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Eva-Ingeborg Scholz spielt die Artistin im Defa-Film „1-2-3 Corona“, gedreht 1947 in der Ruinenstadt Berlin.

© DEFA-Stiftung/Hermann Gehlen

„1-2-3 Corona“: Alter Defa-Film wird in der Krise neu entdeckt

Bei der Defa-Stiftung gab es plötzlich „vermehrt Anfragen“ nach einem Berlin-Film der Nachkriegszeit. Jetzt ist er auf Youtube zu sehen.

Keiner kriegt Corona! Der Gerhard nicht, der Dietrich aber auch nicht. Jedenfalls nicht ganz, nicht nur für sich. Aber egal, schließlich sind sie zum Schluss „Die 3 Coronas“, die Helden am Hochtrapez.

Wie sie das emotional auf die Reihe kriegen? Ihr Problem. Für das Publikum jedenfalls steht fest: Es gibt ein Happy End, und das ist die Hauptsache. Und das ist beim Thema Corona, wie wir leider aus aktueller Erfahrung wissen, nicht immer eine Selbstverständlichkeit.

Firmen, die sich irgendwann mal den Namen Corona gegeben haben, sind momentan arm dran. Bestenfalls müssen sie eine Reihe bald schal gewordener Witzeleien über sich ergehen lassen, schlimmstenfalls schreckt der Name, der vermutlich auf lange Zeit mit dem neuartigen Virus verbunden bleiben wird, Kunden ab.

Aber auch die umgekehrte Wirkung ist möglich: Durch den plötzlich aktuellen Namen taucht lang Vergessenes wieder empor, sogar aus der Berliner Filmgeschichte, gewinnt neue Popularität.

Genau so verhält es sich mit dem mehr als 70 Jahre alten Kinderfilm „1-2-3 Corona“, der seit einigen Wochen auf dem Youtube-Kanal „Defa Filmwelt“ zu sehen ist, bei bislang fast 24.000 Aufrufen.

„Vermehrt Anfragen“ nach dem Defa-Klassiker

Es habe „vermehrt Anfragen“ gegeben, wo man diesen Defa-Klassiker denn wiederentdecken könne, deswegen stelle man die Produktion jetzt zur Verfügung – „mit freundlicher Unterstützung der Defa-Stiftung“, heißt es erläuternd. Vermehrt Anfragen? Nun, man kann sich denken, weswegen die so plötzlich aufgetaucht sind.

Und dabei kommt in dem Film kein einziges Virus vor. Corona, so heißt vielmehr die Hauptfigur dieses im Berliner Ruinen- und Zirkusmilieu der ersten Nachkriegsjahre spielenden Films, ein blutjunges hübsches Artistenmädchen, dargestellt von der damals 19-jährigen Schauspielerin Eva-Ingeborg Scholz.

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Ansteckend ist diese Corona aber irgendwie schon, sind doch die Jungen zweier konkurrierender Kinderbanden und besonders deren Anführer Gerhard (Lutz Moik) und Dietrich (Piet Clausen) von ihr ganz hingerissen – eine bei den Zuschauern noch immer andauernde Wirkung, wie die Kommentare bei Youtube zeigen.

Corona stürzt vom Hochtrapez

Die Handlung des auf junges Publikum zugeschnittenen Trümmerfilms ist schnell skizziert: Er spielt ganz offensichtlich in Berlin, denn wenngleich der Name nicht fällt – der Zungenschlag seines Personals ist unverkennbar. Kurz nach Kriegsende ist die Stadt noch voller Ruinen, an den maroden Wänden kleben die Befehle der Sieger oder die ältere Warnung „Feind hört mit“. Auch der Hinweis „Die Schulen bleiben bis auf Weiteres geschlossen“ fehlt nicht, er kommt einem bekannt vor.

Zwei Jungenbanden streiten sich für den Schwarzmarkt um Zigarettenstummel und geklaute Kohlen, bis ein kleiner Zirkus Abwechslung in ihren tristen Alltag bringt. Sein Star ist Corona, elternlos wie viele der Jungen, den Misshandlungen des Direktors schutzlos ausgeliefert.

„Muss doch heute jeder sehen, wie er durchkommt“

Die Jungen – ihre Rivalität hat sich mit der Bekanntschaft der jungen Artistin rasch erledigt – sinnen auf Rache, wollen dem rabiaten Zirkusdirektor einen Denkzettel verpassen, das geht schief: Corona stürzt vom Hochtrapez, wird vom weiterziehenden Zirkus zurückgelassen – für die verantwortlichen Jungen, herzensgute Lausebengel eben, keine potentiellen Kleinkriminelle, ist es Ehrensache, ihr zu helfen.

Zu ihrer Erheiterung improvisieren sie selbst einen Zirkus, erarbeiten ein Programm, das der Direktor des großen Zirkus Barlay zu Gesicht bekommt. Der Rest dann auf Youtube.

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Ein Kinderfilm, gewiss, von manchmal herzerfrischender Naivität, doch zugleich ein Zeitdokument, das die Atmosphäre der frühen Berliner Nachkriegsjahre mit seinen Mitteln unterhaltsam widerspiegelt, sogar mit kleinen Reflexen der politischen Lage. Und auch in den Gesichtern der Darsteller sind die Entbehrungen der frühen Nachkriegszeit abzulesen.

Als „ersten Interzonen-Zirkus der Welt“ preist Coronas rabiater Direktor sein Unternehmen an, und der die junge Artistin behandelnde Arzt klagt, dass heute vieles unmöglich sei, an unmöglichsten aber, „ein Bett im Krankenhaus zu bekommen“. Selbst jungen Kohlendieben kann man nichts mehr vormachen: „Muss doch heute jeder sehen, wie er durchkommt.“

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Der Film unter der Regie von Hans Müller hatte am 17. September 1948 im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz Premiere, wie auch der Tagesspiegel kurz registrierte. Entstanden war er in den Defa-Studios in Johannisthal, die Außenaufnahmen in Charlottenburg und beim Zirkus Barlay nahe der Schönhauser Allee.

Der war eben, wie das zerbombte Berlin, keine Erfindung, sondern eine der realen Anknüpfungspunkte für die erfundene Geschichte um Corona. Kurz nach der Premiere eröffnete der Zirkus an der Friedrichstraße einen festen Zirkusbau. Zwei Jahre später wechselte Harry Barlay mit dem größten Teil seines Materials in den Westen – das daraus entstandene Unternehmen gibt es unter diesem Namen noch immer.

Den Direktor des Film-Zirkus spielte übrigens Hans Leibelt, Kinofreunden in einer ganz anderen Rolle noch heute bestens bekannt – als Direktor Knauer, genannt „Zeus“, unbestrittener Herrscher der Höheren Lehranstalt, die ein gewisser Hans Pfeiffer besucht. Der mit den drei F.

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