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Klaus Töpfer im PNN-Interview: "Die Energiequelle, die am besten Strom liefert“

IASS-Gründungsdirektor Klaus Töpfer über die sozialen Kosten des Kohleausstiegs, die Licht- und Schattenseiten der Energiewende, die zukünftige Entwicklung der Strompreise und eine Welt, in der neun Milliarden Menschen leben werden

Herr Töpfer, in den Braunkohlerevieren herrscht derzeit Angst angesichts der von der Bundesregierung geplanten Klimaabgabe für ältere Kohlekraftwerke, die zur Energiewende beitragen soll. Was können Sie den Menschen sagen, die nun um ihre Arbeitsplätze bangen?

Die Sorgen der Menschen in den Braunkohlerevieren sind sehr verständlich, zumal dann, wenn über die zwingend notwendige Verpflichtung zur Bewältigung der sozialen und regionalen Auswirkungen wenig oder nichts gesagt wird. Diese Sorgen sind sehr ernst zu nehmen. In einem gesellschaftlich breit getragenen gesellschaftlichen Konsens müssen überzeugende Antworten für die regionale und soziale Absicherung gegeben werden.

Ist das Potenzial der erneuerbaren Energien so groß, um diese Arbeitsplätze alle aufzufangen?

Regionale Strukturpolitik wird sicherlich weit über die Frage hinausgehen müssen, inwieweit bisherige Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft durch neue im gleichen Sektor ersetzt werden. Ein Beispiel: Verstärkt konzentriert sich wissenschaftliche Forschung auch darauf, die stoffliche Verwertung von Braunkohle zu entwickeln. Gleiches gilt für die Forschung, Kohlendioxid nicht als Abfallstoff zu behandeln, sondern als Wertstoff zu nutzen und damit den Kohlenstoffkreislauf zu schließen.

Ist nicht zu befürchten, dass eine Abkehr vom Kohlestrom die Strompreise steigen lässt und auf Kosten der Versorgungssicherheit geht?

Die vom Bundeswirtschaftsministerium gegenwärtig vorgelegten Eckpunkte werden die Strompreise nur sehr wenig steigen lassen. Es ist zu betonen, dass diese Vorschläge 90 Prozent der bestehenden Erzeugungsstrukturen unverändert lassen. Die Versorgungssicherheit ist dadurch nicht gefährdet.

Ist ein gleichzeitiger Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle nicht ein großes Wagnis?

Sehr bewusst unterstreiche ich, dass ein Kohlekonsens erarbeitet werden muss. Dieser muss genau diese Besorgnisse aufgreifen und damit den Anpassungsprozess sozial verträglich, wirtschaftlich vernünftig und ökologisch verantwortlich gestalten. Eine führende Industrienation mit hoher Exportkraft, wie es die Bundesrepublik ist und bleiben wird, kann diesen Prozess beispielgebend umsetzen. Gleichzeitig werden mit den erneuerbaren Energien weitreichende Beiträge dafür geleistet, dass auch für eine Welt mit neun Milliarden Menschen eine sichere, wettbewerbsfähige und ökologisch verantwortliche Energieversorgung friedlich entwickelt werden kann.

Nichtsdestotrotz steht die deutsche Energiewende mittlerweile stark in der Kritik.

Ich sehe nicht, dass sie wirklich falsch läuft. Sie könnte schneller, wirksamer umgesetzt werden, aber wenn ich mir die Zahlen ansehe: Wir haben gegenwärtig mit den erneuerbaren Energien die Energiequelle, die am meisten Strom liefert, mehr als Braunkohle. Wir sehen, dass die Effizienzziele besser erreicht werden. Wir haben im letzten Jahr in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent gehabt und einen Rückgang der Stromnachfrage um vier Prozent. Wenn man sich das mal ausrechnet, was das pro Einheit Bruttosozialprodukt für ein Effizienzgewinn war, ist das schon bemerkenswert.

Wie also weiter?

Wir sehen, dass die erneuerbaren Energien weiterhin massiv in den spezifischen Kosten sinken, der technologische Fortschritt geht voran. Wir müssen jetzt vor allem die Konsequenzen ziehen für die Marktstrukturen. Wie können wir es erreichen, dass diese eben sinnvoll und mit Blick darauf, dass die erneuerbaren Energien insgesamt zukünftig die Energiemärkte bestimmen werden, angepasst werden? Dass da etwas substanziell falsch läuft, kann ich nicht sehen.

Was für Marktstrukturen wünschen Sie sich?

Die Frage muss vielmehr lauten, welche Marktstrukturen braucht es, um in einem vorwiegend auf Strom aus erneuerbaren Energien ausgerichteten Stromsystem eine kosteneffiziente und leistungsfähige Bereitstellung von Strom zu gewährleisten. Damit stellt sich die Frage, ob sich Investitionen in Erzeugungskapazitäten über die reine Vergütung produzierter Strommengen ausreichend anreizen beziehungsweise refinanzieren lassen. Das heißt also, zunächst wird darüber nachgedacht werden müssen, ob es nicht andere Preisbildungs- und Vergütungsmechanismen braucht, um weiterhin Investitionen anzureizen, wenn sich schon heute eigentlich keine neu errichteten Erzeugungsanlagen – sei es für konventionelle oder erneuerbare Energieträger – über den reinen Strommarkt refinanzieren können.

Wo müsste es denn mit der Energiewende schneller gehen, wo müsste mehr gemacht werden?

Ich glaube, ganz wichtig ist es, dass wir uns sehr viel stärker noch mit der dezentralen Komponente beschäftigen. Mit dezentral meine ich bis hin zum einzelnen Haushalt, bis zum einzelnen Unternehmen. Die Frage, wie halten wir es mit dem Eigenverbrauch, wie halten wir es mit der Tatsache, dass immer mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger ihren Strom selbst erzeugen und sich durch Zusammenarbeit und auch alleine Speichermöglichkeiten schaffen und autark werden? Dies hat ja Rückwirkungen auf die Kosten für jene, die sich noch nicht selbst mit Strom versorgen können. Die Chancen dieser dezentralen Entwicklungen besser zu nutzen, die uns die erneuerbaren Energien geben, hier wäre sicherlich an vielen Stellen mehr zu tun. Ich halte es natürlich auch für sehr, sehr wichtig, dass man massiv und sehr gezielt auch weiter in die Forschung hineininvestiert.

Eine technologische Herausforderung?

Wir werden auch sehen, dass Flexibilität eine ganz neue Dimension und Qualität bekommt. Wenn die Aufkommen von Strom nicht kontinuierlich sind, dann ist jeder gut dabei, der sagt, ich kann auch meine Nachfrage diskontinuierlicher machen. Das hat etwas zu tun mit Elektronik und der Frage, wie man Dinge über das Internet zusammenbinden kann. Da ist eine unglaubliche Dynamik eingetreten und bestätigt ja eigentlich das, was wir von der Marktwirtschaft immer in besonderer Weise erwarten, dass sie dort, wo Knappheiten sind, durch technologische Veränderungen und Verhaltensänderung antwortet. Das passiert gegenwärtig in hohem Maße.

Wie könnte die dezentrale Stromerzeugung gestärkt werden?

Hier gibt es noch viel zu tun, sowohl von der regulatorischen Seite, die beispielsweise steuerrechtliche Hürden zur Stromversorgung auf Mikroebene abbaut, als auch mit Blick auf weitere technologische Entwicklungen im Bereich von sogenannten „smart services“. Und natürlich eben die Weiterentwicklung der Marktstrukturen sowie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Welchen Herausforderungen muss sich die Energiewende noch stellen?

Es gibt einen dritten großen Teilbereich, wir müssen die sozialen Konsequenzen sehen. Es scheiden ja immer mehr Menschen, die sich etwa über eigene Solaranlagen versorgen können, aus der Solidarität derer aus, die die vorangegangenen Kosten, die ja über 20 Jahre anlaufen, tragen, sodass die verbleibenden Menschen immer höher belastet werden. Und die verbleibenden Menschen sind oft gerade die sozial Schwachen. Von daher gesehen wird es eine ganz große Herausforderung sein, Lösungen zu finden, wie wir das sozial in einer gerechten Weise hinbekommen. Das ist genauso sinnvoll und notwendig wie die Tatsache, dass wir große Bemühungen umgesetzt haben, um stromintensive, energieintensive und exportabhängige Wirtschaftsbereiche von der Umlage freizustellen. Das müssen wir auf der anderen Seite im sozialen Bereich auch versuchen. Der Hinweis darauf, dass das Wohngeld entsprechend verändert werden soll, steht ja in den Papieren der Bundesregierung mit drin. Unser Vorschlag ist hier, die mit der Technologieförderung entstehenden Belastungen, die sich heute durch die Umlage überall im Strompreis niederschlagen, durch eine Fondslösung zu bewältigen.

Ihr Fazit?

Also, dezentrale Stromerzeugung stärken, Forschungsstrukturen genau ausrichten und die sozialen Konsequenzen beachten, das wäre für die noch überzeugendere Umsetzung der Energiewende hilfreich. Außerdem wird die Energiewende falsch betrachtet, wenn sie nur national gesehen wird.

Inwiefern?

Wie schon angemerkt sind wir im Jahre 2050 bei dann etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde, gerade mal fünf Prozent davon Europäer, weniger als ein Prozent Deutsche. Es ist ein Stückchen Narretei, wenn wir meinen, das wäre nur aus unserer Sicht zu betrachten. Deswegen bemühen wir uns auch hier am Institut sehr darum, die Internationalisierung voranzubringen, denn wir brauchen Energie für neun Milliarden Menschen. Und das ist eine Herausforderung.

Fragen von Yvonne Jennerjahn und Jan Kixmüller

Klaus Töpfer (76) leitet seit der Gründung 2009 das Potsdamer IASS-Institut für Nachhaltigkeitsforschung. Er war Direktor des UN-Umweltprogramms und Bundesumweltminister für die CDU.

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