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Emil Farkas, KZ-Überlebender

© REUTERS/Annegret Hilse

„Ich wollte das eigentlich alles vergessen“: 92-Jähriger KZ-Überlebender will Schuldeingeständnis von angeklagtem Wachmann

In bewegenden Worten schildert ein Überlebender des KZ Sachsenhausen sein Martyrium als Jugendlicher. Lange habe er geschwiegen, sagt Emil Farkas vor Gericht.

Im Prozess um die Massentötungen von Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen hat ein Überlebender des KZ an den Angeklagten appelliert, seine Schuld einzugestehen. „Ist Ihnen ihr dunkles Geheimnis so viel wert, dass Sie sich nicht entschuldigen können für ihren Beitrag zu meinem Leid?“, fragte der Überlebende Emil Farkas am Donnerstag zum Ende seiner Zeugenaussage den 100-jährigen Angeklagten, der laut Anklage als Wachmann der SS in dem KZ von 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an Tausenden Lagerhäftlingen geleistet haben soll. Der 92-jährige Farkas schilderte sichtlich bewegt den grausamen Lager-Alltag.

„Wir hatten kaum etwas zu essen und wurden geschlagen, jeden Tag“, berichtete er. „Und Menschen sind um uns herum verhungert, jeden Tag.“ Es sei für ihn das erste Mal, dass er in einem öffentlichen Prozess darüber spreche, sagte er sichtlich bewegt. „Ich war stumm, jahrzehntelang.“ Denn es sei schwer darüber zu reden, bekannte Farkas. „Ich wollte das eigentlich alles vergessen, glauben Sie mir.“

Zu dem Angeklagten sagte der 92-jährige Nebenkläger aus Israel: „Sie haben mich im Schuhläuferkommando im Lager gesehen und Sie haben mich gehört, denn wir mussten beim Marschieren das Lied von „Erika“ singen“. Und: „Seien Sie mutig, wenigstens jetzt.“ Der Angeklagte reagierte darauf nicht. Am zweiten Prozesstag hatte er bestritten, überhaupt in dem KZ gewesen zu sein.

In einer von seinem Anwalt Thomas Walther vorbereiteten Aussage, die verlesen und übersetzt wurde, schilderte Farkas, wie er als Jude mit 15 Jahren aus der Slowakei gemeinsam mit seinem Bruder zu Weihnachten 1944 ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden war. Dort musste er in dem berüchtigten Schuhläuferkommando Sohlen für die deutsche Schuhindustrie testen.

„Wir waren 170 Schuhläufer und mussten jeden Tag 40 Kilometer laufen und marschieren“, erinnerte sich Farkas. „Nicht jeder von uns, der morgens loslief, war abends noch am Leben.“ Menschen, die unter der enormen Belastung zusammenbrachen, seien sofort von SS-Wachleuten erschossen worden. Dies sei täglich passiert, sagte Farkas.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: 100-jähriger mutmaßlicher KZ-Wachmann vor Gericht - Im Räderwerk der Vernichtungsmaschine]

Farkas wurde zum Ende des Kriegs ins KZ Bergen-Belsen und dann ins KZ Dachau gebracht, wo er von amerikanischen Truppen befreit wurde. Auch sein Bruder und seine Eltern überlebten. Drei ältere Geschwister wurden dagegen im KZ Auschwitz ermordet. Seine Mutter habe ihm eine Botschaft mitgegeben, als sie bei der Deportation aus der Slowakei getrennt worden seien. „Halte durch, sei stark, wir sehen uns wieder“, habe sie gerufen. Sie überlebte das KZ Ravensbrück.

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„Der Satz meiner Mutter ist in Erfüllung gegangen“, sagte Farkas zu dem Angeklagten. „Die Herrschaft der Nationalsozialisten, der Sie freiwillig gedient haben, hat dagegen nichts ausrichten können.“

Das Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin wird aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel geführt. Am Freitag soll der Nachkomme eines KZ-Häftlings aus Frankreich gehört werden und der psychiatrische Gutachter, der die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten geprüft hatte. (dpa)

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