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Was die Welt zusammenhält. Der Nachweis von schweren Gravitinos wäre ein wichtiger Schritt zur allenthalben gesuchten vereinheitlichten Theorie der Physik. Die Dunkle Materie, die aus diesen Teilchen bestehen könnte, macht sich nur über Gravitationseffekte bemerkbar. Die Aufnahme zeigt einen Ring Dunkler Materie in einem fünf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen im Sternbild Fische. 

©  Foto: NASA/Nasa/dpa 

Einstein-Forschung Potsdam: Ein Rätsel des Universums

Der Potsdamer Einstein-Forscher Hermann Nicolai schlägt zusammen mit einem polnischen Physiker die Existenz ein neuen Elementarteilchens vor. Das superschwere Gravitino könnte der Stoff sein, aus dem die mysteriöse Dunkle Materie im Universum besteht.

Der Potsdamer Gravitationsphysiker Hermann Nicolai hat zusammen mit seinem Warschauer Kollegen Krzysztof Meissner eine bemerkenswerte Hypothese aufgestellt. Die beiden Forscher postulieren die Existenz eines bislang unbekannten Elementarteilchens. Ein solches superschweres Gravitino ist ihrer Ansicht nach ein vielversprechender Kandidat für den Stoff, aus dem die vielbeschworene und nie gesehene Dunkle Materie bestehen könnte. Ihre Ideen haben die beiden Wissenschaftler nun in der Physical Review D und im Journal of Cosmology and Astroparticle Physics (JCAP) publiziert.

Kosmologen und Physiker gehen davon aus, dass 25,8 Prozent des Universums aus Dunkler Materie bestehen, die sich im Wesentlichen über die Gravitation bemerkbar macht. Immerhin ein Viertel der Welt, das für uns unsichtbar ist. Für die uns bekannte Materie gibt es das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik, mit Quarks und Leptonen als Bausteine und Kräften, die unsere Welt zusammenhalten. Woraus der Rest des Universums besteht, ist bisher niemandem wirklich bekannt. Die Natur der Dunklen Materie gilt als eine der wichtigsten offenen Fragen der Kosmologie. Ein Indiz für diese mysteriöse Energie sind die Galaxien, die mit hoher Geschwindigkeit rotieren, ohne dass die sichtbare Materie alleine ausreichen würde, um sie zusammenzuhalten.

Die beiden Physiker machen einen radikalen Schritt

Bei der Dunklen Materie nahmen die Physiker bislang an, dass sie aus sehr leichten Teilchen besteht, die nur sehr schwach mit bekannter Materie interagieren. Nach den gängigen Erwartungen besteht Dunkle Materie aus einem Elementarteilchen, das sich bisher nicht nachweisen ließ, da sich im Universum fast nur durch seine Schwerkraft bemerkbar macht. „Wir gehen nun einen viel radikaleren Schritt“, sagt Nicolai. Die beiden Physiker schlagen superschwere Teilchen als Grundlage dieser Masse vor, die eine starke Wechselwirkung mit unserer Materie zeigen würden. „Unser Modell sagt die Existenz von superschweren Gravitinos vorher, die im Gegensatz zu den handelsüblichen Kandidaten stark und elektromagnetisch mit gewöhnlicher Materie wechselwirken“, erklärt Nicolai, der Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut) ist.

Bei der bisherigen Annahme schwach wechselwirkender Teilchen hätte man wie bei den Neutrinos riesige Detektoren gebraucht, um vielleicht irgendwann einmal eins dieser Teilchen einzufangen. Bei starker Wechselwirkung nun müsste man sie eigentlich sofort sehen. Doch da die neu postulierten Teilchen so schwer sind, können sie nur extrem verdünnt im Weltall auftreten. Man bräuchte lediglich ein Teilchen auf rund 10 000 Kubikkilometer um die Dunkle Materie zu erklären, beschreibt Nicolai: „Nur ein Teilchen dieser Sorte in einem Würfel mit einer Kantenlänge von 20 Kilometern!“

Eine hochspekulative Hypothese

Im PNN-Gespräch betont Hermann Nicolai, dass es sich bei ihrem Vorschlag um eine hochspekulative Hypothese handelt. „Aber das sind die anderen Ideen zur Dunklen Materie auch, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass bei den Versuchen am Cern bisher gar nichts zu sehen war.“ Auch andere seit langer Zeit laufende Experimente wie beispielsweise Lux oder diverse Axion-Suchexperimente haben bisher keinerlei hinweise erbracht. Man tappt also im wahrsten Sinne des Wortes bei der Dunklen Materie im Dunklen.

Ein wesentliches Element des neuen Ansatzes von Nicolai und Meissner ist eine neuartige unendlich-dimensionale Symmetrie, die das beobachtete Spektrum der bekannten Quarks und Leptonen in drei Familien erklären soll. „Aus unserem Ansatz ergeben sich tatsächlich keine zusätzlichen Teilchen für gewöhnliche Materie, die anschließend wieder wegdiskutiert werden müssten, weil sie sich in den Beschleunigerexperimenten nicht zeigen“, erklärt Nicolai. „Im Gegensatz dazu kann unser Ansatz zumindest im Prinzip genau das erklären, was man sieht.“ Wesentlich für die Stabilität der schweren Gravitinos sei unter anderem ihre besondere Ladung, erklärt Nicolai. „Es gibt nämlich ganz einfach keinen entsprechenden geladenen Endzustand im Standardmodell, in welchen diese Gravitinos zerfallen könnten – andernfalls wären sie schon kurz nach dem Urknall verschwunden.“

Die von Nicolai und Meissner angenommene starke Wechselwirkung der superschweren Teilchen mit der bekannten Materie könnte helfen, die Gravitinos aufzuspüren. Nicolai sieht zwei Möglichkeiten, die Elementarteilchen zu finden. Zum einen könnte ein Detektor eine Ionisationsspur zeigen. „Die Gravitinos würden sogar die ganze Erde durchlaufen, weil sie so schwer sind – wie eine Kanonenkugel, die sich nicht von einem Mückenschwarm ausbremsen lässt.“ Solche Messungen könnte man tief unter der Erde durchführen, etwa ein Kilometer Fels würde einen Großteil der störenden kosmischen Strahlung abhalten. Zur Identifikation könnte man Flugzeitmessungen vornehmen. Denn weil die Teilchen so schwer sind, fliegen sie nicht wie kosmische Strahlen mit Lichtgeschwindigkeit, sondern sind relativ langsam. „Wenn man diese beiden Parameter feststellt, hätte man einen Hinweis auf die Existenz der Teilchen“, so der Physiker, der die Geheimniss der Physik auch schon mal vor dem Hintergrund der Theologie reflektiert.

Der Potsdamer Gravitationsphysiker Hermann Nicolai. 
Der Potsdamer Gravitationsphysiker Hermann Nicolai. 

© Andreas Klaer

Die Suche nach kosmischen Fossilien

Doch die Forscher haben noch eine andere Idee, wie man die mysteriösen Teilchen aufspüren könnte – nämlich die Erde selbst als eine Art „Paläo-Detektor“ zu benutzen. Da die Teilchen extrem selten sind, müsste man mit einem Detektor für einen Treffer möglicherweise 100 Jahre und mehr warten. Wenn man aber in kristallinem Gestein nach ihren Spuren sucht, könnte man sozusagen Aufzeichnungen davon entdecken. In extrem stabilen Kristallen oder vielleicht auch ganz tief im ewigen Eis könnten sich vielleicht Spuren nachweisen lassen. „Die Erde fliegt seit etwa 4,5 Milliarden Jahren durchs All, und in dieser Zeit müssten sie schon viele solcher massiven Gravitinos durchdrungen haben“, so Nicolai. Dabei müssten die Partikel lange, gerade Ionisationsspuren im Gestein hinterlassen haben, die sich von Spuren bekannter Elementarteilchen unterscheiden würden.

Es ist bekannt, dass ionisierende Strahlung zu Gitterdefekten in Kristallstrukturen führt, erklärt der Physiker. „Vielleicht gelingt es, in Kristallen, die über Jahrmillionen stabil bleiben, Relikte solcher Ionisationsspuren nachzuweisen.“ Während man am Teilchenbeschleuniger Cern Kollisionen erzeugt, um Teilchen sichtbar zu machen, würde es sich hier vielmehr um die Suche nach kosmischen Fossilien handeln. Allerdings müsste noch eine Technik entwickelt werden, die ein solches Verfahren ermöglicht.

Ein wichtiger Baustein für die Weltformel

Sollten diese superschweren Gravitinos tatsächlich irgendwann einmal nachgewiesen werden, wäre das ein wichtiger Baustein für die allenthalben gesuchte vereinheitlichte Theorie, auch Weltformel genannt. Diese Theorie soll die Widersprüche zwischen der Physik der großen Dinge unserer Welt mit der der allerkleinsten Dinge im Quantenbereich zusammenbringen. Bislang gelten hier unterschiedliche physikalische Gesetzmäßigkeiten. „Gravitinos spielen in nahezu allen Ansätzen zur Vereinigung von Quantentheorie und Gravitation eine zentrale Rolle“, erklärt Nicolai. Das sei zwar noch nicht die Lösung aller physikalischen Probleme – „aber zumindest eine ganz andere Idee als das, was bisher auf dem Markt ist.“

Der Nachweis wäre auch ein Hinweis darauf, dass der Ansatz der Vereinheitlichung der beiden Physiker in die richtige Richtung geht. Auch wenn Nicolai weiß, dass die Wahrscheinlichkeit Recht zu haben nur etwas größer ist als die für einen Sechser im Lotto. Immerhin aber könnte der neue Ansatz auch erklären, wo die extrem energiereichen Strahlen herkommen, die seit vielen Jahren in Argentinien am Pierre-Auger-Observatorium beobachtet werden, für die es bisher keine Erklärung gibt.

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