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Auf dem Telegrafenberg wurde eine landesweite Forschungsplattform zum Klimawandel gegründet / Masterplan Energiemix gefordert

Die Zeit sei reif dafür, sagte der Doyen der Klimaforschung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber zur Gründung der Brandenburger Forschungsplattform zum Klimawandel. Die Kapazitäten dazu seien in der Region Berlin-Brandenburg hervorragend: „Die Geschichte hat uns ein einmaliges Labor geschaffen.“ So liege etwa auch eine „klimaplastische Nutzung“ der vielen brachliegenden Liegenschaften in der Region geradezu auf der Hand. Größte Herausforderung sei es nun, Wissenschaft und Verwaltung zusammenzubringen. Auch dazu soll die nun etablierte Plattform dienen.

Federführend für das Vorhaben ist das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Rund 20 weitere Einrichtungen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in Berlin und Brandenburg, auch Großkonzerne wie BASF und Vattenfall, Forschungseinrichtungen wie die Berliner Charité, das Potsdamer Fraunhofer-Institut für biomedizinische Technik und mehrere Ministerien, Universitäten und Fachhochschulen sind eingebunden (PNN berichteten). Ziel der Initiative des Wissenschaftsministeriums ist es, Brandenburg unter Einbeziehung Berlins zu einer Modellregion der Klimaforschung zu machen.

Zur Gründung der Plattform waren in der vergangenen Woche rund 80 Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik auf dem Telegrafenberg zu mehreren Workshops zusammengetroffen. Zur grundlegenden Frage, wie sich der Klimawandel gestalten lasse, wurden fünf Schwerpunktfelder herausgearbeitet: Landnutzung, Stadt- und Raumplanung, Biodiversität, Energienutzung und Verwertung von Biomasse.

Komplexe Themen allenthalben, für die sich tatsächlich zahlreiche Forschungsinstituten der Region stark machen. So bei der Landnutzung zu Fragen des Wasserhaushaltes und der Biomasse, zur Rückkoppelung von Atmo-, Hydro- und Biosphäre sowie zur Umsetzung von Anpassungsstrategien. Die bereits bestehende Forschungsplattform „Ländliche Räume Berlin-Brandenburg“ deckt schon einiges davon ab. Aber eine offene Plattform, in der auch Geoforschung, Charité und Hochschulen sich einbringen, könne die zahlreichen Querschnittsthemen besser umfassen. Die Landesregierung will das neu begründete Netzwerk „nach Kräften“ unterstützen, eine Koordinierungsstelle soll eingerichtet werden, kündigte Staatssekretär Johann Komusiewicz an.

Alle Arbeitsgruppen kamen zu dem Ergebnis, dass es von großer Bedeutung sei, neu etablierte Studiengänge gezielt auf Klimaforschung auszulegen. Auch die berufliche Ausbildung müsse auf Klimaschutzes ausgerichtet werden.

Auf die exponierte Rolle der Region Berlin-Brandenburg für einen Schwerpunkt Klimaforschung wies Dr. Timothy Moss vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) hin. Die besondere Siedlungsstruktur – einerseits ländliche Räumen, andererseits ein großes Ballungszentrum mit starker Forschung – sei das Potenzial der Region. Moss betonte zugleich, dass Berliner Einrichtungen, die sich mit dem Klimawandel befassen, unbedingt in die Plattform einbezogen werden müssten.

An die Adresse der Politik wandte sich Prof. Harald Schwarz von der BTU-Cottbus für den Bereich Energienutzung. Die Region habe diverse Potenziale für alternative Energien – von Biomasse über Geothermie, CO2-Abspaltung und Lagerung bis hin zu Solar- und Windenergie. „Das Problem ist aber, dass eine verbindliche politische Entscheidung zum Energiemix fehlt“, sagte Schwarz. Auch müsse geklärt sein, wer die Federführung habe. „Dann können wir den Rest angehen.“ Prof. Reiner Brunsch vom Agrartechnischen Institut Potsdam-Bornim (ATB) wies zudem auf das hohe Potenzial von Verfahren zur energetischen Nutzung von Biomasse für den Technologieexport hin. Allerdings müssten hier Wechselwirkungen wie die Konkurrenz zum Lebensmittelsektor und negative Auswirkungen für die Böden im Auge behalten werden.

Den Einfluss von Naturschutzmaßnahmen für den Klimaschutz betonte Prof. Ralf Tiedemann von der Uni Potsdam. Der Erhalt von Moorlandschaften etwa sei bei der drohenden Versteppung Brandenburgs von großer Bedeutung. Auch Prof. Schellnhuber, der als Kopf des federführenden PIK die Ergebnisse des Treffens kommentierte, hob die Schlüsselrolle von Naturschutz und Raumplanung beim Klimaschutz hervor. „Der Naturschutz wird vom Klimawandel praktisch überrollt“, sagte er. In 20 Jahren würden viele Pflanzen und Tierarten von der Erwärmung nach Norden getrieben. „Dann werden ihnen in unserer Region viele Städte im Wege stehen“. Diesen Prozess zu begleiten, sei eine ganz neue Aufgabe für den Naturschutz.

Es bleiben die ungelösten Probleme. Etwa die Speicherung von Energie. „Eine große Frage, die in Zukunft sehr wichtig wird“, so Schellnhuber. Deutschland aber habe die letzten zwei Jahrzehnte auf diesem Sektor verschlafen. Für Windenergie wiederum gebe es kaum Forschungskompetenz in Berlin-Brandenburg. So forderte auch Schellnhuber einen „Masterplan Energiemix“ für die Region.

Bei der Biomasse sollte man trotz aller Bedenken auch gentechnische Verfahren – „mit der nötigen Vorsicht“ – als Option ins Auge fassen. Unumgänglich sei beim Anbau von Energiepflanzen auch ein Bodenmanagement, das Schäden verhindere. Dann könne Biomasse in großen Kraftwerken unter Einsatz von Kraft-Wärmekopplung, entsprechender Speichermodule und der Abspaltung von Kohlenstoff Strom erzeugen. „Solch ein Modellprojekt wäre hier in der Region eine interessante Option“, so der Klimaforscher. Der Strom daraus könnte, neben Wind- und Solarenergie, Autos antreiben. „Elektroautos sind die Zukunft“, so der Physiker. Sie hätten eine Energieeffizienz von rund 80 Prozent, bei Biokraftstoffen liege diese nur bei fünf bis zehn Prozent. Für Schellnhuber haben darüber hinaus auch die historischen Gartenstädte Großbritanniens Vorbildfunktion: „Müssten wir nicht Modellstädte entwickeln, die zeigen, wie man nachhaltig und gut leben kann?“, fragte er die versammelten Experten.

Allerdings mache der Plan, Modellregion für Klimaforschung zu werden, nur Sinn, wenn das Profil auch jenseits des Atlantiks und in Asien sichtbar werde. Ein wissenschaftlicher Beirat soll daher die Forschungsvorhaben begutachten. Grundsätzlich sei man auf dem richtigen Weg. Angesichts der großen Herausforderung des Klimawandels müsse die Forschung nun mehr Leidenschaft und Sex-Appeal zeigen. „Die Neuerfindung der Moderne steht an, dazu sollte die Wissenschaft ihren Beitrag leisten“, sagte Schellnhuber.

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