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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)

© IMAGO/Chris Emil Janßen

Update

Einschätzung von Minister Habeck: Benzin könnte bei Öl-Embargo in Ostdeutschland zeitweise knapp werden

Ein Öl-Embargo der EU gegen Russland birgt erhebliche Risiken. Dennoch stellt die EU-Kommission nun die Weichen dafür. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Mit ihrem sechsten Sanktionspaket gegen Russland nimmt die EU den Ölsektor ins Visier. Bis zum Jahresende ist ein schrittweiser Einfuhrstopp für Rohöl und Ölprodukte geplant, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch. Für die Verbraucher und die deutsche Wirtschaft könnte die neue Unterstützung für die Ukraine aber teuer werden. Ein Überblick:

Was genau schlägt die EU-Kommission vor?

Konkret ist nach Angaben der EU-Kommission geplant, dass nach einer Auslaufphase von sechs bis acht Monaten ein Einfuhrverbot für Rohöl gelten soll und bis Ende des Jahres dann auch keine Ölprodukte mehr eingeführt werden. Weitreichende Ausnahmeregelungen sind nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur nur für Ungarn und die Slowakei geplant. Diese beiden EU-Länder decken derzeit noch einen Großteil ihres Ölbedarfs aus Russland und sehen sich auch wegen eines fehlenden Meereszugangs nicht in der Lage, schnell andere Lieferquellen zu erschließen.

Über die Vorschläge der Kommission wird jetzt von den ständigen Vertretern der EU-Staaten in Brüssel beraten. Wenn aus den Hauptstädten keine großen Einwände mehr kommen, könnte das Embargo dann bereits in den kommenden Tagen zusammen mit weiteren neuen Russland-Sanktionen beschlossen werden.

Gashahn in den Landesfarben der Ukraine (Symbolbild)
Gashahn in den Landesfarben der Ukraine (Symbolbild)

© IMAGO/CHROMORANGE

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Was könnte das für deutsche Verbraucher bedeuten?

Robert Habeck (Grüne) erwartet hohe „Preissprünge“. Das Embargo bedeute eine „höhere Inflation, höhere Energiepreise und eine Belastung der Wirtschaft“, sagte der Bundeswirtschaftsminister (Grüne) am Montag in Brüssel.

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Schon die Aussicht auf den geplanten Einfuhrstopp hatte die Preise an den Zapfsäulen im April anziehen lassen. Grund ist unter anderem, dass russisches Öl durch wahrscheinlich teurere Alternativen aus anderen Ländern ersetzt werden muss. Zudem bedeutet die Umstellung von Raffinerien und Lieferwegen Aufwand und Kosten. Aber wann und wie stark das Tanken oder Heizen teurer werden, wagt kaum jemand vorherzusagen.

Der Mineralöl-Wirtschaftsverband Fuels und Energie äußert sich sehr vage: Es sei „eher unwahrscheinlich“, dass es keine Auswirkungen auf die Preise an den Tankstellen geben werde. Doch hänge die Markt- und Preisentwicklung von vielen Faktoren ab, etwa auch vom Dollarkurs und Beschlüssen der großen Förderländer.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht das ähnlich. „Die Entwicklung der Preise nach einem Öl-Embargo-Beschluss kann niemand zuverlässig vorhersagen“, sagt vzbv-Mobilitätsexpertin Marion Jungbluth der Deutschen Presse-Agentur. „Der Ölmarkt ist immer schon sensibel und die Preise volatil gewesen.“

Was kann man gegen den Preisanstieg tun?

Die Verbraucherzentrale mahnt die Bundesregierung, ein strenges Auge auf die Preise an der Zapfsäule zu haben. Sie müsse einschreiten, wenn Konzerne sich in der Krise bereichern wollten, sagt Jungbluth mit Blick auf mögliche Gewinne durch plötzliche Veränderungen der Marktsituation (Windfall Profits).

Gefordert seien die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe und das Bundeskartellamt. „Die beschlossene Energiesteuersenkung vom 1. Juni 2022 muss eins zu eins an die Verbraucher und Verbraucherinnen weitergegeben werden“, verlangt die Expertin.

Ein Preismoratorium solle auch verhindern, dass Tickets für Busse und Bahnen teurer werden. Wichtig sei zudem Energiesparen. Zugleich warnt Jungbluth: „Hamsterkäufe würden den Preis unnötig in die Höhe treiben oder sogar zu einer Verknappung führen, daher raten wir davon ab.“

[Lesen Sie auch: Öl-Embargo gegen Russland – das wären die Folgen (T+)]

Was könnte das Embargo für die deutsche Wirtschaft bedeuten?

In der PCK-Raffinerie GmbH in Schwedt wird überschüssiges Gas in der Rohölverarbeitungsanlage verbrannt.
In der PCK-Raffinerie GmbH in Schwedt wird überschüssiges Gas in der Rohölverarbeitungsanlage verbrannt.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Nach Einschätzung Habecks könnte eine Embargo in Ostdeutschland und im Großraum Berlin zeitweise zu einer Benzinknappheit führen. „Es ist nicht auszuschließen, das muss ich leider sagen, dass es tatsächlich zu Knappheiten kommt“, sagte Habeck am Mittwochabend in der Sendung „RTL Direkt“.

Grund sei, dass diese von der Großraffinerie im brandenburgischen Schwedt versorgt werden, die ausschließlich russisches Öl verarbeitet. Es könne passieren, dass „für eine begrenzte Zeit zu wenig Öl und damit zu wenig Benzin verfügbar ist“, sagte Habeck. Es werde jedoch an Lösungen gearbeitet, versicherte der Minister.

In Schwedt steht die vom russischen Staatskonzern Rosneft betriebene PCK-Raffinerie, die bislang von russischen Öllieferungen abhängig ist. Das dort verarbeitete Rohöl wird über die Ölpipeline Druschba angeliefert. 1200 Menschen sind direkt im Werk beschäftigt, zudem Hunderte Mitarbeiter bei Zulieferern und Dienstleistern auf dem Gelände.

Wie abhängig ist Deutschland noch von russischem Öl?

Deutschland sieht sich inzwischen einigermaßen gewappnet. Ohne russische Lieferungen sei keine „Ölkrise“ zu erwarten, sagte Habeck zuletzt. Denn der Anteil russischen Öls am deutschen Verbrauch ist nach seinen Angaben binnen weniger Wochen von 35 auf 12 Prozent gesunken. Der verbliebene Anteil russischen Öls von zwölf Prozent entfällt demnach auf Schwedt.

Wie könnten sich die Sanktionen auf Russland auswirken?

Die Befürworter hoffen, dass die Folgen gravierend sind. Zu Jahresbeginn hat Russland noch die Hälfte seiner täglich knapp fünf Millionen Barrel Rohöl nach Europa exportiert. Auch von den drei Millionen Barrel an Ölprodukten, also Diesel oder Schweröl, ging die Hälfte gen Westen.

Das Öl, das bisher über die Druschba-Pipeline geflossen ist - etwa 750.000 Barrel pro Tag - dürfte selbst mit teuren Schifftransporten nicht komplett in andere Länder umgeleitet werden. Die einzige Pipeline nach Osten ist ohnehin ausgelastet.

Bereits im April ist die Ölförderung um neun Prozent gefallen. Bis Jahresende erwartet Finanzminister Anton Siluanow einen Rückgang von 17 Prozent. Weitere Einbußen könnten schmerzhaft sein, da Öleinnahmen rund 30 Prozent des russischen Haushalts ausmachen. Bislang sind die Verluste für Moskau zu ertragen.

Ein russischer Öltanker
Ein russischer Öltanker

© REUTERS/Yoruk Isik

Das Öl-Embargo der EU könnte zunächst aber auch einen kontraproduktiven Effekt haben, wie die Brüsseler Wirtschafts-Denkfabrik Bruegel unterstreicht. „Paradoxerweise könnte ein solches Embargo sogar zu einem Gewinn für Russland führen, zumindest kurzfristig, und zu einem Verlust für die EU und die Weltwirtschaft insgesamt“, heißt es in einer aktuellen Bruegel-Stellungnahme.

Denn in der monatelangen Übergangszeit vor Inkrafttreten des Importstopps dürften die Preise für russisches Öl deutlich steigen. Die EU-Länder müssten damit mehr für ihre Lieferungen bezahlen, und Russland hätte vorerst noch mehr Geld in der Kriegskasse gegen die Ukraine.

Auch US-Finanzministerin Janet Yellen hatte vor einem solchen Effekt für Europa und die Weltwirtschaft gewarnt. Sinnvoller als ein Öl-Embargo wären nach Ansicht der Bruegel-Experten Strafzölle auf russische Ölausfuhren gewesen.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

Welche Folgen hätte das Embargo für Entwicklungs- und Schwellenländer?

Die massivsten Folgen dürfte das Öl-Embargo aber für Entwicklungs- und Schwellenländer haben. Habeck warnte, solche Länder könnten Europa und den USA dann vorwerfen, mit ihren Ölembargos die Preise angetrieben und die Armut in der Welt vergrößert zu haben.

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Der russische Präsident Wladimir Putin könnte solche Länder dann mit einem „Discount“ auf Öl an sich binden. Deshalb müsse ein Energieembargo „gut eingebettet sein in eine politische Gesamtstrategie, die am Ende Russland tatsächlich schwächt und nicht aus Versehen Schlimmeres anrichtet“, mahnte Habeck.

Wie könnte Russland auf die neuen Sanktionen reagieren?

Die EU ist zudem besorgt, Russland könne mit neuen Vergeltungsmaßnahmen auf das sechste Sanktionspaket reagieren. Am deutlichsten würde sich ein Stopp der Gaslieferungen auswirken. Vergangene Woche hatte Russland bereits Polen und Bulgarien den Gashahn abgedreht. Auch Deutschland müsse mit solch einem Schritt rechnen, warnte Habeck. EU-Energiekommissarin Kadri Simson betonte, jeder Mitgliedstaat könne als nächster dran sein.

Für einen solchen Fall hat die Europäische Union bisher nur unzureichende Vorkehrungen getroffen. Die sogenannte SoS-Verordnung (kurz für „Security of Supply“, also Versorgungssicherheit) von 2017 sieht im Notfall zwar Hilfen zwischen den Mitgliedstaaten vor. Deutschland hat entsprechende Verträge dem Vernehmen nach aber nur mit Dänemark und Tschechien geschlossen. Die Regelung gäbe den deutschen Behörden aber die Möglichkeit, Industriezweige im äußersten Fall abzuschalten. (AFP, dpa)

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