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Hinweis auf Corona-Regeln an einem Geschäft.

© imago images/Ralph Peters

Update

Bericht zu Pandemiemaßnahmen: Experten kritisieren Teile der Corona-Politik, aber betonen Nutzen von Masken

Der Bericht von Corona-Experten soll die Grundlage für die Maßnahmen im kommenden Herbst bilden. Was das für den neuen Corona-Plan bedeutet.

Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seinen Gegenspieler Marco Buschmann (FDP) soll es das Dokument der Entscheidung sein: Was haben die bisherigen Corona-Maßnahmen gebracht und was bedeutet das für den "Corona-Instrumentenkasten" für den dritten Pandemieherbst?

Das 165 Seiten starke Papier des von der Regierung beauftragten Sachverständigenrats macht Zweifel an der Pandemiepolitik von Bund und Ländern deutlich.

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Gleich ganz am Anfang steht die Hauptkritik, die auch dazu beigetragen hat, dass der Charité-Virologe Christian Drosten aus dem Projekt ausgestiegen ist:

„Die Erfüllung des Auftrags und Anspruchs durch die Evaluationskommission wurde erheblich dadurch erschwert, dass sie zur Bewertung der auf das Infektionsschutzgesetz (IFSG) gestützten Maßnahmen erst im Nachhinein aufgefordert wurde“, wird eingangs kritisiert.

Hinweise auf Corona-Regeln an einem Geschäft.
Hinweise auf Corona-Regeln an einem Geschäft.

© picture alliance/dpa

Ferner fehle eine ausreichende und stringente begleitende Datenerhebung, die notwendig gewesen wäre, um die Evaluierung einzelner Maßnahmen zu ermöglichen. „Außerdem ist festzuhalten, dass die Evaluationskommission für eine umfassende Evaluierung dieser Fragestellung weder personell ausgestattet war, noch einen ausreichend langen Evaluationszeitraum zur Verfügung hatte.“

Sorge vor Coronawelle im Herbst

Beteiligt an dem Papier waren unter anderem der Chef der Berliner Charité, Heyo Kroemer, und Jutta Allmendinger, die Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Hinzu kam unter anderem der aus der Öffentlichkeit bekannte Virologe Hendrik Streeck und der Epidemiologe Klaus Stöhr.

Die Sachverständigen betonten bei der Vorstellung ihrer Erkenntnisse: Der Bericht sei keine Generalabrechnung mit der Corona-Politik, sondern solle dazu dienen, dass Entscheider künftig noch informiertere Abwägungen treffen könnten.

Die Ampel hatte sich von dem Bericht eine Lösung ihres Streits um künftige Corona-Maßnahmen erhofft. Die rollende Sommerwelle und die Sorge vor weiteren Corona-Varianten im Herbst werfen die Frage auf, was auf das zum 23. September auslaufende Infektionsschutzgesetz folgen soll. Die Bundesländer hätten gerne eine Anschlussregelung, die ihnen wieder mehr Instrumente an die Hand gibt, derzeit können sie noch nicht einmal mehr Maskenpflichten in Innenräumen verhängen.

Die Ampel wollte mit der Kommission ihren Streit befrieden

Vor allem die FDP hat daher auf die Auswertung der bisherigen Maßnahmen gepocht, aber die erhoffte Klarheit liefert der Bericht nicht. Es ist eher ein „Sowohl-als auch“. Zusammenfassend gibt er vor allem den Entscheidungen der Pandemiekanzlerin Angela Merkel (CDU) Recht. Je früher Maßnahmen getroffen werden, desto besser, das gelte insbesondere auch für kurze, aber frühzeitige Lockdowns.

Der Bericht gibt zumindest klare Hinweise, wie ein neues IFSG aussehen könnte – und welche Fehler vermieden werden sollten. Die 18 Männer und Frauen kritisieren, dass in Deutschland zu wenig Forschung betrieben und die Corona-Politik mangelhaft kommuniziert worden sei, zumal es sich um massive Eingriffe in Grundrechte gehandelt habe. Ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse - und was das für den nächsten Corona-Herbst bedeuten kann.

1. Maskenpflicht

„Die Kombination von epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen von Masken ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann“, wird in dem Bericht betont. Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske habe jedoch einen verminderten bis keinen Effekt.

„Die Effektivität hängt daher vom Träger oder der Trägerin ab“, lautet die wenig überraschende Erkenntnis. Alltagsmasken seien definitiv unsicherer als medizinische und FFP2-Masken. Da im Freien kaum Ansteckungsgefahr bestehe, solle eine Maskenpflicht zukünftig auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben.

Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken sei aus den bisherigen Daten nicht ableitbar, aber gerade für Kliniken, Heime und andere medizinische Einrichtungen sei sie zu empfehlen.

Für die Politik ergibt sich daraus, dass Masken und eine Maskenpflicht als Option sehr wohl wieder im Herbst zum „Instrumentenkasten“ gehören könnten; darauf pocht Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ebenso wie die Bundesländer.

2. Lockdowns

Was die Frage nach Lockdowns angeht, bleibt der Bericht vage, macht aber deutlich, dass sie ganz am Anfang einer Pandemie einiges bewirken können.

"Aufgrund der biologischen und physikalischen Plausibilität gibt es keinen Zweifel, dass generell die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt", heißt es in dem Bericht.

Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung soweit es geht zu reduzieren, um das Gesundheitssystem auf die bevorstehende Krankenlast einzustellen und um, wenn möglich, den Ausbruch lokal zu begrenzen.

Aber je länger ein Lockdown dauere und je weniger Menschen bereit seien, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer sei der Effekt und umso schwerer wiegen die nicht-intendierten Folgen.

3. Die G-Regeln

Auch der Sinn von 2G/3G-Regeln, die in der Pandemie etwa den Besuch von Veranstaltungen an Impfung oder Test knüpften, wird nur begrenzt gesehen. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist aus Sicht der Experten vor allem in den ersten Wochen nach der Booster-Impfung oder Genesung hoch. „Der Schutz vor einer Infektion lässt mit der Zeit jedoch deutlich nach.“ Die klare Folge aus diesen Erfahrungen, auch mit Blick auf den nächsten Herbst: Die bisherige Privilegierung von Geimpften wird in Frage gestellt.

Die Experten empfehlen: Seien auf Grund hoher Infektionszahlen Zugangsbeschränkungen nötig, sei eher eine Testung unabhängig vom Impfstatus zu empfehlen. Es müsse allerdings erforscht werden, wie gut die Eindämmung mit Tests angesichts der sehr leicht übertragbaren Omikron-Variante funktionieren könne.

4. Schulschließungen

Eine genaue Aussage über die Wirkung von Schulschließungen konnten die Experten nicht treffen. „Der genaue Effekt von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen“, schreiben sie in ihrem Bericht. So infizierten sich zwar jüngere Kinder weniger häufig und trügen das Virus seltener in die Familien. Bei neuen Virusvarianten sei der Effekt allerdings weniger ausgeprägt.

Besser erforscht sind die Nebenwirkungen der Schulschließungen. Die Bildschirmzeit stieg an, Kinder nahmen an Gewicht zu. „Viele Studien haben gezeigt, dass während der Schulschließungen der Anteil von Kindern mit psychischen Problemen anstieg“, schreiben die Sachverständigen. Zudem habe sich die Pandemie negativ auf die Lerndauer, Lernfähigkeit und den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern ausgewirkt, insbesondere in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

5. Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und Forschungslücken

Eine bessere Digitalisierung der Infektionserfassung mit bundesweit einheitlichen Systemen sei in Zukunft unabdingbar, betonen die Wissenschaftler. Deutlich machen die Experten, dass abgesagte Operationen, verschleppte Diagnosen und drohende Vereinsamung im Lockdown gefährliche Folgen haben können.

Ein Schwerpunkt der Kritik sind Forschungslücken in Deutschland. So sei „eine koordinierte Begleitforschung während der Corona-Pandemie in Deutschland weitgehend unterblieben“, schreiben die Experten.

Es fehlten Konzepte, um „auf Grundlage besserer Daten und darauf aufbauender Analysen die anstehenden Entscheidungen in der Pandemie zu fällen“. Dabei hätten die Krankenkassen „ihre enormen Datenbestände“ für derlei Zwecke angeboten.

Als dahingehend schwierig, letztlich forschungshemmend werden auch der strenge Föderalismus und die umfangreiche Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) genannt: „Föderalismus und daraus resultierende unterschiedliche Landes-Datenschutzgesetze und Landeskrankenhausgesetze sowie unterschiedliche Auslegungen der DGSVO erschweren das Datenmanagement und die Forschung in Deutschland jedoch ganz.“

Und was folgt daraus für den neuen Corona-Plan?

Die Länder dürften sich in ihrem Pochen auf eine Erweiterung des Instrumentenkastens bestärkt fühlen, sie wollen wieder die Maskenpflicht in Innenräumen und 2G/3G-Regeln als Option, und selbst in der FDP sagen einige Abgeordnete, dass gerade die älteren Mitbürger den Kampf der FDP gegen die Maßnahmen nicht goutiert hätten, weil hier mehrheitlich weiter das „Team Vorsicht“ dominiert.

Natürlich hat die Politik Fehler gemacht und natürlich sind bis heute die Daten nicht ganz klar. Wie denn auch angesichts der zurückliegenden Mammutaufgabe ohne Beispiel, Lehrbuch und Referenz.

schreibt NutzerIn Urbi_et_Orbi

Aber die Wissenschaftler machen auch deutlich, dass für das so umstrittene IfSG als Rechtsgrundlage der Pandemiebekämpfung „erheblicher Reformbedarf“ bestehe. So stelle die „Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ eine juristisch fragwürdige Konstruktion dar. Die damit vorgenommene Verlagerung wesentlicher Entscheidungsbefugnisse auf die Exekutive werde ganz überwiegend für verfassungswidrig gehalten.

Daher müssten künftig die Eingriffsschwellen konkrete gefasst werden, statt pauschal bundesweit und die Konkretisierung durch Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen den Ländern überlassen werden. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass die Ampel-Koalition auf Druck der FDP den Ländern nicht mehr vorschreiben könnte, dass sie praktisch gar keine Maßnahmen mehr erlassen dürfen.

Bundesjustizminister Buschmann jedenfalls hat nun eine zügige Verständigung in der Regierung über Corona-Schutzinstrumente für den Herbst in Aussicht gestellt. Er sei sehr zuversichtlich, dass im Laufe des Juli in der Koalition ein guter Vorschlag gemacht werden könne, sagte er. Schon direkt nach der Vorlage des Evualationsberichts gebe es große Einigkeit in mehreren Punkten. So habe die Maske in Innenräumen dem Gutachten zufolge ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Sie werde daher natürlich eine Rolle im Schutzkonzept für den Winter haben.

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