozial- und umweltverträglichen Gesellschaft sollten wir als Chance verstehen, eine bessere Moderne zu schaffen, die Kreisläufe schließt, regionale Ökonomien unterstützt, Landwirtschaft nachhaltig denkt - also mit dem Wirtschaften auf Kosten der Natur bricht. Wir können qualifizierte Arbeitsplätze schaffen ohne extrem schädliche Nebenwirkungen. Spätestens nach der Finanzkrise stehen wir an einem Punkt, an dem niemand mehr wirklich weiß, wie es mit dem alten System weitergehen kann. Ein Systemwechsel ist also nicht nur dringend notwendig, er ist auch unabdingbar, um nachfolgenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Das sind gleich zwei gewichtige Argumente, die hoffentlich auch Gehör in die Kohlekommission der Bundesregierung finden werden 

... in der Sie Mitglied sind. 

Allen Beteiligten und Betroffenen dort sollte eigentlich klar sein, dass die Epoche der Braunkohle unweigerlich zu Ende geht und ein Strukturwandel unvermeidbar ist. Es sei denn, man ignoriert alle Signale, bis der Letzte das Licht ausmacht...

Ihr Szenario für eine Lausitz ohne Kohle?

Es gibt viele Gründe, warum in der Lausitz eine andere wirtschaftliche Basis geschaffen werden muss - der nicht zuletzt durch die hohen Emissionen aus der Verbrennung der Braunkohle verursachte Klimawandel ist nur einer davon. Es wäre ein Betrug an den Menschen vor Ort, zu sagen, alles kann weitergehen wie bisher. Und die Behauptung, dass Braunkohleverstromung mindestens noch bis 2045 notwendig und gewinnbringend ist, ist ökonomisch nicht zu belegen und ökologisch unverantwortlich. Ich werde auch in der Kommission die wissenschaftlichen Fakten mit ihrem ganzen Gewicht einbringen. Es führt kein Weg mehr daran vorbei, dass für Regionen wie die Lausitz neue Konzepte entwickelt werden. Statt den Menschen die Stagnation zu versprechen, sollte man sie eher zum Aufbruch befähigen.

Wie soll das aussehen? 

Die Lausitz steht leider unter den Braunkohleregionen vergleichsweise schlecht da, insbesondere was Lage und Infrastruktur angeht. Düster sieht es auch bei Investitionen in Forschung und Entwicklung aus. Deswegen würde man bei unveränderten Rahmenbedingungen die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ohnehin irgendwann einbüßen. Also muss der Wandel kommen, aber so, dass Menschen vor Ort mit ihren Sorgen aufgefangen werden. Und es bedarf konkreter Hilfen: Neue erfolgsversprechende Geschäftsmodelle müssen identifiziert werden, vor allem rund um erneuerbare Energien, Digitalisierung, ökologische Landwirtschaft, nachhaltigen Tourismus, Wiederbelebung der früher bemerkenswerten Kulturszene et cetera et cetera. Es gibt zahlreiche Innovationsmöglichkeiten im ländlichen Raum. Vom alten Modell des Wirtschaftens muss man sich aber wohl verabschieden. 

Was bringt die Kohlekommission grundsätzlich? 

Derzeit bin ich zuversichtlich. Es handelt sich hier um ein interessantes soziopolitisches Experiment. In autoritären Staaten gibt es beispielsweise Pläne für den Kohleausstieg in Fünfjahres-Schritten. In unserem demokratischen Land würde man nun erwarten, dass die gewählte Regierung entsprechende Gesetze erlässt. Stattdessen wird die gesellschaftliche Verantwortung für die Zukunft gewissermaßen ausgelagert und einem Gremium übergeben. Diese Kommission spiegelt meines Erachtens die verschiedenen Interessen der Gesellschaft durch ihre Mitglieder recht gut wider. Das ist eine große Chance, zu einem sozialverträglichen und umweltschonenden Kompromiss zu kommen, wie dies auch im Interesse der Menschen in der Lausitz wäre. Wichtig ist, dass die Regierung die Empfehlungen der Kommission dann auch ernst nimmt. 

Und wenn in Sachen Klimaschutz gar nichts passiert? 

Das kann keine Option sein! Ich will nur ein Beispiel nennen: Ein Weltbank-Bericht, an dem PIK-Forscher mitgearbeitet haben, geht von Hunderten Millionen Flüchtlingen aus, die wegen des Klimawandels bis 2050 ihren Heimatort verlassen müssen. Klimawandel ist ein Treiber von Migration und ein Risikomultiplikator. Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, müsste man daher eigentlich zuerst an die Bekämpfung des Klimawandels denken. Es ist deshalb eigentlich erstaunlich, dass Populisten einerseits Angst vor der Migration schüren, andererseits aber auch Klimaschutz ablehnen, der eine Verschärfung des Problems doch abwenden könnte. 

Bleibt uns überhaupt noch ausreichend Zeit für eine Transformation? 

Der Klimawandel kann gestoppt werden, aber die Frage ist, wo genau wir ihn zum Stehen bringen. Jedes Zehntel Grad weniger Erwärmung dürfte einen spürbaren Unterschied machen. Allerdings muss der Ausstieg aus dem fossilen Wirtschaften bis spätestens 2050 global erfolgen, in den hochentwickelten Industrieländern möglichst bis 2040. Das ist sportlich, aber darstellbar. Ohnehin wird das Ganze umso teurer, je länger wir warten.

Inwiefern sehen Sie mittlerweile auch den Einzelnen in der Pflicht, wenn es um Klimaschutz geht? 

Eine langsam, aber stetig ansteigende CO2-Steuer wäre natürlich eine wichtige Maßnahme, um einen solchen Wandel anzustoßen. Doch noch ist eine solche Steuer nicht in Sicht, jedenfalls nicht im überregionalen Maßstab. Jeder Einzelne kann jedoch schon heute Entscheidungen treffen, die einen deutlichen Unterschied bewirken. Etwa weniger fliegen, bei der Ernährung verstärkt auf Gemüse statt auf Fleisch setzen, klimafreundlich produzierte Produkte kaufen, usw. Das sind vor allem Entscheidungen, die sofort einen Effekt erzielen - ohne Gesetze und die Transformation ganzer Industriesektoren. Impulse aus der Öffentlichkeit können zudem auf die Politik einwirken und sie bestärken, das Problem endlich richtig anzugehen. Ein echter Wandel kann am Ende nur dann gelingen, wenn er von der Gesellschaft eingefordert wird. 

Aus Überzeugung?

Genau. Dafür braucht es natürlich auch Qualitätsmedien, die zum Thema gut informieren, attraktive Bildungsangebote sowie viele Diskussionen im sozialen Umfeld oder in sozialen Medien. Die Bürger müssen eben anfangen, sich zu organisieren und die Zukunftsvorsorge mit in die eigenen Hände zu nehmen. Staatsversagen wäre bitter genug, aber ein Versagen der Zivilgesellschaft können wir uns nicht leisten.

Sie sind der Vater des Zwei-Grad-Ziels. Mittlerweile wissen wir, dass bereits bei etwa zwei Grad globaler Erwärmung kritische Prozesse im Erdsystem angestoßen werden können, die die Welt langfristig weiter in eine Heißzeit treiben könnten. Für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad müssten hingegen negative Emissionen - Zurückholen von CO2 aus der Atmosphäre und dessen unterirdische Einlagerung - sowie Geoengineering eingesetzt werden. Sind das gute Ideen? 

Keine Form von Geoengineering kann ein Ersatz für entschlossene Klimapolitik sein, durch welche Emissionen vermieden werden. Der direkte Eingriff in Abläufe des Erdsystems ist immer mit starken Nebenwirkungen verbunden, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Es ist auch eine völlig falsche psychologische Botschaft, wenn man suggeriert, man könne weitermachen wie bisher, weil am Schluss ein paar verrückte Wissenschaftler das Problem schon wegerfinden würden. 

Also?

Die 1,5 Grad-Leitplanke ist natürlich extrem ehrgeizig; dafür müsste die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft von heute auf morgen in vollen Gang kommen. Ob das ohne negative Emissionen überhaupt noch gelingt, ist fraglich, aber vielleicht nicht ganz unmöglich. Die 2-Grad-Leitplanke reflektiert hingegen einen Kompromiss aus Ehrgeiz und Pragmatismus. Dieser Kompromiss würde uns zwar keineswegs alle schädlichen Konsequenzen des Klimawandels ersparen, aber wohl die schlimmsten Folgen noch abwenden. Und er ist in Reichweite.

Wie können Sie trotz allem optimistisch bleiben?

Vielleicht liegt das an meinem Sportsgeist. Ich habe früher mit Begeisterung Fußball gespielt und Berge bestiegen - Herausforderungen nahm ich immer gerne an. Auf der anderen Seite ist es aber tatsächlich so, dass wir unserem Klimaschicksal nicht hilflos ausgeliefert sind. Wenn wir wollen, können wir uns aus unseren Fernsehsesseln erheben und aktiv eine nachhaltige Zukunft gestalten. Erst wenn sich abzeichnen würde, dass alle kleinen und großen Möglichkeiten ungenutzt blieben und wir unseren Planeten schulterzuckend links liegen ließen - dann wäre ich auch persönlich niedergeschmettert. Aber heute bin ich weiterhin unverdrossen. 

Das Gespräch führte Jan Kixmüller. 

Zur Person: Hans Joachim Schellnhuber (68) ist Direktor des von ihm 1992 gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Unter seiner Leitung avancierte das PIK zu einem der weltweit führenden Institute im Bereich der Klimaforschung. Im September geht Schellnhuber in den Ruhestand, ihm folgen Ottmar Edenhofer und Johan Rockström als neue PIK-Doppelspitze. 2007 war Schellnhuber während der G8- und EU-Ratspräsidentschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel wissenschaftlicher Chefberater der Bundesregierung. Von 2009 bis 2016 war er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Er ist langjähriges Mitglied des Weltklimarats (IPCC) und seit Juni 2018 auch in der Kohlekommission der Bundesregierung vertreten.

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