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Interview: „Kulturgeschichtlich wertvoll“

Der Historiker Christoph Bernhardt vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) über den baukulturellen Wert der DDR-Architektur, die aktuelle Kontroverse zum Umgang mit den Bauten und den systemübergreifenden Willen zum Abriss

Herr Bernhardt, in Potsdam wird derzeit das Hohenzollernschloss wieder aufgebaut, während der DDR-Bau vis-à-vis demnächst geschliffen wird. Ist das der richtige Umgang mit der DDR-Architektur?

Die DDR-Architektur sollte keineswegs – so das einmütige Ergebnis unserer Konferenz in der vergangenen Woche – kulturell so stark abgewertet werden, wie dies derzeit vielfach geschieht. Es ist falsch, sie gegenüber anderen Epochen generell als minderwertig zu betrachten. Vielmehr sollte sehr differenziert in jedem Einzelfall nach dem städtebaulichen, kunsthistorischen Wert und der Funktion von Bauten gefragt werden und jeweils ernsthaft geprüft werden, diese Gebäude zu erhalten. Denn wir stellen fest, dass vor allem der Bestand der Nachkriegsmoderne – übrigens nicht nur der DDR-Bauten – stark unter Druck steht und in Gefahr ist.

Wie sollte also mit dieser Bausubstanz umgegangen werden?

Aufklärung und Forschung sind wichtig, um zum Beispiel genauer wahrzunehmen, welche Bautypen es gegeben hat. Es war ja nicht alles „Platte“, sondern es gab ein ganzes Spektrum an Bautypen. Auch spektakuläre bautechnische Lösungen gab es, die heute vielfach begrifflich hinter Stereotypen verschwinden. Einzelne Gebäude vom Warenhaus bis hin zu Verwaltungsbauten sollten differenziert bewertet und mindestens im Einzelfall erhalten werden.

Die ästhetische Qualität der DDR-Architektur ist allerdings nicht unumstritten.

Zweifellos. Ästhetische Wertmaßstäbe ändern sich allerdings. Wenn es aus Sicht der Denkmalpflege darum geht Bauzeugnisse zu erhalten, muss man manchmal über sehr dominante kulturelle Wertpositionen hinausgehen – und dahinterschauen. Es muss dann gefragt werden, welche Funktion ein Gebäude hat, welche Ideen damit verbunden waren. Man sollte sich auch auf das, was vorgeblich hässlich und wenig nachgefragt erscheint, einlassen.

Hat die DDR-Architektur einen baukulturellen Wert?

Grundsätzlich ja . Betrachten Sie etwa die Dokumente der Kunst im öffentlichen Raum. Hier finden wir ein erstaunliches Spektrum an vielfältigen künstlerischen Zeugnissen, wie zum Beispiel Mosaike, Wandbilder oder Skulpturen. In der internationalen Debatte hat der Erhalt dieser Kunstwerke aus dieser noch nicht so weit zurückliegenden Epoche einen hohen Stellenwert.

Was kann diese Architektur den nachkommenden Generationen sagen?

Unter anderem, dass in dem sozialpolitischen Bestreben, vielen Menschen möglichst gleichartige und erschwingliche Wohnungen zu bieten, Strategien gewählt wurden, die sich langfristig nicht als attraktiv erwiesen. So wurde die Architektur der seriell hergestellten Wohnungen und neuen Stadtteile bereits seit den 60er Jahren vielfach als monoton kritisiert. Aus heutiger Sicht erscheint das als eine sehr interessante, in vielem auch fremdartige, aber zeitweise mit großer Hoffnung und Optimismus begrüßte Epoche des Wohnens. Die Vorgeschichte waren ja Wohnungen ohne Komfort, Bäder und Zentralheizung. Aus der Sicht des frühen 20. Jahrhunderts war der DDR-Wohnungsbau lange Zeit ein Glücksversprechen und ist als solches auch verstanden worden.

Was steckt hinter dem Bestreben nach Abriss, das es ja gerade auch in der DDR selbst gab?

Hier gibt es ein ganzes Motivbündel. Der Konsens Altes abzureißen ging weit über die DDR und die sozialistischen Politiker hinaus. Es ist ein Signum des 20. Jahrhunderts, dass es einen grenz- und systemübergreifenden Willen zum Abriss gab. Im Einzelfall verbanden sich eher städtebauliche Argumente mit politischen Intentionen, dass man eben repräsentative Bauten der preußischen Monarchie beseitigen wollte, um dort Aufmarschplätze zu planen. Aus der Bündelung verschiedener Motive konnte sich ein starker Wille zum Abriss entwickeln, der sich über die Widerstände, die es ebenfalls immer gab, hinwegsetzte.

Und heute?

Heute wird viel durch den Markt entschieden, weniger durch die Politik. Natürlich gibt es, wie beim Palast der Republik, auch politisch motivierte Abrisse. Aber es ist natürlich etwas ganz anderes, ob ein totalitärer Staat von seiner Spitze aus das allein entscheidet oder ob das auf Entscheidungen einer pluralistisch verfassten Gesellschaft zurückgeht.

Ist die Kontroverse um das Thema überhaupt schon hinlänglich geführt?

Bei einigen Objekten ist das natürlich bereits passé. Aber die Diskussion um den Abriss gerade der Wohnungsbaubestände und einzelner prominenter Bauten ist unbedingt noch zu führen. Das ist gerade hochaktuell, und daher haben wir nun diese Konflikte, beispielsweise in Potsdam, Weimar oder Dresden.

Die Bauten sind oft in schlechtem Zustand.

Auch aus denkmalpflegerischer Sicht müssen immer wieder wirtschaftliche tragfähige Lösungen gefunden werden. Nehmen Sie das Beispiel der Hyparschale in Magdeburg, einer früheren Ausstellungshalle von Ulrich Müther, von dem auch die Seerose in Potsdam und das abgerissene Ahornblatt in Berlin stammen. Obwohl inzwischen ein breiter Konsens darüber besteht, dass die Hyparschale erhaltenswert ist, konnte seit Jahren kein wirtschaftlich tragfähiges Konzept für den Erhalt gefunden werden.

Welche positiven Beispiele können Sie nennen?

Nehmen Sie den Teepott in Warnemünde, ebenfalls von Ulrich Müther. Der Erhalt des Bauwerks spiegelt gleichzeitig auch die Schwierigkeit wider, da ein gewisser Umbau der Preis für die Erhaltung war. Immerhin werden die DDR-Baubestände inzwischen zunehmend sorgfältiger erfasst und dokumentiert, was stets eine Grundvoraussetzung für ergebnisoffene Debatten über Erhaltung oder Aufgabe ist.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Christoph Bernhardt leitet die historische Forschung am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) Erkner. Er hat eine Tagung zur DDR-Architektur initiiert.

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