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Zucchini durch Gurken ersetzen? Ojemine. Dann lieber im Schrebergarten selbst anpflanzen!

© Marvin Recinos, AFP

Von Schrebergärten und heiler Welt: Wo Zucchinis die soziale Stadt retten

Wenn ich höre, dass Berlin Schrebergärten zu Bauland machen will, fällt mir meine Mutter ein - und eine ziemliche Planungspanne auf. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Als meine Eltern vor 50 Jahren unsere Bleibe in Duisburg fanden, verzweifelte meine Mutter daran, dass in der ganzen Stadt kein ordentliches Gemüse zu finden war. Wie sollte sie ihre Familie ernähren? Bald würden ihre armen Kinder so blass, blond und farblos aussehen, wie die der deutschen Nachbarn. Es gab weder Auberginen, noch Strauchtomaten, Spitzpaprika oder Zucchini.

Aber meine Mutter wäre nicht meine Mutter, wenn sie sich nicht zu unserer Rettung bald etwas hätte einfallen lassen. Unser Vormieter hinterließ uns nicht nur das Zechenhaus, sondern auch einen kleinen Schrebergarten. Er hatte viel Zeit und Liebe hineingesteckt, so übernahm meine Mutter nicht nur ein gepflegtes Stückchen Rasen, sondern auch akkurat zurechtgeschnittene Rosensträucher und ein entzückendes Beet Stiefmütterchen.

All das ist in den Augen einer anatolischen Mutter allerdings Unkraut oder zumindest eine verantwortungslose Verschwendung von Nutzfläche. Innerhalb weniger Tage rupfte und zupfte meine Mutter alles aus, was der gute Mann in jahrelanger Mühsal gezüchtet hatte. Sie grub den Boden um, streute Samen und pflanzte Setzlinge. Schon wenige Monate später konnte sie wieder die vielen türkischen Köstlichkeiten zubereiten ohne sich überlegen zu müssen, ob eine Zucchini durch eine Gurke ersetzt werden kann.

Ich musste an den kleinen Schrebergarten meiner Kindheit denken, als ich las, dass die Stadt für neuen Wohnraum tausende Kleingärten opfern will. Auf der einen Seite kann ich das natürlich verstehen. Berlin wächst, bezahlbarer Wohnraum ist knapp, die Mieten steigen intergalaktisch.

Aber eine Frage an die Politiker: Hätte man darauf nicht schon früher kommen können, also Wohnraum schaffen? Damals, als der Senat den Bau-Heuschrecken Bauland für einen symbolischen Heiermann hinterher geschmissen hat, um mit den Einnahmen kratergroße Haushaltslöcher zu stopfen, die bis heute nicht mal annähernd getilgt sind? Und wie gut könnte man jetzt die Hundertausenden städtischen Wohnungen gebrauchen, die seit der Wende an Niedrigbietende verscherbelt wurden.

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Nun also sollen die Kleingärtner für die miserable Wohnpolitik geopfert werden. All jene, die sich ein Stück Lebensqualität erhalten konnten, sollen diesmal die Zeche bezahlen. Verzeihen Sie mir meine Unbedarftheit, aber nennt man es nicht politisches Handwerkszeug, die Entwicklung einer Stadt in Jahrzehnten zu denken und nicht wie in Berlin die Strecke von der Hand in den Mund?

Ich kann ja verstehen, dass es die Welt nach Berlin zieht, weil London, New York, Paris, Zürich nur noch für solche Leute zu finanzieren ist, die ihr Geld für sich arbeiten lassen. Aber mit Verlaub, auch innerhalb des S-Bahn-Rings haben Menschen ein Recht auf Wohnen und Leben.

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Früher wohnten in unserer Straße Zechenarbeiter, wie mein Vater. Es waren Türken, Polen und Italiener, aber vor allem deutsche Kumpel, mit deren Kindern wir auf der Straße spielten, die bei uns ein- und ausgingen und durch die ich Deutsch gelernt habe. Man war neugierig aufeinander, und wenn man sich als Freundin oder Freund bewährt hatte, spielt es keine Rolle, woher die Eltern kamen.

Nicht die Hundertste Gated Community macht die Lebensqualität einer Stadt aus, sondern die sozialen Unterschiede und Kulturen, die zusammen in einem Stadtteil wohnen. Die Unterschiede sollen ruhig bestehen bleiben, denn das macht einen bunten Kiez aus. Es ist gar nicht so schwer: Der Senat müsste sich dafür einfach an den eigenen Hauptstadtslogan halten: „Wir sind ein Berlin.“

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