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Ein Waldgebiet grenzt an eine Straße am Güterverkehrszentrum (GVZ) Freienbrink in der Gemeinde Grünheide östlich von Berlin. In diesem Waldgebiet plant Tesla den Bau einer "Giga-Factory".

© Patrick Pleul/dpa

Rekonstruktion der Tesla-Entscheidung: Wie es Brandenburg fast versemmelt hätte – und warum Musk so auf Berlin steht

Die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg haben zusammengearbeitet bei der Tesla-Ansiedelung - dann ließ Potsdam den Senat hängen. Eine Rekonstruktion.

Genau ein Monat ist vergangen seit der Verleihung des „Goldenen Lenkrads“ in Berlin. Elon Musk, Gründer des Elektroautobauers Tesla, hatte die meisten Teilnehmer und Beobachter dieser Galaveranstaltung mit der Ankündigung entzückt, seine Firma werde in der Nähe des Flughafens BER eine „Giga“-Fabrik für Fahrzeuge und Batterien bauen. „GIGA BERLIN“, tippte Musk auf Twitter in sein iPhone – garniert mit Herzchen in Schwarz, Rot und Gold. „Grünheide“ hatte offenbar zu viele Buchstaben und Umlaute.

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Aus dem Blickwinkel eines Kaliforniers mit südafrikanischen Wurzeln ist die kleine Gemeinde, in der das Werk tatsächlich gebaut werden soll, quasi Berlin. Wer wollte das Marketing-Genie für diese nur leichte Verzerrung der Geografie ernsthaft tadeln? Es dauerte jedoch nicht lange, bis erste stolze Märker erklärten, dass Grünheide nachweislich im Landkreis Oder-Spree liegt – vor den östlichen Toren der Millionenstadt.

Ob Berlin, Brandenburg, Berlin-Brandenburg, Hauptstadtregion oder Grünheide bei Berlin: Dem überwiegenden Teil der Tesla-Interessierten dürfte es egal sein, auf welcher Seite dieser nur von Waldwegen markierten Bundesländergrenze die Fabrik entsteht. In der Region selbst aber wurde dies schnell hitzig diskutiert.

Damit sind Fragen verbunden, die in einem föderalen Bundesstaat immer debattiert werden, sobald es um Geld, Macht und Prestige geht: Wer bezahlt (Subventionen)? Wer kassiert (Steuern)? Wer profitiert (etwa durch neue Jobs)? Und auf wessen politisches Konto zahlt diese Milliardeninvestition ein? Vieles wird man erst in Jahren wissen. Heute aber kann man immerhin sagen, dass die Verantwortlichen in Berlin und Potsdam zunächst deutlich enger kooperiert haben, als man hätte erwarten können.

Nicht alle Protagonisten wollen sich das anmerken lassen. So hatte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) am Morgen nach der Musk-Show im Tagesspiegel-Interview erklärt: „Das ist ein rein brandenburgisches Projekt.“ Da stand er wohl noch unter dem Eindruck der vielen Arbeit, von der er bis dahin niemandem berichten durfte. Seit dem Sommer soll Steinbach im Schnitt zwei Mal in der Woche mit Tesla-Leuten verhandelt haben.

Jörg Steinbach (SPD), Brandenburger Wirtschafts- und Energieminister, hatte im vergangenen halben Jahr im Schnitt zwei Mal pro Woche mit Tesla verhandelt. Hier spricht er während einer Pressekonferenz zur Ankündigung von Tesla, in Grünheide zu investieren.
Jörg Steinbach (SPD), Brandenburger Wirtschafts- und Energieminister, hatte im vergangenen halben Jahr im Schnitt zwei Mal pro Woche mit Tesla verhandelt. Hier spricht er während einer Pressekonferenz zur Ankündigung von Tesla, in Grünheide zu investieren.

© Soeren Stache/dpa

Bei einer Veranstaltung mit Anwohnern in der Gaststätte „Heydewirt“ am Peetzsee verriet der Minister Reportern der „Zeit“, dass er „das Ding fast noch in den Sand gesetzt“ hätte. In einem Telefonat mit Musk habe er naiv bemerkt, es gehe hier um „Brandenburg, nicht Berlin“. Musk habe den Satz zunächst ignoriert, dann aber das Projekt wenige Tage später „irreversibel“ abgesagt. „Das war Nervosität hoch drei.“ Nur deshalb habe Steinbach dem Projekttitel „Gigafactory Berlin in Brandenburg“ zugestimmt, hieß es.

Steinbach nennt Nähe zu Berlin einen "Standortvorteil"

Wenn man jetzt, mit etwas Abstand zu jenen Tagen, in seinem Ministerium nachfragt, welche Rolle die örtliche Nähe von Grünheide zu Berlin seiner Einschätzung nach gespielt hat, lässt der Minister versöhnlicher, aber betont allgemein ausrichten: „Die Nähe zu Berlin ist definitiv ein wichtiger Standortvorteil für Unternehmen in Brandenburg.“

Berlins Wirtschaftssenatorin und stellvertretende Bürgermeisterin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen), hier bei der Landesdelegiertenkonferenz ihrer Partei Anfang Dezember.
Berlins Wirtschaftssenatorin und stellvertretende Bürgermeisterin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen), hier bei der Landesdelegiertenkonferenz ihrer Partei Anfang Dezember.

© Christoph Soeder/dpa

Derweil beglückwünschen führende Vertreter des Berliner Senats die Kollegen im Nachbarland – um dann auf eine 2018 schriftlich geschlossene Vereinbarung beider Länder zu verweisen. „Durch einen systematischen und frühzeitigen Austausch von Informationen (...) über relevante Ansiedlungsvorhaben und Verlagerungsinvestitionen wird zwischen den Ländern ein Höchstmaß an Transparenz geschaffen“, heißt es darin. Und auch Berlins Verantwortliche wollen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten eine Mega-Ansiedlung leichtfertig ins Nachbarbundesland gegeben.

So teilt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) dem Tagesspiegel mit, sie habe nach der Bekanntgabe mit Steinbach telefoniert „und zu dem großartigen Erfolg gratuliert“. Sie würdigt auch die Stärken der Metropolregion, um dann die wirtschaftliche Symbiose beider Länder aber auf eine Formel zu bringen, die Brandenburger – wenn sie empfindlich wären – auch als Ausdruck großstädtischer Arroganz auffassen könnten: „Bei Ansiedelungen kann Brandenburg Flächen bieten, Berlin die Dynamik einer Metropole.“ Das stimmt wohl – und bedient doch wieder alte Klischees.

Stefan Franzke, Chef der landeseigenen Berliner Standortagentur Berlin Partner, steht seit Jahren in Kontakt zu Tesla. Er wurde von Senatorin Ramona Pop beauftragt, die Ansiedelungsbewerbung Berlins zu organisieren.
Stefan Franzke, Chef der landeseigenen Berliner Standortagentur Berlin Partner, steht seit Jahren in Kontakt zu Tesla. Er wurde von Senatorin Ramona Pop beauftragt, die Ansiedelungsbewerbung Berlins zu organisieren.

© Mike Wolff

Dabei will Brandenburg endlich mehr sein als nur ein Ausweichquartier. Potsdams Wirtschaftsfördergesellschaft WFBB wirbt damit, dass auch außerhalb von Berlin die Intelligenz lebt: die Forschung, die Fachkräfte, die Industrie, die dank Tesla neuen Schwung bekommen soll, wie auch der am Dienstag angekündigte Fabrikneubau von BASF in Schwarzheide zeigt.

Eine Frage der Perspektive: Lausitzring "in der Nähe" von Berlin

Nur: Ohne Vorarbeit aus Berlin wäre das kaum möglich gewesen. Als Chemieingenieur und SPD-Mitglied Jörg Steinbach im September 2018 gerade sein Amt als Präsident der BTU Cottbus-Senftenberg niederlegte, um Brandenburgs Wirtschaftsminister zu werden, war Berlin bereits „seit Jahren“ im Austausch mit Tesla, insbesondere mit dessen Konzernrepräsentanz in Berlin unter Leitung des Lobbyisten Joerg Wittemann. Das geht aus einer internen Mitteilung der Standortagentur Berlin Partner an den Senat hervor, zu deren Inhalt Berlin Partner keinerlei Angaben machen möchte.

Im Sommer 2017 – vor zweieinhalb Jahren also – verkündete Tesla die Absicht, in Europa eine Fabrik bauen zu wollen. Das war der Auslöser für einen Wettlauf von angeblich bis zu 30 Regionen in Europa. Wie viele genau und welche es waren, verrät der Konzern nicht. Er hat sie ja erfolgreich gegeneinander ausgespielt. Auch Berlin und Brandenburg gegen Niedersachsen zum Beispiel.

Tesla-Chef Musk ließ dann im Sommer 2018 per Tweet eine Präferenz für einen Fabrikstandort im deutsch-französischen Grenzgebiet erkennen: Senatorin Pop schrieb daraufhin einen Brief an „Tesla, CEO Mr. Elon Musk, 3500 Deer Creek Road, Palo Alto, CA 94304“ und warb für Berlin – allerdings mit auffällig vielen Attraktionen außerhalb der Stadt, darunter eine angebliche Nähe zur „ehemaligen Formel-1-Rennstrecke Lausitzring“.

Ortskundige wissen, dass ein Tesla-Fahrer seine Batterie voll geladen haben sollte, wollte er diesen Rundkurs kurz vor der sächsischen Landesgrenze besucht. Man benötigt rund 130 Kilometer oder gut anderthalb Stunden Fahrzeit ab Berlin-Mitte zum EuroSpeedway. Dass dort nie ein reguläres Rennen in der Formel 1, der Königsklasse des Motorsports, stattgefunden hat: geschenkt. Zwischen den Zeilen kann man aber schon lesen: Pop wollte die Fabrik gern bei Berlin, aber nicht mitten in der Stadt.

Elon Musk, Chef von Tesla und der Weltraumtechnikfirma Space X (2. von links) - hier Mitte Oktober bei einem Besuch der US-Weltraumagentur Nasa mit Nasa-Chef Jim Bridenstine (links) und den Astronauten Doug Hurley and Bob Behnken.
Elon Musk, Chef von Tesla und der Weltraumtechnikfirma Space X (2. von links) - hier Mitte Oktober bei einem Besuch der US-Weltraumagentur Nasa mit Nasa-Chef Jim Bridenstine (links) und den Astronauten Doug Hurley and Bob Behnken.

© picture alliance/AP Photo

Berlins erste Empfehlung lautete: Fabrik am besten in Brandenburg

Die Agentur Berlin Partner, die von Pop mit der Standortsuche beauftragt worden war, setzte an die Spitze ihrer Top-drei-Vorschlagsliste für Berlin ein gemeinsames Projekt mit Brandenburg, „da wir die geforderten 100 Hektar in Berlin nicht vorhalten konnten“, wie es in dem internen Schreiben zur Begründung heißt. Auf den Plätzen zwei und drei schlugen Pops Agenten dann den mit 90 Hektar offensichtlich zu kleinen CleanTech Business Park Marzahn vor. Und ein Areal in Französisch Buchholz im Norden Pankows.

Berlins Standortförderer hätten Tesla theoretisch mehr bieten können, wollten oder durften es aber offensichtlich nicht: Das Areal des Flughafens Tegel, der ab November 2020 geschlossen werden soll, umfasst 461 Hektar. Hier könnte Tesla vier dieser Giga-Fabriken bauen. Das Areal ist bereits Wohnungsinvestoren und dem Projekt „Berlin TXL – The Urban Tech Republic“ versprochen. Ob letzteres aber wie geplant kommt, wo doch alle auf die nahe Siemensstadt 2.0 blicken, ist zumindest fraglich.

Auch auf dem Tempelhofer Feld wären mit 386 Hektar theoretisch Platz für drei dieser Tesla-Fabriken. Dort sehen sich vor allem die Grünen an ein formal nicht bindendes Ergebnis eines Volksentscheides gebunden. Klar ist: Pop würde mit einem Tesla-in-Tempelhof-Plan keinen Parteitag politisch überleben. Andere hätten das Undenkbare vielleicht zu Denken gewagt.

Kooperation mit Brandenburg oder Bau in Marzahn oder Buchholz: In dieser Reihenfolge habe man die Vorschläge den Kollegen der brandenburgischen Wirtschaftsförderer offenbart, berichtete Berlin Partner dem Senat. „Da wir auf die Brandenburger ja flächenmäßig angewiesen sind.“ Die Brandenburger hätten im Gegenzug zugesagt, in ihrer Bewerbung Berlin zu berücksichtigen, „da man ja auf die Talente angewiesen sei“.

Lage des geplanten Tesla-Werkes in der Gemeinde Grünheide am südöstlichen Stadtrand Berlins.
Lage des geplanten Tesla-Werkes in der Gemeinde Grünheide am südöstlichen Stadtrand Berlins.

© Rita Böttcher

Potsdam bewirbt sich am Ende doch allein

Dann aber sperrten sich Brandenburgs Verantwortliche kurz vor Schluss gegen eine gemeinsame Standortbewerbung – sehr zum Ärger von Pop und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), der in der Sache mehrfach mit seinem Parteifreund und damals wahlkämpfenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke wie auch mit Elon Musk selbst telefoniert hatte. Jetzt hatte Berlin weder eine Fabrik noch das gewünschte Mitspracherecht.

Kurz vor der Entscheidung Mitte November hatte man sich bei Tesla einen Hubschrauberflug über die Liegenschaften Berlins gewünscht. Berlin Partner hatte auch versucht, eine Landeerlaubnis für Marzahn zu organisieren. Es gab aber keinen Flug für den Mann, dessen andere Firma Space X mittlerweile nicht nur das Material der Nasa ins All fliegt.

Wenige Stunden vor der Verleihung des „Goldenen Lenkrads“ rief dafür Tesla-Lobbyist Wittmann seine seit Jahren bekannten Kontakte in Berlin an, um ihnen mitzuteilen, was Pop und Müller so auch erwartet haben dürften. Dass Tesla die beiden angebotenen Flächen in Berlin nicht haben wolle.

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