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Internationalisierung der Hochschulen: Kulturschock an der Uni

Sehr viele ausländische Studierende in Deutschland brechen ihr Studium ab. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch dagegen kann etwas getan werden.

Im kleinen Café Kauderwelsch wirkt die Hochschulwelt weit und offen. An der Wand des bunt gestrichenen Raumes in der Silberlaube der Freien Universität Berlin hängt ein Plakat, das den Besucher in zwölf Sprachen willkommen heißt. Studentinnen aus den verschiedensten Teilen der Welt servieren ihren deutschen und ausländischen Kommilitonen orientalischen Tee, Baklava und Nussecken. Die Internationalität, die so viele deutsche Hochschulen für sich reklamieren, wird hier, so scheint es, gelebt. Aber außerhalb des Cafés hapert es mit der Integration von internationalen Studierenden – nicht nur an der FU, sondern an Hochschulen in der ganzen Bundesrepublik.

Knapp jeder zwölfte Student in Deutschland ist ein „Bildungsausländer“, hat also sein Abitur im Ausland gemacht. Doch viele dieser Studierenden fühlen sich bis zum Abschluss isoliert und vom Studium überfordert. Fast die Hälfte, 46 Prozent, bricht ihr Bachelor-Studium ab, wie aus der Erhebung des Hochschulinformationssystems (HIS) über den Jahrgang 2010 hervorgeht. Das sind deutlich mehr als bei den Bachelor-Studierenden insgesamt: 28 Prozent. Dabei schmücken sich deutsche Hochschulen im Kampf um Studierende und um Fördergelder mit ihren weltweiten Kontakten, wie etwa die FU Berlin, die als „Internationale Netzwerkuniversität“ im Exzellenzwettbewerb gewann. Und vor allem sieht Deutschland sich von einem Fachkräftemangel bedroht, der auch mit „Bildungsausländern“ bekämpft werden soll.

Warum so viele Studenten scheitern

Warum scheitern so viele am deutschen Studium? Die deutsche Lernkultur stellt für viele eine Hürde da: „Studenten in Deutschland müssen sich traditionell viele Inhalte im Selbststudium aneignen und vor allem Transferaufgaben lösen. Aus China war ich es eher gewohnt, konkrete Arbeitsanweisungen zu bekommen und Dinge auswendig zu lernen“, erläutert Li Zhang, Student der Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin. Im Alltag stresst die fremde Kultur die ausländischen Studierenden: „Bereits an alltägliche Umgangsformen zwischen Kommilitonen, ans Händeschütteln und Umarmen, musste ich mich gewöhnen“, sagt Zhang. Er kommt wie die meisten ausländischen Studierenden in Deutschland aus China. Mit etwa 23 000 Studierenden an deutschen Hochschulen stellen die Chinesen knapp 13 Prozent aller Bildungsausländer. Mit Abstand dahinter folgen Russen (5,4 Prozent), Polen, Bulgaren und Türken. Die Abbrecherquote ist im Bachelor unter den Chinesen am niedrigsten (25 Prozent), unter den Afrikanern am höchsten (68 Prozent).

Gerade Studierende aus fernen Ländern stehen unter einem hohen Druck. Abenteurergeist treibt sie selten ins Ausland. Sie wollen möglichst schnell und effektiv einen ausgezeichneten Abschluss machen, der international anerkannt ist, sagt ein Studienberater der FU. So erwartet es die Familie. Wegen des Kulturschocks und des Leistungsdrucks fühlten sich Studierende aus fernen Ländern oft isoliert: „Wer immer nur sorgenvoll an die nächste Prüfung denkt, hat keinen Kopf dafür, sich fremden Sitten und Gebräuchen zu widmen.“ So entstünden in den Wohnheimen isolierte Zirkel von Chinesen, Koreanern oder Russen, die ihre spärliche Freizeit nur miteinander verbringen. Bei Studierenden aus Nachbarländern, aus Frankreich oder den Niederlanden, sei das anders: „Sie haben oft weniger Druck, auch weniger finanzielle Sorgen. Sie können frei aufspielen und ihren Interessen freien Lauf lassen“, sagt der Studienberater. Studienerfolg ist mit dieser Einstellung zwar noch nicht garantiert, aber die Zufriedenheit mit dem Studium ist höher.

Die Studenten helfen sich mit eigenen Initiativen.

Fast 40 Prozent der Bildungsausländer sehen sich laut der Sozialerhebung des Studentenwerks mit großen oder sehr großen Problemen bei der Kontaktaufnahme zu deutschen Studierenden konfrontiert. Sogar kleinere Uni-Städte empfangen Neuankömmlinge nicht immer herzlich. Mira Todorova, die zum Studium aus Bulgarien nach Deutschland kam und 2011 ihren Master in Osnabrück gemacht hat, berichtet, dass einige Dozenten kaum Verständnis für die Lernkultur zeigten, die sie aus ihrem Herkunftsland mitbrachte. Vorträge vor Kommilitonen gibt es in Osteuropa – wie auch in Italien oder Indien – nur selten. „Das größte Entgegenkommen erfuhr ich von Lehrenden, die selbst mal im Ausland waren.“

Michael Kämper-van den Boogaart, Vizepräsident für Studium und Internationales der Humboldt-Universität, betont hingegen die Bedeutung der Sprachkenntnisse: „Das unterschätzen die Studierenden völlig.“ Zwar müssen Studierende aus dem Ausland anspruchsvolle Sprachtests bestehen. Die Fachsprache beherrschen sie damit allerdings noch nicht. Gerade mündlichen Debatten in den Seminaren könnten die Studierenden oft kaum folgen.

Was ist zu tun? Kämper-van den Boogaart findet, dass die Studierenden an ihren Heimat-Unis viel besser sprachlich vorbereitet werden müssten. Dabei könnten die deutschen Lektoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) eine wichtige Rolle spielen. Die Lektoren sollten sich auch nicht verpflichtet fühlen, möglichst viele Studierende nach Deutschland einzuladen: „Damit werden nicht alle glücklich.“

Das „Berlin International College“ (BIC) will Studierwillige aus dem Ausland vom November an in einem kostenpflichtigen Programm sprachlich und kulturell auf das Studium in Deutschland vorbereiten. Beim BIC handelt es sich um eine Tochter des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) Consult, das die Stiftungen von Bertelsmann und der Hochschulrektorenkonferenz tragen. Die Teilnehmer zahlen für zehn Monate Unterricht knapp 12 000 Euro. Das BIC kooperiert bereits mit mehreren Unis, darunter Cottbus, Kiel und Freiburg und will noch mehr Partnerinnen gewinnen.

Auch an den Unis haben sich viele Initiativen gebildet, die ausländischen Studierenden helfen wollen. Eine davon ist „Kustos“ an der HU. Dort betreuen 38 studentische Mentoren ehrenamtlich ihre ausländischen Kommilitonen. „Wie wichtig die Arbeit der Mentoren ist, zeigt sich manchmal schon bei der Wohnungssuche“, sagt Angela Kalisz, eine der wenigen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen von „Kustos“. Immer wieder komme es vor, dass Studenten aus asiatischen, arabischen oder afrikanischen Ländern abgewiesen werden. „Da findet zum Teil offene Diskriminierung statt.“ Wenn ein „Kustos“-Mentor bei der Wohnungsbesichtigung dabei sei, sei die Chance auf eine erfolgreiche Bewerbung deutlich höher.

Der leichte Rückgang der Abbrecherquote unter den ausländischen Studierenden in den letzten Jahren könnte auf solche Initiativen zurückzuführen sein. Li Zhang glaubt auch an die Wirkung guter Vorbilder: „Wenn jemand ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie ich und mir sagt: ,Schau mich an, es ist zu schaffen, und es kann sogar Spaß machen’ – dann motiviert mich das.“ Li Zhang ist selbst ein Vorbild: Er hat an der Uni Freunde aus allen Teilen der Welt gefunden – Deutsche, Türken, Engländer und auch Chinesen – und er steht kurz vor dem Abschluss.

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