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Monsterhochzeit. Die Kollision von zwei Schwarzen Löchern hatte die Gravitationswelle ausgelöst, die vor drei Jahren mit dem US-amerikanischen Ligo-Detektor als erste ihrer Art gemessen wurde. 

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Gravitationswellen lüften Geheimnisse des Universums: „Völlig surreal anmutende Objekte“

Die Messung der ersten Gravitationswellen gab Wissenschaftlern vollkommen neue Einblicke ins Universum. Der Potsdamer Physiker Harald Pfeiffer vom Albert-Einstein-Institut über Schwarze Löcher, neue Antworten zur Weltformel und Einflüsse von höheren Dimensionen.

Herr Pfeiffer, vor ziemlich genau drei Jahren wurde erstmals eine Gravitationswelle gemessen. Damit wurde eine Tür zu einer bislang unbekannten Seite unseres Universums aufgestoßen. Was bedeutet das für Ihre Forschung an Schwarzen Löchern?
 

Die erste detektierte Gravitationswelle vom 14. September 2015 ging auf die Verschmelzung von zwei binären Schwarzen Löchern zurück. Diese Objekte sind, wie ihr Name schon sagt, schwarz. Mit herkömmlichen Teleskopen sind sie nur auszumachen, wenn andere Materie in sie hineinstürzt. Ansonsten sind diese Gebilde komplett unsichtbar. Es sei denn, man beobachtet sie mit Hilfe von Gravitationswellen. Sonst gibt es keine andere Möglichkeit, solche Löcher überhaupt zu finden. Insofern sind die Gravitationswellen bei der Forschung zu Schwarzen Löchern von großer Bedeutung. Zudem geben die Wellen bei Objekten, die sich mit Teleskopen beobachten lassen – etwa Neutronensternen – dazu noch Informationen, die sich sehr stark von dem unterscheiden, was man bisher erfahren konnte.

Worin liegt der Unterschied?

Eines der großen Puzzles, das durch Beobachtung von Neutronensternen aufgeklärt wurde, war der Ursprung von Gammablitzen. Sie entstehen sehr regelmäßig, mehrfach an einem Erdentag irgendwo im Universum und strahlen bis zu uns. Durch die herkömmliche Beobachtung war bekannt, dass es sich um einen expandierenden Materieball handelt. Aber wir wussten nichts über den Ursprung, wo die Materie herkommt und wieso sie expandiert. Den Gravitationswellen können wir nun entnehmen, was vorher passiert ist. Nämlich, dass es zwei Objekte in der Dimension von Neutronensternen gab, die sehr plötzlich miteinander verschmolzen. Nun lassen sich die Vorgänge in ihrer Gesamtheit erfassen.

Mittlerweile wurde bereits die sechste Gravitationswelle aufgezeichnet. Könne Sie daraus konkrete Erkenntnisse zu den Schwarzen Löchern ziehen?

Auf jeden Fall. Der Ligo-Detektor in den USA hat bislang fünf Mal Signale gemessen, die von verschmelzenden Schwarzen Löchern ausgingen, das sechste Signal hat höchstwahrscheinlich einen ähnlichen Ursprung. Mich fasziniert daran, dass man damit nun Einsteins Vorhersagen testen kann: ob sich Schwarze Löcher so verhalten, wie seit 100 Jahren von seinen Gleichungen vorhergesagt wird. Ob sie tatsächlich diese völlig surreal anmutenden Objekte sind, die sich aus Einsteins Theorie ergaben – Vakuum-Objekte mit einer Singularität in der Mitte, die Raum und Zeit so sehr verbiegen, dass nicht einmal mehr Licht entkommen kann. Gebilde, die extrem viel Masse in einem extrem kleinen Volumen vereinbaren. Durch die Gravitationswellen-Astronomie stellt sich nun heraus, dass diese Löcher offenbar tatsächlich diese absurden Gebilde sind.

Wie müssen wir uns sie vorstellen?

Eigentlich als enorme Materiestaubsauger: sie verschlucken alle Materie und alles Licht – und wegen ihrer starken Gravitation geben sie nichts davon mehr her. Ihr Name ist etwas irreführend, denn sie sind kugelförmige Objekte, in die man von allen Seiten aus hineinstürzen kann. Allerdings sind sie extrem klein, die Wahrscheinlichkeit hineinzufallen ist also sehr gering. In einigermaßen großer Entfernung ist ihre Schwerkraft auch nicht stärker als die unserer Sonne.

Könnten sie auch ein ganzes Sonnensystem verschlingen?

In der Praxis dürfte das schwierig werden. Das Loch würde wohl die Sonne auffressen, wenn es ihr zu nahe kommt. Dann würden die Planeten aus ihren Umlaufbahnen fliegen und irgendwo im Universum verschwinden. Dass aber alles in ihm verschwindet, ist unwahrscheinlich, weil diese Gebilde so extrem klein sind.

Wohin verschwindet die Materie?

Die Materie stürzt ins Zentrum des Schwarzen Loches, wo die Raumkrümmung unendlich groß ist. Auf dem Weg dorthin wird Materie unendlich stark zusammengepresst. Zurück bleibt Vakuum mit einer Singularität im Zentrum.

Was wissen wir heute über den Ursprung der Objekte?

Die Entstehung der sogenannten binären Schwarzen Löcher ist ein sehr interessantes Gebiet, über das die Gravitationswellen nun Hinweise liefern können. Die stellaren Schwarzen Löcher entstehen durch die Explosion von massiven Sternen in einer Supernova-Explosion. So wird aus einem Stern ein Schwarzes Loch. Das interessante ist nun, wie sich binäre Schwarze Löcher formen. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie binäre Schwarze Löcher entstehen können. Erstens durch zwei massive Sterne, die schon als Sterne umeinander kreisten. Das kommt recht häufig im Universum vor. Jeder von ihnen wird ein Schwarzes Loch und so entsteht ein binäres Schwarzes Loch, das umeinander kreist. Der andere Ursprung sind sogenannte Kugelsternhaufen, in denen einzelne Schwarze Löcher entstehen: dort ist die Dichte an Sternen so extrem groß, dass zwei Schwarze Löcher schnell zueinander finden und so zu einem binären System werden. Welcher Mechanismus nun überwiegt und wie wichtig diese beiden Vorgänge sind, ist bislang völlig unbekannt. Das kann entschieden werden, wenn wir in der Lage sind, die Rotationsrichtung der Gebilde zu messen. Wenn uns das in Zukunft gelingt, werden wir herausfinden, wo sich die binären Schwarzen Löcher geformt haben.

Wo befindet sich das von uns aus gesehen nächste Schwarze Loch?

Es gibt in der Milchstraße sogenannte Röntgenbinärsysteme, in denen ein normaler Stern auf ein Schwarzes Loch einstrahlt. Dort kann man die Materie sehen, wie sie sich erhitzt, bevor sie auf das Schwarze Loch fällt. Davon haben wir einige in unserer Galaxie, die einige tausend Lichtjahre von der Sonne entfernt sind. Im Zentrum der Milchstraße gibt es ein besonders großes Schwarzes Loch, das etwa vier Millionen mal so massiv ist wie unsere Sonne.

Alles also weit genug entfernt, um uns gefährlich werden zu können?

Auf jeden Fall.

Wie kommt man dazu, sich mit solchen absurden Systemen überhaupt zu befassen?

Ich fand schon seit meiner Schulzeit das Konzept der Schwarzen Löcher und der Relativitätstheorie faszinierend. Kombiniert mit meiner Vorliebe für Computer wurde daraus mein Forschungsgebiet: die Computerberechnung von Schwarzen Löchern. Interessant ist, dass man dabei an der äußersten Grenze der Wissenschaft ganz neue Dinge herausfinden kann. So können wir neues darüber herausfinden, wie Raum, Zeit und Materie sich wirklich verhalten.

Zum Beispiel?

Ich hatte ja schon kurz die Singularitäten im Zentrum von Schwarzen Löchern angesprochen, wo die bekannten Naturgesetze zusammenbrechen. Auf der mathematisch-theoretischen Seite gibt es seit Jahrzehnten die ungelöste Frage, ob „nackte Singularitäten“ existieren, das heißt ob es Singularitäten auch außerhalb von Schwarzen Löchern geben kann. Bislang haben wir – zum Glück – noch keinen Hinweis darauf gefunden.

Was können wir aus den neuen Erkenntnisse lernen?

Zunächst einmal geht es um Grundlagenforschung. Wir können sehr viel genauer testen, ob Schwerkraft wirklich so funktioniert, wie Einstein sie vorhergesagt hat. Auf der astrophysikalischen Seite erhalten wir wiederum Informationen darüber, wie viele Schwarze Löcher es im Universum gibt, wie massiv sie sind, wie sie entstanden sind, was passiert, wenn Sterne mit Supernova-Explosionen sterben. Auch das ist bislang sehr unklar.

Warum ist das für die Menschheit überhaupt wichtig zu wissen?

Es befriedigt erst einmal die Neugier der Menschen, zu wissen, wie das Universum funktioniert – und was es sonst noch alles im Weltall gibt. Und dann finden die technischen und theoretischen Neuentwicklungen, die nötig waren, um Gravitationswellen zu entdecken, neue Verwendungszwecke. Zum Beispiel kann man mit der gleichen Lasertechnologie auch den Grundwasserspiegel messen – und dadurch die Wasserverteilung auf der ganzen Erde. Zu diesem Zweck wurde vor wenigen Wochen der „Grace-FO“ Satellit (unter Federführung des Potsdamer GFZ; Anm d. Red) gestartet.

Ihre Kollegen sprechen im Zusammenhang von Gravitationswellen auch von Harmonie und Schönheit, ja es gibt sogar den Vergleich mit einer Symphonie.

Vergleiche sind wichtig, das kann weiterhelfen, die grundlegenden Ideen der Allgemeinheit zu vermitteln. Andererseits ist es aber auch oft für die Wissenschaft selbst wichtig, dass man von anderen Themengebieten ein Bild erhält, um Ideen zu bekommen, wie man mit seiner eigenen Forschung Fortschritte machen kann und was daran wichtig sein könnte.

Könnten die neuen Erkenntnisse zu den Schwarzen Löchern auch bei der Suche nach einer vereinheitlichten Weltformel weiterhelfen?

Theoretisch schon. Wenn ich ein Lexikon in ein Schwarzes Loch werfe, sind die Informationen aus dem Lexikon verschwunden. Die Masse des Lexikons bleibt zwar erhalten, aber jegliche andere Information von der Masse geht verloren. In der Quantenmechanik kann Information aber nicht verloren gehen, alles, was wir heute wissen, ist morgen auch noch vorhanden. Das ist ein klares Indiz für die Inkonsistenz zwischen Gravitationstheorie und Quantenmechanik – also, dass die Gesetze der Welt der großen Dinge mit denen der kleinsten Teilchen nicht zusammenpassen. Es könnte sein, dass es durch die Gravitationswellen dazu neue Antworten gibt. Zum Beispiel könnte es sein, dass sich die Ereignishorizonte Schwarzer Löcher völlig anders verhalten, als man es aus der Gravitationsphysik her kennt. Wenn wir das mit den Gravitationswellen messen könnten, wäre es eine Sensation. Allerdings sind die Schwarzen Löcher, die wir untersuchen, so groß, dass Quanteneffekte wohl kaum eine Rolle spielen.

Worauf warten Sie als nächstes, was können uns die Gravitationswellen noch verraten?

Es ist schwer auf etwas zu warten, das man noch nicht kennt. Sehr glücklich wäre ich aber über Erkenntnisse zu Einflüssen von höheren Dimensionen. Es gibt die Idee, dass unser bekanntes vierdimensionales Universum eingebettet ist in eine höher-dimensionale Struktur – so genannte „Branes“. Es mag durchaus sein, dass wir durch die Messung von Gravitationswellen Informationen über solche höheren Strukturen erhalten.

Wie das?

Indem die Signale der Gravitationswellen nicht genau zusammenpassen mit dem, was man von der vierdimensionalen Relativitätstheorie erwarten würden. Das ist eine der Motivationen, warum wir immer genauer untersuchen wollen, ob Albert Einstein Theorie wirklich korrekt ist.

Ein Kollege von Ihnen hat die Fachwelt nun mit der Hypothese überrascht, dass es unser Universum eigentlich gar nicht geben kann. Was halten Sie davon?

Die Forschung von Cumrun Vafa versucht die Einstein’sche Gravitationstheorie mit der Quantenmechanik zu vereinigen, eine ungelöste Frage, wie zuvor schon angesprochen. Seine neuen Resultate deuten darauf hin, dass der derzeitige theoretische Ansatz womöglich falsch ist. Unsere Erde ist sehr real und greifbar, das Universum real beobachtbar, schauen Sie einfach heute Nacht in den Himmel. Insofern arbeite ich weiter mit voller Kraft daran, Geheimnisse des Universums mit den faszinierenden Gravitationswellen aufzudecken.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Harald Pfeiffer (44) ist am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Insitut/AEI) Gruppenleiter in Numerischer Relativitätstheorie. Er ist Friedrich-Bessel-Preisträger. 

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