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Zurückbleiben, bitte! Menschen drängen am Berliner Hauptbahnhof in einen Regionalzug der Linie RE5 nach Rostock.

© dpa/Monika Skolimowska

Update

Bahn-Chaos wegen 9-Euro-Ticket: Überfüllte Züge, ungeplante Stopps – starker Andrang wegen Rückreisen erwartet

Pfingsten und 9-Euro-Ticket lösen Chaos aus. Teils müssen Passagiere überfüllte Bahnen verlassen. Am Montag sind viele Rückreisende zu erwarten.

An der ersten Tür geht schon mal gar nichts, in dem Bereich sind Fahrräder aufgereiht wie im Verkaufsraum eines Großhändlers, dazwischen quetschen sich die Zweirad-Besitzer. Die zweite Tür ist auch aussichtslos, da kippt ein Mann mit seinem Rollkoffer aus Platzmangel fast rückwärts auf den Bahnsteig. Dritte Tür, Treffer, da kann die junge Frau mit ihrem großen, schwarzen Koffer zumindest mal den Regionalexpress 4/62163 nach Rathenow betreten. Auf einen Sitzplatz muss sie allerdings verzichten, alles belegt.

So wie am Berliner Hauptbahnhof sah es am Samstagmorgen vielerorts aus. Die Reisewelle zu Pfingsten und das 9-Euro-Ticket führten landauf, landab zu überfüllten Zügen, dichtem Gedränge an den Bahnsteigen und Verspätungen. In Berlin und Brandenburg sprachen Reisende von „krachend vollen Zügen“ insbesondere in Richtung Ostsee. In der App des DB Navigators hieß bei Regionallinien nach Rostock oder Stralsund etwa, es werde eine „außergewöhnlich hohe Auslastung erwartet“.

Auch am Sonntag riss der Andrang nicht ab. Zwar war nicht ganz so viel Betrieb wie tags zuvor, doch gab es erneut volle Regionalzüge an die Ostsee. „Wegen des außergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens“ sei eine Beförderung und die Mitnahme von Fahrrädern nicht möglich, teilte die Deutsche Bahn mit. Die Reisenden wurden gebeten, eine andere Verbindung zu wählen. Dies galt auch für den Regionalexpress zwischen Cottbus und Magdeburg, der über Potsdam und Berlin führt.

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Bereits am Samstagmorgen herrschte auf den Gleisen 5 und 6 des Hauptbahnhofs dichtes Gedränge. Weil der Regionalzug der Linie RE5 nach Rostock überfüllt war, konnten Menschen mit Fahrrädern nicht einsteigen. Auch am Bahnhof Gesundbrunnen berichteten Reisende von völlig überfüllten Zügen und teils chaotischen Situationen.

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Dort hatten Bundespolizisten nach Angaben eines Sprechers der Bundespolizeidirektion Berlin bereits am Freitag Bahnmitarbeiter unterstützt. Züge nach Stralsund und Rostock waren überfüllt, und Reisende wurden gebeten, auszusteigen. Nach Angaben des RBB musste am Freitagnachmittag ein offenbar überfüllter Zug im Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen gestoppt werden. Der RE5 nach Rostock habe etwa eine Stunde lang im Bahnhof gestanden und sei dann weitergefahren.

Insel der Schönen und Reichen: Westerland auf Sylt am Pfingstsamstag.
Insel der Schönen und Reichen: Westerland auf Sylt am Pfingstsamstag.

© REUTERS/Fabian Bimmer

Überfüllter Zug: Personal kommt nicht an Schaltschränke heran

Wie die „Berliner Morgenpost“ berichtete, musste am Samstagmorgen dann der erste Zug in Richtung Rostock wegen einer Türstörung unfreiwillig in Kratzeburg in Mecklenburg-Vorpommern stoppen. Der Zug war ebenfalls überfüllt, das Personal konnte nicht an die Schaltschränke gelangen. Auch hier wurde die Bundespolizei angefordert, um den Regionalzug gegebenenfalls zu räumen, schrieb die Zeitung.

Auch am Samstag waren Bundespolizisten verstärkt auf den Bahnsteigen unterwegs. Es sei eine hohe Zahl von Reisenden zu verzeichnen, sagte der Sprecher der Bundespolizeidirektion Berlin. Die Züge seien sehr stark ausgelastet gewesen. „Wir stehen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn im ständigen Austausch, um deren Maßnahmen - falls erforderlich - zu unterstützen“, sagte der Sprecher.

Kontrolleurin im Ostsee-Express: „Da sind die da oben schuld“

Nach Angaben der Deutschen Bahn waren insbesondere Züge zu touristischen Zielen sehr stark nachgefragt. So trafen etwa am Samstag auf Sylt zahlreiche Touristen und Tagesgäste mit der Bahn ein. Die Züge seien brechend voll, auch die Autozüge ausgebucht, berichtete ein dpa-Fotograf am Mittag. Viele Bahnreisende seien in Partystimmung angekommen. Ein Polizeisprecher betonte, die Lage auf Sylt sei ruhig.

In einem Regionalexpress von Berlin in Richtung Ostsee kämpfte sich am Samstagmorgen eine Zugbegleiterin durch den überfüllten Zug. Sie kletterte schimpfend über Kinder, Koffer und kleine Hunde. Die Luftfeuchtigkeit bei gefühlten tropischen 100 Prozent.

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Großer Bahnhof in Berlin - hier der RE3 nach Stralsund.
Großer Bahnhof in Berlin - hier der RE3 nach Stralsund.

© dpa/Monika Skolimowska

Die Stimmung bei der Kontrolleurin war hingegen am Nullpunkt. Mit Berliner Schnauze ließ sie ob der belastenden Situation im Zug ihren Frust über das 9-Euro-Ticket raus. „Ich kann doch auch nichts für diese Situation. Ich mag die Regeln auch nicht. Wir machen sie aber nicht. Da sind die da oben schuld.“

Und aus einem Regionalzug vom Hauptbahnhof zum Flughafen BER berichtete ein junger Mann, der einen Ausflug in den Spreewald machen wollte, seiner Freundin per SMS: „Es ist die Hölle.“

Wer auf den Fernverkehr setzte, konnte sich am Samstag glücklich schätzen. So wie Tim Bendixen und seine Frau Lisa, die vom Berliner Hauptbahnhof mit dem ICE nach Hamburg fahren wollten - eine gute Idee, schließlich hatten sie einen Kinderwagen dabei. Die Fahrt ihrer Freundin, die sie dort treffen wollten, war weniger entspannt. Sie war in einem Regionalexpress unterwegs und hatte ihre Freunde aus dem Zug angerufen. „Die stehen da so“, erzählte Tim Bendixen, während er sich streckte und seine Arme fest an seine Oberschenkel presste.

Grundsätzlich finden er und seine Frau die Idee mit dem Neun-Euro-Ticket gut. „Das muss unsere Demokratie aushalten können“, sagte Lisa Bendixen. Ihr Mann nickte. Aber er fügte auch hinzu: „Ob es gerade jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist?“

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Junggesellen mit Dosenbier: „Nächstes Mal wieder Bollerwagen“

In anderen Teilen des Landes sah es nicht unbedingt anders aus als in Berlin. In Baden-Württemberg war die Auslastung von Regionalzügen insbesondere zu touristischen Zielen hoch. Wie der Betreiber Go-Ahead Baden-Württemberg am Samstag berichtete, gelang es im eigenen Liniennetz nicht überall, Fahrgäste mitzunehmen. Die Deutsche Bahn hatte angekündigt, auch im Südwesten Kapazitäten auszuweiten.

Die S3 zwischen Karlsruhe und Heidelberg: Am Samstagvormittag schien die ganze Region ihr 9-Euro-Ticket ausfahren zu wollen, der Zug war so voll, dass ab Sandhausen keine Fahrgäste mehr zusteigen konnten.

„Ich muss doch zur Arbeit“, beschwerte sich eine Frau und quetschte sich doch noch in den Wagon. An jedem Bahnhof dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis die Bahn wieder anfahren konnte. Eine Junggesellenrunde nahm es beim Dosenbier mit Humor. „Nächstes Mal nehmen wir wieder den Bollerwagen.“

Deutsche Bahn: „Wer kann, sollte auf das Rad verzichten“

„Regionalzüge, insbesondere zu den touristischen Zielen, sind heute wie erwartet sehr stark nachgefragt“, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage. Fahrgäste sollten sich kurz vor Reiseantritt noch einmal bei den Verkehrsverbünden vor Ort oder über den DB Navigator informieren. Angesichts der hohen Auslastung könne nicht garantiert werden, dass Reisende ihre Fahrräder mitnehmen könnten. „Wer kann, sollte daher auf das Rad verzichten.“

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Metronom in Hamburg: Keine Fahrradmitnahme zu Pfingsten

„Das Chaos war vorherzusehen, sagte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn am Samstag. Besonders dramatisch sei die Situation in den Regionalbahnen Richtung Ostsee sowie in Hamburg und Bremen. In Hamburg gab die Metronom Eisenbahngesellschaft bekannt, dass bis Pfingstmontag eine Fahrradmitnahme ausgeschlossen sei.

Zum Start des Billig-Tickets am 1. Juni war schon allein in Berlin die Nachfrage noch einmal sprunghaft angestiegen. Während die BVG bis vergangenen Sonntag 450.000 dieser Fahrkarten verkauft hatte, waren es bis Samstag schon 930.000. Auf den Betrieb in den Bussen und U-Bahnen in der Hauptstadt hatte das Neun-Euro-Ticket allerdings keine Auswirkungen. Einem BVG-Sprecher zufolge registrierte die Leitstelle einen „Regelbetrieb“. Die Fahrgastzahlen waren demnach völlig normal und entsprachen dem üblichen Niveau am Wochenende.

Und auch am Hauptstadtflughafen, sonst für Turbulenzen berüchtigt, blieb das Chaos aus. Den Reiseverkehr am BER bezeichnete der Betreiber als regulär. Nach einem stabilen Start am Freitag sei auch am Samstag die „Morgenwelle gut gemeistert“ worden, sagte ein Sprecher. Die Betreiber rechnen insgesamt mit knapp 280.000 Passagieren von Freitag bis Montag, es sind rund 1800 Starts und Landungen geplant. Zu Spitzenzeiten könnten sich auch mal Warteschlangen bilden, sagte der Sprecher. Es sei daher ratsam, wenigstens zwei Stunden vor dem Abflug am Flughafen zu sein.

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Für Pfingstmontag rechnet die Bahn erneut mit einem stärkeren Andrang wegen erster Rückreisen. Eine Sprecherin empfahl Fahrgästen erneut, sich kurz vor Reiseantritt noch einmal bei den Verkehrsverbünden vor Ort oder über den DB Navigator informieren.

Ab den frühen Mittagsstunden hieß es von der Deutsche Bahn bei Twitter zunehmend: „Wegen des außergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens ist eine Beförderung und die Mitnahme von Fahrrädern nicht mehr möglich. Bitte wählen Sie eine andere Verbindung.“ Betroffen waren etwa der Regionalexpress zwischen Berlin und Rostock über Stralsund oder der RE1 zwischen Magdeburg und Cottbus über Berlin.

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht sich nach dem ersten Härtetest für das 9-Euro-Ticket am Pfingstwochenende in seiner Kritik bestätigt. „In den Hauptreisezeiten war die Nachfrage auf den Hauptstrecken so stark, dass Züge nicht abfahren konnten. Und einige Bahngesellschaften - etwa die Metronom in Norddeutschland - haben die Fahrradbeförderung ausgeschlossen, weil sie dem Ansturm nicht Herr wurden“, sagte Naumann vom Fahrgastverband am Montag der dpa.

Fahrgastverband Pro Bahn: „Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“

Das Chaos sei vorhersehbar gewesen und Folge eines politischen Angebots, ohne dafür über die nötigen Kapazitäten im Bahnverkehr zu verfügen.

„Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, sagte Naumann. Gut am 9-Euro-Ticket sei, dass dadurch der öffentliche Nahverkehr wieder ins Gespräch gebracht worden sei.

„Es funktioniert aber nur, wenn die Kapazitäten vorhanden sind“, betonte Naumann. Pfingsten galt als erster Härtetest für die Rabattaktion.

Naumann erwartet für die kommenden Sommermonate weitere Probleme. Bahnreisenden riet er darum, wenn möglich nicht am Wochenende zu fahren, sondern auf Tage in der Wochenmitte auszuweichen und das Ausflugsziel zu überdenken.

„Muss es unbedingt Sylt sein, Warnemünde oder der Tegernsee - oder gibt es nicht auch andere schöne Gegenden, wo die Nachfrage geringer ist?“, so Naumann. (mit dpa)

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