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Land unter. Das westenglische Worcester stand in der vergangenen Woche unter Wasser. Es ist der nasseste Winter seit 250 Jahren in Großbritannien.

© AFP

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Zwischen Anpassung und CO2-Vermeidung: Experten diskutieren in Potsdam Strategien für den Klimaschutz

Seit Dezember ändert sich an der Großwetterlage über dem Nordatlantik so gut wie gar nichts. Ein Tiefdruckgebiet jagt das nächste, die schaufeln nicht nur verhältnismäßig warme Luft nach Mitteleuropa, sondern bringen auch heftige Orkanstürme und – wie in den vergangenen Wochen in Großbritannien – sinnflutartige Regenfälle. Normalerweise ändern sich die Großwetterlagen alle vier bis sechs Wochen. Doch diesmal klemmt das System. Bei uns scheint es bereits Frühling zu werden, während die USA in den vergangenen Wochen mit extremer Kälte zu kämpfen hatten. Im Vorjahr war es hingegen ein Hochdruckgebiet über dem Nordatlantik, das nicht weichen wollte und Mitteleuropa einen ungewöhnlich langen Märzwinter bescherte.

Solche Wetterextreme werden von Klimaforschern unter anderem auch mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Nun haben Forscher einen weiteren Zusammenhang erkannt. Derzeit beobachten sie längerfristige Änderungen im sogenannten Strahlstrom, den auch Jetstream genanten Starkwindbändern im Bereich der oberen Troposphäre bis zur Stratosphäre. Diese Änderungen wiederum seien auf Störungen der sogenannten Planetarischen Wellen zurückzuführen, globale Luftströme, die normalerweise in Form großer Wellen um den Planeten wandern.

Während mehreren Wetterextreme der vergangenen Jahre waren diese Wellen gleichsam eingefroren (s. Kasten). Sie blieben wochenlang fast unverändert, und damit auch die daraus resultierenden Wetterlagen. Mitunter folgten darauf dann Dauerregen, -hitze oder -kälte. Ein direkter Zusammenhang mit dem Klimawandel lässt sich nicht nachweisen, aber dass die globale Erwärmung die Luftströme beeinflusst, steht für die Forscher fest.

Auch der Klimaforscher und Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sieht einen Zusammenhang zwischen Änderungen der Planetarischen Wellen und Wetterextremen. Allerdings seien dies Vorgänge, die von gegenwärtigen Klimamodellen noch nicht exakt erfasst werden können. Diese große Unsicherheit der Modelle ist es dann auch, die Aussagen der Forschung für Industrie, Kommunen, Politik und Öffentlichkeit eher schwierig machen. Es gibt keine hundertprozentigen Prognosen, auf die man Maßnahmen etwa zur Verringerung von klimaschädlichen Emissionen oder zur Anpassung an mögliche Klimafolgen bauen kann. Dennoch, so die Klimaforschung: Wenn nicht jetzt etwas unternommen wird, könnte es schon bald zu spät sein.

Alle Welt erwartet exakte Angaben darüber, was auf uns zukommt. Doch die können auch Forscher nicht machen. „Der Fortschritt in der Wissenschaft ist langsam wie eine Schnecke“, so Rahmstorf. Sicher scheint nur: „Die nächsten Jahrzehnte werden sich sehr von den vorangegangenen unterscheiden“, wie Rahmstorf sagt.

Über das Spannungsverhältnis zwischen nötiger Emissionsvermeidung und möglichen Anpassungsmaßnahmen diskutierten in der vergangenen Woche in Potsdam über 300 Experten auf der Jahrestagung des Climate Service Center (CSC) in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). Ein Tenor der Konferenz: Das, was sich heute noch vermeiden lässt, sollte unbedingt in Angriff genommen werden. Andererseits ist die Menschheit gezwungen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, die nicht mehr zu vermeiden sind.

Für PIK-Forscher Stefan Rahmstorf liegt genau darin die Crux. Eigentlich tritt er als Verfechter des 2-Grad-Ziels – die Erwärmung seit der Industrialisierung, die als noch beherrschbar gilt – für Vermeidungsstrategien ein. Gleichzeitig weiß er aber auch, dass Anpassungsstrategien nötig sind, weil die Veränderungen der Atmosphäre schon weit fortgeschritten sind. Mittlerweile rechnet Rahmstorf mit aktuell fast einem Grad Erwärmung seit der Industrialisierung. Anpassung und Vermeidung sind für ihn daher zwei Seiten ein und derselben Medaille: „Wenn wir den Klimawandel nicht ausreichend begrenzen, dann können wir uns nicht mehr geordnet an die Folgen der Erwärmung anpassen“, sagte Rahmstorf auf der Konferenz. Grundsätzlich seien die Anpassungsmöglichkeiten aber sehr limitiert. „Insofern ist die Eingrenzung des Klimawandels so wichtig.“

Schwierig dabei ist, dass die Modellrechnungen, wie die Forschung selbst einräumt, nur Möglichkeiten zeigen, wie eine Zukunft im Klimawandel aussehen könnte. Es bleibt eine große Unsicherheit, auf deren Grundlage kostspielige Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in die Wege geleitet werden müssten. Andererseits war man sich auf dem Potsdamer Telegrafenberg auch einig, dass es sehr schwierig für die Weltgemeinschaft wird, wenn man die Transformation zu einer transnational handelnden Gesellschaft nicht schafft. Wichtig sei es nun, auszuloten, wo die Grenzen der Anpassung liegen, sagte CSC-Direktor Guy Brasseur in Potsdam.

Der Co-Direktor des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS, Mark Lawrence, vergleicht die Situation mit einem großen Stein, der im Weg liegt. Solange man den Stein noch umgehen kann, helfen Anpassungsmaßnahmen, wie gegenwärtig etwa die Bestrebungen zu einer grundlegenden Energiewende in Deutschland. „Wenn der Stein aber so groß wird, dass wir nicht mehr daran vorbeikommen, müssen wir ihn durchbohren“, so Lawrence. Damit meint er zum Beispiel Maßnahmen wie das aktive Entziehen des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) aus der Atmosphäre. Die dazu diskutierten Verfahren des Geoengineerings – etwa Einsatz von Aerosolen, künstliche Reflexion des Sonnenlichts – sind recht umstritten, weil sie weitreichende Eingriffe in das Erdsystem bedeuten.

Zwar könne man eine CO2-Reduktion auch durch Aufforstung mit anschließender unterirdischer Einlagerung des CO2 erreichen, gab Stefan Rahmstorf zu bedenken. Doch eine Gefahr solcher Verfahren liegt nach seiner Ansicht auch darin, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Wissenschaft werde in einigen Jahren ein Verfahren aus dem Hut zaubern, mit dem sich das Problem schnell lösen lasse. „Das kann ich so nicht erkennen“, sagte der Physiker. Daher müsse Emissionsvermeidung wie auch die Klimaanpassung gleichzeitig vorangebracht werden. In der Diskussion um den Klimawandel werde zu oft vergessen, dass wir langfristig in einer anderen Welt leben werden, wenn nichts unternommen wird, gab auch Brasseur zu bedenken. „Wir sind schon sehr nah an der Grenze, hinter der Anpassung unmöglich wird.“ Brasseur geht davon aus, dass das 2-Grad-Ziel nicht haltbar ist.

Die drängende Frage sei nun, welchen Alternativplan die Weltgemeinschaft entwickele. „Wenn keine Lösung auf internationaler Ebene gefunden wird, muss jetzt ein Plan B gemacht werden.“ Jeder neue Weltklimabericht komme zu weiteren pessimistischen Einschätzungen. Die Frage sei nun nicht mehr, was die Wissenschaft in den kommenden Jahren an neuen Erkenntnissen bringe, sondern was die Öffentlichkeit damit anfängt.

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