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Sportschule Potsdam: „Es hat sich alles gelohnt“

Fast 21 Jahre lang leitete Klaus-Rüdiger Ziemer Potsdams Eliteschule des Sports. Jetzt geht er in den Ruhestand – und spricht über seine Arbeit, unfaire Schüler, Krisenmanagement, Wunder und Verwirklichung in der „Traumerfüllungsmanufaktur am Havelufer“.

Von Tobias Gutsche

Herr Ziemer, an diesem Freitag werden die Halbjahreszeugnisse verteilt, für Sie ist es derweil der letzte Tag als Leiter der Sportschule Potsdam. Welche Beurteilung stellen Sie sich denn selbst für Ihre Arbeit in den vergangenen fast 21 Jahren aus?

Ich glaube, dass ich der Schule und dem System gutgetan habe, weil ich meine vielfältigen Erfahrungen als Lehrer und Sportler eingebracht habe. Auch wenn ich nie Leistungssportler war, so habe ich doch dank meines persönlichen Umfeldes schnell ein gutes Verständnis dafür entwickelt, was diese Athleten brauchen.

Was brauchen Sportschüler genau?

Sie brauchen die richtigen Leute, die sie auf ihrem Weg begleiten. Also sehr gute Trainer und Lehrer, die alles investieren, um sowohl im Sport als auch in der Schule Erfolge zu erreichen. Diese Leute zu finden, war für mich stets eine wichtige Aufgabe. Genauso wie sie dann auch weiter in die richtige Richtung zu führen. Meinem Kollegium und der Schulleitung habe ich viel abverlangt, sie getrieben. Sie waren dabei immer loyal zu mir, wofür ich nur dankbar sein kann.

Wie ist es Ihnen bei Ihren letzten Tagen an der Schule ergangen?

Die Zeit hier ist ein wesentliches Stück meines Lebens – und auch ein richtig schönes. Von daher fällt es nun natürlich nicht leicht, Abschied zu nehmen. Zumal die Schüler unfair sind: Je näher mein letzter Tag rückt, umso freundlicher werden sie.

Was für eine Frechheit.

So ist es. (lacht)

Welchen Teil Ihres Jobs werden Sie ganz besonders vermissen?

Das Lehrersein, eine Klasse zu unterrichten. Ich wollte immer lieber mit jungen Menschen zusammenarbeiten statt mit alternden Akten. Stunden zu geben bedeutete für mich den größten Spaß. Die Verwaltung der Schule war hingegen eine Pflicht. Die habe ich nicht immer mit Freude gemacht, aber stets mit dem Anspruch, es perfekt zu machen, damit unsere Schule mit ihren einmalig guten Rahmenbedingungen deutschlandweit einen hervorragenden Ruf genießt und es heißt, hier kann man sich – trotz der Belastung, die deutlich höher ist als an allen anderen Schulen – wohlfühlen.

Dieses Image bröckelte mitunter. Sie waren auch als Krisenmanager gefragt, als beispielsweise ein Gewalt- und Missbrauchsskandal im Internat die Schule in ihren Grundfesten erschütterte.

Das war eine schwere Phase. Wir standen extrem in der Kritik, für die Medien war es ein gefundenes Fressen und alle, die meinten, – aus welchen Gründen auch immer – noch eine Rechnung mit der Schule offen zu haben, meldeten sich zu Wort. Wichtig war, dass wir hier die Nerven behalten haben, und ich denke, das alles hat das Kollegium und die Schule zusammengeschweißt. Letztlich bedeutete es eine Zäsur für das Wohnheim. Die Betreuungssituation wurde danach den Erfordernissen angepasst, es herrschte keine Unterbesetzung mehr. Wir haben eine Kinderschutzbeauftragte bekommen und eine Sozialarbeiterin. Das hat sich positiv ausgewirkt.

Und dann waren da noch die Vorwürfe des Drogenkonsums an der Sportschule.

Die Thematik Drogen ist ein allgemeines Problem – an ganz vielen Schulen. In unserem Fall ist es meiner Wahrnehmung nach zwar geringer als anderswo, aber weil wir eben den Stempel „Eliteschule“ tragen, standen wir wieder enorm im Fokus der Öffentlichkeit. Elite bedeutet jedoch nicht perfekt und fehlerlos. Wir leben nicht auf der Insel der Seligen und sind kein geschlossenes System, das ohne Einflüsse von außen existiert. Deshalb wird man die Drogenproblematik vermutlich nicht gänzlich eindämmen können. Wir tun aber sehr viel im präventiven Bereich, um uns dem zu nähern.

Zurück zu den angenehmen Seiten des Daseins als Leiter der Sportschule Potsdam. Gibt es aus all den Jahren einen schönsten Moment im Sport für Sie?

Britta Steffens Schwimm-Doppelolympiasieg 2008. Als ich 1996 an der Sportschule anfing, wurde Britta in die siebte Klasse eingeschult, ich wurde ihr Deutschlehrer und habe sie bis Ende der elften Klasse betreut. Ich hatte einen ganz intensiven Blick auf die Entwicklung dieser jungen Frau, wusste, durch welche Tiefs sie gegangen ist, und habe versucht, sie auch nach ihrer Schulzeit zu unterstützen. Und als Britta dann in Peking so triumphierte, dachte ich mir: Es hat sich alles gelohnt.

Und für die schulischen Belange?

Da ist es der Fakt, dass wir das additive Abitur – also die Möglichkeit, die Abschlussprüfungen gestaffelt über mehrere Jahre hinweg abzulegen – von der Kultusministerkonferenz genehmigt bekommen haben. Einige deutsche Schulen hatten das bereits mit ähnlichen Modellen versucht, sind aber gescheitert. Wir allerdings haben es mit unserem Konzept, das perfekt auf die Bedürfnisse eines Sportschülers zugeschnitten und inzwischen eine Erfolgsgeschichte bei uns ist, geschafft. Das empfinde ich immer noch als ein Wunder.

Sie geben nun den Staffelstab an Iris Gerloff weiter. Welches Plädoyer für die Zukunft geben Sie ihr mit auf den Weg?

Unser System ist unheimlich gefestigt und hat über die vergangenen Jahre einen Verjüngungsprozess des Kollegiums erlebt. Diese jungen Leute drehen im positivsten Sinne am Rad, die wollen sich verwirklichen und verstehen ihren Beruf als Berufung. Deshalb ist die Schule einerseits bereit für Kontinuität, aber auch für Neues. Ein ganz entscheidender Punkt wird auch künftig sein, dass die Balance zwischen Schule und Sport weiterhin gewahrt wird. Natürlich ist es unser Ziel, sportliche Top-Erfolge zu erzielen, wofür viel getan werden muss. Dabei darf die Schule jedoch nicht vernachlässigt werden. Denn eines ist klar: Die Sportarten, die wir hier fördern, sind keine, mit denen man später seinen Lebensunterhalt bestreitet. Daher braucht es eine sehr gute schulische Ausbildung, worauf ich immer enormen Wert gelegt habe.

Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus?

26 000 Mal habe ich Zeugnisse unterschrieben, Hunderte Unterrichtsstunden gegeben, über 150 offizielle Reden gehalten – jetzt bin ich bereit für etwas anderes. Ich bin mir darüber bewusst, dass ein Abschied von solch einer intensiven Aufgabe auch immer eine gewisse Gefahr für die Gesundheit birgt. Das werde ich mit ganz viel Sport kompensieren. Ansonsten freue ich mich auf mehr Zeit mit der Familie. Es gibt auch ein paar Ecken dieser Welt, die ich noch nicht gesehen habe. Außerdem habe ich Anfragen zur Übernahme von Ehrenämtern und es reizt mich, meine Familiengeschichte aufzuschreiben. Und auch schulisch werde ich weiter aktiv sein. Ich wurde zum Leiter des Projekts „Schulen einer Stadt – Bündnis Potsdamer Schulen für eine neue Lern- und Schulkultur“ erkoren. Das findet nun innerhalb der Deutschen Schulakademie einen großen Rahmen, was ich sehr spannend finde.

Sie haben für die Sportschule Potsdam ein Synonym gefunden, das sich bei den Schülern eingebrannt hat: „Traumerfüllungsmanufaktur am Havelufer“. Welche Ihrer Träume konnten Sie selbst hier zur Produktion bringen, sodass sie wahr wurden?

Mein Traum war es, die Kräfte von jungen, klugen, leistungsbereiten Menschen zur Entfaltung zu bringen. Mein Credo lautete: Wenn du das schaffst, dann kommen die Erfolge von ganz alleine. Das Jahr 2016 hat noch mal gezeigt, dass mir das scheinbar gut gelungen ist. Bei Olympia in Rio gab es für ehemalige Potsdamer Sportschüler sechs Gold-, zwei Silber und eine Bronzemedaille – Wahnsinn. Dazu haben wir unsere besten Ergebnisse bei Abitur- und Vergleichsarbeiten erreicht und es in den Kreis der Finalisten beim Deutschen Schulpreis geschafft. Rundum ein toller Abschluss.

ZUR PERSON: Klaus-Rüdiger Ziemer (65) leitete seit 1996 die Sportschule Potsdam und geht nun in den Ruhestand. Er stammt aus Sachsen-Anhalt, studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Anschließend arbeitete Ziemer als Lehrer in Merseburg und Werder, ehe er an der Universität Potsdam tätig war, dann hiesiger Schulrat wurde und den Posten an der Potsdamer Sportschule übernahm. Schon immer ist der Pädagoge breitensportlich sehr aktiv. Er begann als Handballer und wurde später leidenschaftlicher Läufer, der unter anderem mehrfach den legendären Rennsteiglauf absolvierte. Außerdem geht Ziemer heutzutage gerne Ski und Rennrad fahren sowie vor allem schwimmen. 

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