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Homepage: Er handelte mit Vernunft

Der Aufklärer Moses Mendelssohn und sein Aufstieg im friderizianischen Preußen. In Potsdam ist ein Institut nach ihm benannt

Fast wären sich Moses Mendelssohn und Friedrich II. einmal begegnet. Der berühmte Philosoph besuchte am 30. September 1771 auf Geheiß des preußischen Königs das erste und einzige Mal Potsdam. Die Initiative für den Besuch ging vom kursächsischen Minister Baron von Fritsche aus, der den jüdischen Aufklärer unbedingt kennenlernen wollte und den König um die Einladung bat. Doch Friedrich II. empfing Mendelssohn nicht. Er diskriminierte die Juden – und wollte sich nicht mit ihnen treffen.

Schon auf dem Weg nach Potsdam löste Mendelssohns Besuch Unverständnis aus. Einer Anekdote zufolge soll der wachhabende Offizier am Berliner Tor, das Mendelssohn auf seinem Weg passieren musste, den ihm unbekannten Philosophen gefragt haben, womit der Jude denn handele. Mendelssohn soll geantwortet haben: „Ich handele mit Vernunft“.

Mendelssohn war ein wichtiger Philosoph der Aufklärung und ein Wegbereiter der Haskala, der jüdischen Aufklärung. In Potsdam ist das renommierte Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) nach ihm benannt worden, ein An-Institut der Universität Potsdam, dass von dem Historiker und Politikwissenschaftler Julius H. Schoeps geleitet wird, der nach eigenem Bekunden ein Nachkomme Moses Mendelssohns ist.

Schon zu Lebzeiten war Mendelssohns ein anerkannter jüdischer Philosoph. Dennoch wollte der preußische König ihm nicht seine Aufwartung machen. In seiner Regierungszeit hat Friedrich II. nie einen Juden persönlich empfangen. „Auf der einen Seite predigte der preußische König religiöse Toleranz, zum anderen wollte er die Zahl der Juden in Preußen dezimieren. Er traf sich, soweit wir wissen, nicht mit Juden und diskriminierte sie im Allgemeinen“, sagt Christoph Schulte, Professor für jüdische Studien und Philosophie an der Universität Potsdam und Experte für die Haskala. Die Situation der Juden verschlechterte sich im friderizianischen Preußen wie nirgendwo sonst in Europa, so Schulte. Das revidierte General-Privileg von 1750 teilte sie nach ihren ökonomischen Verhältnissen in sechs Klassen ein und bedeutete eine massive Diskriminierung. Den Christen rechtlich gleichgestellt waren sie nie. „Selbst der erfolgreiche und anerkannte Mendelssohn schaffte es zu seinen Lebzeiten nie in die oberste Klasse. Er war nie Berliner Bürger“, so Schulte. Das preußische Bürgerrecht sollten erst die Söhne von Moses nach dem preußischen Judenedikt von 1812 erhalten.

Für Vieles mussten die preußischen Juden Sonderabgaben zahlen. Selbst für ihren Aufenthalt und ihre Familienverhältnisse benötigten sie Erlaubnis, wie um zu heiraten oder aufenthaltsberechtigte Kinder zu bekommen. Mendelssohn selbst musste ein Jahr auf seine Heiratserlaubnis mit Fromet Guggenheim warten. Trotz diesen lebenslangen Ausgrenzungen wurde Moses Mendelssohn ein gefragter Philosoph und Bestsellerautor, war Vorbild für Lessings „Nathan der Weise“. Er war die Leitfigur der Berliner Aufklärung und der Haskala.

Eine Schule hat er nie besucht und nie studiert. Sein Wissen und seinen Ruf hat er nur durch eigene Anstrengung erlangt. Der 1729 in Dessau geborene Mendelssohn studierte seit seiner Kindheit bei dem Rabbiner David Fränkel den Talmud. Schon früh zeigte er eine Begabung für Sprachen und lernte autodidaktisch Deutsch, Englisch, Französisch und Latein. Als der Rabbi Fränkel 1743 nach Berlin ging, folgte Mendelssohn ihm. Zunächst arbeitete er als Privatlehrer in der Familie des Seidenhändlers Isaak Bernhard. Später wurde er Buchhalter in Bernhards Unternehmen und dort schließlich teilhabender Geschäftsführer.

In Berlin gab es zu diesem Zeitpunkt keine Universität. Die Protagonisten der Aufklärung trafen sich in Kaffeehäusern, Kontoren, in Privathäusern. Sie waren mehrheitlich keine Gelehrten, sondern übten oft bürgerliche Berufe aus. „Ein akademischer Status war nicht notwendig, um in den Kreisen der Berliner Aufklärung zu verkehren“, so Schulte. Juden waren in diesen Kreisen anerkannt und wurden sogar in die Privatwohnungen von Christen eingeladen. Das hätte es nirgendwo sonst in der deutschen Aufklärung gegeben, sagt Schulte. In dieser Umgebung konnte Mendelssohn sich entfalten und aufsteigen. Seit 1755 veröffentlichte er seine ersten eigenen Werke. Seine klare Sprache machte ihn schnell bekannt. Neben seiner Karriere als philosophischer Autor war er auch ein renommierter Literaturkritiker und Publizist. Über 120 Rezensionen soll er geschrieben haben.

Ein wichtiges Anliegen war ihm stets die Gleichstellung der Juden in Preußen. Er forderte politische Gleichberechtigung, freie Berufs-, Aufenthaltswahl, den Zugang zur Bildung. Gleichzeitig forderte er Gewissens- und Religionsfreiheit in Staat und Synagoge und die Trennung von Kirche und Staat. Die Bevormundung der Rabbiner lehnte er ab. Religion war für ihn eine individuelle Angelegenheit. Die weitgehende Gleichstellung der Juden von 1812 sollte er nicht mehr erleben. 1786 starb Mendelssohn in Berlin an einer Erkältung. Sarah Stoffers

Sarah Stoffers

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