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Und es hat Boom gemacht. Turbine feierte Torschützin Viktoria Schwalm.

© Jan Kuppert

Turbine Potsdam gegen VfL Wolfsburg: Mit vollem Risiko und Angriffsmut

Turbine Potsdam sorgte im Spitzenspiel der Frauenfußball-Bundesliga für den ersten Punktverlust des Spitzenreiters VfL Wolfsburg. Wie die Potsdamerinnen dem Star-Ensemble ein Remis abtrotzten, hatte besonderen Charme.

Von Tobias Gutsche

Potsdam - Viktoria Schwalm schnürte ihr Bewerbungspaket. Mit Schleifchen. Acht Minuten nach ihrer Einwechslung im Bundesliga-Spitzenspiel gegen den VfL Wolfsburg am Mittwochabend erzielte die Fußballerin von Turbine Potsdam einen traumhaften Treffer, der allemal das Zeug dazu hat, für das „Tor des Monats“ in der ARD-Sportschau nominiert zu werden. Ein Befreiungsversuch von Noelle Maritz landete 20 Meter vor dem Tor bei Schwalm. Und die dachte sich:„Jetzt einfach volles Risiko“, wie sie später erzählte. Ihre Direktabnahme mit dem rechten Fuß krachte rechts oben in die Maschen. Die Stürmerin urteilte grinsend: „Das war das bisher schönste Tor meiner Karriere.“ 

"Gute Ausgangslage" zur Saisonhalbzeit

Und ein wichtiges dazu. Es war in der 83. Minute der Ausgleich zum 1:1. Der Endstand. Turbine gelang es als erster Mannschaft in dieser Saison, den Wölfinnen einen Punktverlust zuzufügen und somit die perfekte Hinrunde des Tabellenführers – es wäre die erst dritte der Bundesligageschichte gewesen – zu verhindern. Durch den Punktgewinn beträgt der Rückstand der drittplatzierten Potsdamerinnen auf einen Europapokal-Qualifikationsplatz zur Saisonhalbzeit lediglich drei Zähler. „Das ist eine gute Ausgangslage“, sagte Viktoria Schwalm. Sie forderte zugleich Siege in den beiden letzten Partien des Kalenderjahres – am Sonntag daheim gegen die TSG 1899 Hoffenheim (Beginn: 14 Uhr/Karl-Liebknecht-Stadion) und eine Woche darauf beim SC Sand. „Wenn wir die Spiel gewinnen, sind wir für die Rückrunde richtig gut dabei und können Platz zwei angreifen.“

Neben Viktoria Schwalm war auch Vanessa Fischer eine ausgiebig umjubelte Turbine-Akteurin am Mittwoch. Die Junioren-Nationaltorhüterin vertritt seit Mitte Oktober Potsdams eigentliche Nummer eins Lisa Schmitz, die sich mit Muskelproblemen herumplagt. Fischer macht dabei einen sehr guten Job und brillierte gegen Wolfsburg. In der ersten Halbzeit bewahrte sie ihr Team dank fünf starker Paraden vor einem klaren Rückstand. 

Verhältnis der vereinseigenen Talente - 9:1 

Dass ausgerechnet Schwalm und Fischer, zwei 20-Jährige, für Glanzpunkte im Gipfeltreffen sorgten, versprühte einen ganz besonderen Charme. Sie sind Eigengewächse des Vereins. Insgesamt neun Spielerinnen, die am Luftschiffhafen ausgebildet wurden, standen vorgestern im Potsdamer Kader. Zum Wolfsburg-Aufgebot gehörte nur ein VfL-Zögling. Vielmehr kicken für die Autostädterinnen verpflichtete Stars der Szene wie Europas Fußballerin des Jahres Pernille Harder, die kurz vor der Halbzeitpause den Pfosten traf. Turbine hingegen ist eine Talentschmiede. Und unter Cheftrainer Matthias Rudolph hat der eigene Nachwuchs auch für die erste Mannschaft wieder mehr an Wert gewonnen – zuvor war das etwas verloren gegangen, wie eingeräumt wurde. Rudolph betont unmissverständlich, dass Turbine nur über gute Jugendarbeit bestehen könne. Das stiftet obendrein Identifikationspotenzial innerhalb der Stadt.

Die Talentschmiede trotzte dem Star-Ensemble also ein Unentschieden ab. Auf frostigem Boden legten dabei beide Mannschaften heiße Sohlen hin. Eine erwärmende Vorstellung. Unter schwierigen Bedingungen überzeugten die Teams durch hohes Tempo und ansehnliche Spielzüge. Den 1487 Zuschauern im „Karli“ blieb allerdings ein Qualitätsunterschied – beim vorhandenen Personal nur allzu normal – nicht verborgen. Wolfsburgs offensive Wucht und Raffinesse stellte die Turbine-Abwehr vor einige Probleme. Der torlose Zwischenstand nach 45 Minuten war angesichts der Vielzahl an guter VfL-Chancen schmeichelhaft für die Gastgeberinnen. So haderte Stephan Lerch, Trainer des amtierenden Deutschen Meisters, mit der schwachen Chancenverwertung seiner Mannschaft. 

Rudolph: "Wir haben Wahnsinnsmoral bewiesen"

Doch nach dem Seitenwechsel wurde Potsdam immer besser. Zur bereits vorbildlichen Laufleistung und Kampfbereitschaft gesellte sich verstärkt Angriffsmut. Lena Petermann vergab die große Chance zur Führung. Auf der anderen Seite nutzte dann Wolfsburgs Torjägerin Ewa Pajor einen individuellen Fehler zum 1:0 (65. Minute). Mit dem Rückschlag gingen die Turbinen beeindruckend um. „Wir haben Wahnsinnsmoral bewiesen“, lobte Matthias Rudolph. Seine Elf agierte noch couragierter und wurde mit dem Traumtor von Viktoria Schwalm belohnt. „Wir haben uns den Punkt verdient“, meinte sie. „Weil wir gegen Wolfsburg leidenschaftlich mitgehalten haben. Und das ist ja nun wirklich keine Mannschaft, mit der man es mal nebenbei aufnimmt.“ 

Entsprechend wurde das Remis gefeiert. Gefühlt wie ein Sieg. Als der Schlusspfiff ertönt war, ballte Matthias Rudolph die Faust und schrie ein lautes, dampfendes „Ja“ in die kalte Luft am Babelsberger Park. Er sei „unheimlich stolz“, sagte der Coach. Dass Turbine die niederlagenfreie Serie in Pflichtspielen gegen eines der besten Teams Europa auf nunmehr acht Partien ausbaute, ist eine neue Referenz in der Bewerbung des Traditionsvereins – um die Rückkehr auf die Champions-League-Bühne. 

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