zum Hauptinhalt

Homepage: „Potsdam war ein Zentrum der Opposition“

Der Historiker Peter Ulrich Weiß über die friedliche Revolution in Potsdam 1989/90 und die Rolle von Kultur, Kirche und Jugend

Herr Weiß, Potsdam galt als stabile Bastion des SED-Regimes. Verlief die Revolution 1989/90 hier weniger dynamisch als in anderen Städten?

Die Region Brandenburg war im Herbst 1989 zunächst kein Epizentrum der DDR-Revolutionsbewegung. Die Statistik der Demonstrationen von Oktober ’89 bis April ’90 zeigt, dass der Bezirk Frankfurt/Oder landesweit den letzten Platz belegte, Potsdam als Bezirk den drittletzten und der Bezirk Cottbus den fünftletzten Platz. Dennoch gab es wichtige regionale Ausnahmen. Dazu gehört die Stadt Potsdam, die bereits vor 1989 ein oppositionelles Zentrum Brandenburgs war.

Inwiefern?

In Potsdam gab es so viele Oppositionsgruppen wie in keiner anderen Stadt Brandenburgs. Dazu verschiedene Personenkreise, die man der alternativen Szene zurechnen kann. Durch ihre Stellung als Kulturstadt, Bildungszentrum und Wissenschaftsstadt war Potsdam ein besonderes Pflaster, hier trafen unterschiedliche Milieus aufeinander. Gerade im eigentlich eher staatsnahen Kultur- und Bildungsbereich gab es Leute, die sich kritisch zum System stellten.

Der Widerstand war auch ein Phänomen der Jugend

Ja, in Potsdam gab es eine ausgeprägte subkulturelle Szene, die sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre enorm entwickelte. Hier spielte die Jugend eine besondere Rolle. Damit sind nicht nur Punks und Skinheads gemeint, sondern auch sogenannte Bohemiens, junge Künstler aus der Kulturszene oder solche, die es werden wollten und nicht durften. Es gab zahlreiche Orte, an denen man sich traf. Am bekanntesten waren sicherlich das Café Heider, der „Lindenpark“, die „Stube“ im „Spartacus“ oder das „jwd“ in Babelsberg. Einzelne Mitarbeiter in Kulturhäusern schafften es, ihre Chefs von einem alternativen Programm zu überzeugen. Die übten dann eine Art Scharnierfunktion aus, haben einerseits einen staatlichen Betrieb geleitet, andererseits alternative Veranstaltungen ermöglicht.

Und die Kirchen?

Sie boten den Oppositionellen ein Schutzdach, wie an vielen Orten, allen voran die Friedrichskirchgemeinde und die Erlöserkirchgemeinde. Interessanterweise ist es heute kaum geläufig, dass Potsdam auch ganz allgemein eine Stadt der Kirche war. Eine ganze Reihe von regionalen kirchlichen Verwaltungsinstanzen war hier beheimatet, aber auch viele kirchliche Einrichtungen und Ausbildungsstätten – etwa das St. Josefs-Krankenhaus, das Oberlinhaus oder die Ausbildungsstätte für Gemeindediakonie und Sozialarbeit und das Kirchliche Oberseminar in Hermannswerder. Hier gab es Freiräume für gesellschaftskritische Diskussionen sowie Arbeitsmöglichkeiten für Menschen, die aus religiösen und politischen Überzeugungen Distanz zum Staat hielten.

Wie verlief der Umbruch in Potsdam?

Hervorzuheben ist der relativ frühe Beginn der friedlichen Revolution in der Stadt. Man kann das ziemlich genau auf den 4. Oktober 1989 datieren. Da fand die erste, noch illegale Informationsveranstaltung des Neuen Forums in der Friedrichskirche am Weberplatz statt. Zur Überraschung der Veranstalter kamen rund 3000 Personen, zehnmal mehr als erwartet. Das kann man als Startschuss für die Revolution in Potsdam ansehen.

War nicht bereits das Pfingstbergfest am 10. Juni ein Anfang?

Zweifellos war das ein starkes und für Brandenburg außergewöhnliches Signal. Die hohe Besucherzahl verweist auch auf ein kritisches Potenzial in der Stadt, das weitaus höher war, als die alleinige Zahl der oppositionellen Gruppenmitglieder vermuten lässt. Ich würde diese Veranstaltung aber eher als einen Vorboten des Umbruchs sehen. Schließlich kam es erst mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig zur landesweiten Massenprotestbewegung.

Potsdam war also durchaus eine Hochburg der Opposition?

Es gab ein breites Spektrum von Oppositionsgruppen. Darunter nicht nur die kirchlichen Gruppen, sondern auch solche wie Argus – bekannt durch das Engagement von Carola Stabe und Matthias Platzeck – und die Pfingstberggruppe, die sich unter dem Dach des Kulturbundes ansiedelten. Hier wurden staatliche Strukturen wie ein trojanisches Pferd für die eigenen Ziele – Stadtökologie und Erhalt des Kulturbauerbes – genutzt. Argus war eine der aktivsten und mitgliederstärksten Gruppen in der Stadt. Die Potsdamer Antifa-Gruppe war ebenfalls wichtig. Sie hatte sich vor dem Hintergrund zunehmender Auseinandersetzungen zwischen rechten Skinheads und linken Jugendlichen gebildet und strebte Aufklärung über Neonazismus in der DDR an. Mit dem ersten DDR-weiten Antifa-Tag am 29. Juli 1989 in der Erlöserkirche wurde ein bemerkenswertes Zeichen in der Stadtöffentlichkeit gesetzt.

Argus oder der Pfingstberggruppe ging es, wie Matthias Platzeck heute betont, nicht um die Wiedervereinigung, sondern um eine Reform der DDR, um einen offeneren, demokratischen Staat.

In Potsdam gehörten viele der führenden Oppositionskräfte zunächst eher der Hierbleiberfraktion an, die an die Reformierbarkeit der DDR glaubte. Das setzt sich zum Teil bis in den November, Dezember 1989 fort. Im Zuge des Mauerfalls und aufkommender Einheitspläne traten diese Vertreter aber allmählich in den Hintergrund. Auch weil sich immer mehr Potsdamer von der DDR als Zukunftsprojekt verabschiedeten. In anderen Bezirken artikulierten sich die Vereinigungsbefürworter aus der Bürgerbewegung von Anfang an stärker, zum Beispiel in Sachsen. Das war auch in brandenburgischen Kleinstädten der Fall. Hier erwiesen sich viele Mitglieder des Neuen Forums als viel pragmatischer in Sachen Deutsche Einheit als in den intellektueller geprägten Bezirksstädten.

Welche Auseinandersetzung gab es zwischen der Opposition und den Herrschaftseliten in Potsdam?

Die Proteste gegen die SED-Diktatur waren sehr emotionsgeladen und endeten zumindest am 7. Oktober mit einem gewaltsamen Polizeieinsatz. Auffällig ist, dass die lokale SED-Führung relativ früh umschwenkte und den Dialog mit der Bürgerbewegung suchte. So kommt es am 16. Oktober zum ersten Potsdamer Rathausgespräch, bei dem die Führung zwar gegen die Zulassung des Neuen Forums votierte, jedoch gleichzeitig mit dessen Vertretern in der Öffentlichkeit diskutierte. Das war gleichermaßen Ergebnis der ersten Bürgerproteste wie auch Ausdruck einer neuen Umarmungsstrategie gegenüber der Bürgerbewegung.

Mit welchem Hintergrund?

Einerseits gab die Ostberliner Parteispitze die Order heraus, überall im Land gelenkte Dialoggespräche zu organisieren. Andererseits hatte SED-Bezirkschef Günther Jahn am 12. Oktober Erich Honecker zum Rücktritt aufgefordert, das hatte eine Art Signalwirkung auf seine engere Umgebung. Jüngere Funktionäre wie Heinz Vietze oder Rolf Kutzmutz sprangen bald auf die Dialogschiene auf. Sie gehörten der Mauergeneration an, die in den DDR-Staat hineingeboren worden waren. Diese Funktionärsgeneration zeigte sich wesentlich flexibler und pragmatischer im Dialog mit der Opposition. Sie versuchten den Diskurs auf der Straße zurückzugewinnen. In den Reihen ihrer Partei profilierten sie sich damit als Reformer oder Erneurer, unabhängig davon, ob sie zuvor Anhänger von Gorbatschow gewesen waren. Daraus entstand im Potsdamer Stadtraum so etwas wie eine Kultur des gegenseitigen – wenn auch angespannten – Zuhörens.

Haben Sie Beispiele dafür?

Am 11. November 1989 fand in der Heinrich-Mann-Allee eine SED-Kundgebung statt. Zeitgleich organisierte die Opposition eine Gegendemonstration, die dort hinzog. Das führte vor Ort zum Aufeinandertreffen von verschiedenen Blöcken mehrerer Tausend Potsdamer. Es kam zu Wortgefechten. Letztlich wurden Vertreter der Opposition ans Mikrofon gelassen. Am 2. Dezember wiederum verlasen bei der großen Demonstration des Neuen Forums und der SDP vorm Marstall die Veranstalter eine Erklärung von Heinz Vietze zur Rücktrittsforderung der SED-Bezirksleitung Potsdam an Egon Krenz. Man hatte dem Jahn-Nachfolger Vietze zuvor das Rederecht verweigert. Trotzdem wurde sein Anliegen verlesen. Das würde ich als einen vorsichtigen Toleranz-Stil in der politischen Kommunikation werten. Solche Vorgänge im Kleinen erklären auch, wieso die Revolution am Ende friedlich blieb.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Peter Ulrich Weiß und Jutta Braun sprechen am 5. 9. über „Revolution und Transformation in Potsdam 1989/90“, 19 Uhr, Gedenkstätte Lindenstraße, Lindenstraße 54

Peter Ulrich Weiß (42) ist Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und der HU Berlin. Schulzeit und Studium verbrachte er in Potsdam, später in Paris und Bukarest.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false