zum Hauptinhalt
Noch halten reine Frauenfußballvereine wie Turbine Potsdam, SGS Essen und SC Sand ihre Fahnen in der Bundesliga hoch. Allerdings wird es für sie wohl künftig immer schwerer.

© imago/Jan Huebner

Zukunft des Frauenfußballs: Turbine-Präsident Kutzmutz: „Wir könnten Einzelgänger werden“

Im Frauenfußball wird vermehrt auf enge Zusammenarbeit mit den Männer-Proficlubs gesetzt. Was bedeutet das für einen reinen Frauen- und Mädchenfußballverein wie Turbine Potsdam?

Frankfurt am Main/Potsdam - Die glorreichen Zeiten der Frauen-Nationalmannschaft sind vorbei, die Jubelbilder mit Medaillenglanz verblasst. Nun soll eine neue Ära im deutschen Frauenfußball anbrechen – mit Sponsoring durch die finanzstarken Männerklubs als Hilfe für die Mauerblümchen-Liga.

Was das für die Zukunft bedeuten könnte, skizziert Rolf Kutzmutz. Der Präsident des sechsmaligen Deutschen Meisters Turbine Potsdam stellt sich darauf ein, „dass wir als reiner Frauen- und Mädchenfußballverein eines Tages Einzelgänger in der Bundesliga werden könnten“.

Rolf Kutzmutz, hier als Präsident von Turbine Potsdam
Rolf Kutzmutz, hier als Präsident von Turbine Potsdam

© Jan Kuppert

Für Siggi Dietrich, seit Jahrzehnten Manager beim 1. FFC Frankfurt, beginnt „ein neues Zeitalter“ im Frauenfußball. Mal wieder, könnte man sagen – da alle Erfolge der DFB-Auswahl, und davon gab es in der Vergangenheit viele, ohne größere Auswirkungen verpufft sind. Die Euphorie aber ist groß bei den Frankfurterinnen, die noch einmal öfter als Turbine Deutscher Meister geworden sind. Vom Sommer an spielen sie unter dem Dach von Männer-Erstligist Eintracht Frankfurt. Daraus soll eine Signalwirkung entstehen.

"Bevor wir über Equal Pay reden, müssen wir Equal Play schaffen"

Martina Voss-Tecklenburg ist von dieser Entwicklung überzeugt. „Die großen Klubs werden auch bei den Frauen den Fußball der Zukunft prägen“, sagt die Bundestrainerin. Sie gibt jedoch zu bedenken: „Bevor wir über so etwas wie Equal Pay reden, müssen wir Equal Play schaffen. Dass auch Mädchen von Nachwuchsleistungszentren profitieren. Dass wir die gleichen Wege für alle schaffen.“

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg möchte, dass die Frauen von den Männerstrukturen profitieren. 
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg möchte, dass die Frauen von den Männerstrukturen profitieren. 

© Sebastian Gollnow/dpa

Vor dem Liga-Auftakt 2020 an diesem Wochenende liegen nicht zufällig der VfL Wolfsburg, die TSG Hoffenheim und der FC Bayern München in der Tabelle mit deutlichem Abstand vorne. „Wir brauchen den Profifußball der Männer, um den Frauenfußball zu entwickeln. Wir müssen auch die Frauenspiele eventisieren“, fordert DFB-Vizepräsident Rainer Koch. Doch längst ziehen nicht alle Männer-Erstligisten im Land des aktuellen Frauen-Olympiasiegers und zweimaligen -Weltmeisters mit. Derzeit sind nur sechs Klubs auch bei den Frauen erstklassig.

Für Turbine kommt Angliederung aus mehreren Gründen nicht infrage

Die reinen Frauenfußball-Vereine wissen, dass sie nicht mehr vorne mitspielen können, ohne vom Umfeld eines Männer-Bundesligisten zu profitieren. Doch bei Turbine beispielsweise kommt eine Angliederung nicht infrage. Ein solches Szenario schließt Kutzmutz aus, weil man seiner eigenen Identität treu bleiben möchte. Zudem bietet sich in Brandenburg ohnehin kein hochklassiger Männerverein für einen Zusammenschluss an. Und in Berlin scheiterte bereits vor Jahren eine Kooperation zwischen Hertha BSC und den Frauen des 1. FC Lübars. Union Berlin hat eine eigene Frauenabteilung – die erste Mannschaft belegt derzeit Rang drei der Regionalliga Nordost.

Nationaltorhüterin Almuth Schult fordert Unterstützung für den Frauenfußball "mit Herz". 
Nationaltorhüterin Almuth Schult fordert Unterstützung für den Frauenfußball "mit Herz". 

© Armin Weigel/dpa

Beim Bundesliga-Vierten SGS Essen sagte Trainer Markus Högner schon vor Saisonbeginn: „Wir haben jetzt den Peak erreicht, ich bin überzeugt, dass wir ein Ausbildungsverein bleiben werden.“ Eine Kooperation mit Borussia Dortmund oder Schalke 04 ist nicht in Sicht. Im Westen tut man sich überhaupt schwer, auch wenn der 1. FC Köln und Bayer Leverkusen in der Bundesliga spielen. „Was nützt es, wenn ein Verein wie Borussia Mönchengladbach seine Frauen-Mannschaft in die Bundesliga bringt und dort mit nur einem Punkt gleich wieder absteigt?“, sagt die derzeit schwanger pausierende Nationaltorhüterin Almuth Schult vom VfL Wolfsburg und erklärt: „Wichtig ist, dass man das dann auch mit Herz macht. Man ist ja Fan des Vereins, nicht des Männerteams.“

SC Sand: "Wir fühlen uns ganz wohl als das kleine gallische Dorf“

In Dortmund hing kürzlich ein Spruchband der Initiative ballspiel.vereint!: „Fußball ist für alle da – Frauenteam jetzt“ in der Südkurve. Präsident Reinhard Rauball verwies bei der Mitgliederversammlung aber darauf, dass die Handballerinnen in der Bundesliga spielen und dass ein Profiteam unter dem Dach des eingetragenen Vereins nicht denkbar sei. Die Finanzierung würde die Gemeinnützigkeit gefährden. In Frankfurt agieren die Frauen künftig unter dem Dach der Fußball-AG, deren Nachwuchsteams beim eingetragenen Verein.

Der SC Sand kommt aus einem 2000-Einwohner-Ort und stand schon zweimal im DFB-Pokalfinale gegen Wolfsburg.
Der SC Sand kommt aus einem 2000-Einwohner-Ort und stand schon zweimal im DFB-Pokalfinale gegen Wolfsburg.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Skeptiker argumentieren auch damit, dass in Dortmund und auf Schalke nur der Männerfußball Tradition habe. Nationaltorhüterin Schult regt das auf. „Was ist denn Tradition? Der Frauenfußball konnte keine 100-jährige Tradition aufbauen, weil er zwischenzeitlich verboten war. Der Fußball an sich ist doch die Tradition.“ Klubs wie der SC Sand – in unmittelbarer Nachbarschaft zum französischen Erstligisten Racing Straßburg gelegen – hat keine Chance auf einen vielversprechenden Anschluss an einen Männer-Bundesligisten. „Unsere Eigenständigkeit hat auch einen gewissen Charme. Wir fühlen uns ganz wohl als das kleine gallische Dorf“, sagt Geschäftsführerin Claudia von Lanken. Das Team aus dem 2000-Einwohner-Ort stand schon zweimal im Finale des DFB-Pokals.

England, Spanien und Frankreich als Vorbilder 

Frankfurts Dietrich spricht als Vorsitzender des neu geschaffenen Ausschusses Frauen-Bundesliga von einer „echten Aufbruchstimmung“. Die Zahlen sind jedoch ernüchternd: An den ersten 13 Spieltagen kamen zwar 15 Prozent mehr Zuschauer als im Vorjahr, trotzdem waren es im Schnitt nur 954 Besucher. Turbine Potsdam verlor sogar durchschnittlich rund 1100 Zuschauer seit dem letzten Meistertitelgewinn in der Saison 2011/12. Damals kamen etwa 2500 Fans pro Partie. Das Kontrastprogramm zu den bescheidenen Kulissen in den Bundesligastadien erlebten die Nationalspielerinnen im November 2019, als Deutschland vor 77.000 Zuschauern in Wembley 2:1 gewann.

Frankfurt-Manager Siegfried Dietrich schließt sich mit dem 1. FFC der Männer-Eintracht an. 
Frankfurt-Manager Siegfried Dietrich schließt sich mit dem 1. FFC der Männer-Eintracht an. 

© Lukas Schulze/dpa

Dietrich sieht die Entwicklung hin zu Männer-Bundesligisten als unaufhaltsam. „Viele Klubs in Spanien, England und Frankreich praktizieren dies bereits, und wenn die großen Klubs damit anfangen, werden die kleinen sicherlich auch nachziehen.“ Nationalspielerin Sara Däbritz vom französischen Spitzenklub Paris Saint-Germain spielte zuvor beim FC Bayern und dem SC Freiburg. Sie sieht bei einem Männer-Klub auch ein enormes Zuschauerpotenzial: „Die Ultras der Männer sind regelmäßig bei unseren Spielen dabei und machen richtig Stimmung. Zuletzt gegen Marseille haben wir vor 3500 Zuschauern gespielt und die Stimmung über 90 Minuten war großartig.“

Immerhin hat die Frauen-Bundesliga durch die inzwischen regelmäßigen TV-Ausschnitte in der ARD-Sportschau und die Übertragung des Freitagsspiels bei Eurosport ein breiteres Publikum bekommen. Flyeralarm, der Sponsor der Liga, wirbt zudem mit einem Magazin mit dem Namen „Elfen“.

Der neue DFB-Präsident Fritz Keller sieht England als Vorbild und sagt: „Ich erwarte von jedem Bundesligisten, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen und auch in den Frauenfußball investieren.“ Zumal der DFB das „Projekt Zukunft weiblich“ gestartet hat und auch in Führungspositionen mehr Frauen einbinden will. In diesem Jahr wird außerdem mit einigen Aktionen ein Jubiläum gefeiert: Vor genau 50 Jahren hob der Verband das Frauenfußballverbot auf. dpa (mit SeS, tog)

Ulrike John, Sebastian Stiekel

Zur Startseite