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Regionalsport: Ketten und Flaschenpfand

Die Fans des SV Babelsberg 03 setzen alle Hebel in Gang, um ihren Verein vor der Pleite zu retten und den Vorstand unter Druck

Nach der nahezu ergebnislosen Aufsichtsratssitzung reicht es den Fans des SV Babelsberg 03: Am Donnerstagnachmittag haben mehrere Dutzend Anhänger des vor dem Absturz stehenden Fußball-Drittligisten die Geschäftsstelle des Vereins an der Karl-Liebknecht-Straße besetzt. Sie forderten den sofortigen Rücktritt des Vereinsvorstands – erst dann würden sie das Haus am Karl-Liebknecht-Stadion wieder verlassen. Bis zum Abend blieb die Lage laut einem Sprecher des Lagezentrums der Polizei „ruhig“, die Aktion werde geduldet.

Gegen 15.30 Uhr war eine Handvoll Fans im Vereinsgebäude aufgetaucht, hieß es von SVB-Mitarbeitern. Vor Ort hatten sich drei junge Männer an ein Treppengeländer gekettet, andere spielten im Stadion Fußball. Die Polizei beobachtete die Aktion. „Wir sind viel zu spät über die tatsächliche Lage im Verein informiert worden“, sagte Tom Müntzer, den die Besetzer zu ihrem Sprecher auserkoren haben. Am Montag hatte Babelsbergs Präsident Rainer Speer überraschend erklärt, dass der geplante Gesamtetat von 2,7 Millionen Euro bislang nur zur Hälfte gedeckt sei. „Das ist eine Frechheit, das erst jetzt zu sagen, obwohl sogar schon neue Spieler ausprobiert wurden.“ Die Vereinsführung müsse sofort zurücktreten. Nur mit neuen Köpfen könne nach neuen Sponsoren gesucht werden. Auch die Rolle des Aufsichtsrats müsse hinterfragt werden: „Warum haben die ihren Job nicht gemacht und kontrolliert?“ Müntzer weiter: „Außerdem haben wir den Verdacht, dass die Vereinsvorstände jetzt die Zeit nutzen und sich die Bücher schönschreiben.“ Zudem würden sie auf die Verantwortlichen warten, von denen sie erstmals auch öffentlich direkt eine Stellungnahme zur Lage erwarten, hieß es. „Speer tut doch immer so, als hätte er Format“, schimpfte ein Fan. Tom Müntzer sagte, hätte die Vereinsführung schon einen Monat eher die wahre Lage geschildert, hätten die Fans mehr Zeit gehabt, auch ihre Anstrengungen zur finanziellen Rettung des Vereins zu bündeln.

Doch auch unter Zeitnot haben die Babelsberg-Fans gestern Abend noch ihre Kreativität bewiesen: Gegen 19 Uhr hatte sich vor dem Babelsberger Rathaus ein gewaltiger Flaschenberg aufgetürmt. Unter dem Motto: „Flaschenpfand für Nulldrei“ haben zahlreiche Anhänger ihre Leergut-Vorräte gespendet, darunter auch Frank Hoffmeister: Gleich nach der Arbeit hatte sich der Nulldrei-Fan auf den Weg gemacht. Mit seinem roten Opel Astra war er bis vor die Rathaustür gerollt, den Kofferraum voller leerer Flaschen. Eine Bierkiste nach der anderen räumte Hoffmeister aus dem Auto, eine sogar noch voll. „Die ist für die Jungs hier“, sagt Hoffmeister, „die müsst ihr noch austrinken“, ruft er in die Runde. Publik wurde die Aktion im Internet über das soziale Netzwerk Facebook.

Hier hat den Fußball-Drittligisten eine ganze Welle der Solidarität von Fußballfans und Sportinteressierten erreicht. Seit Vereinspräsident Speer verkündete, dass im Etat der kommenden Saison ein Millionenloch klafft, haben sich bereits mehr als 4000 SVB-Unterstützer über Facebook organisiert. Die Anhänger fordern den Vereinsvorstand zum Rücktritt auf. Gleichzeitig sammeln sie Spenden oder – wie gestern Abend – Pfandflaschen, um den Club zu retten.

Unter dem Motto „Wir lassen unseren SV Babelsberg 03 nicht einfach sterben!“, berichten Studenten auf der Plattform davon, wie sie ihre Kassen plündern. Anwohner solidarisierten sich, Angestellte warten verzweifelt auf ihre nächste Lohnzahlung, um eine Überweisung tätigen zu können und andere eingefleischte Nulldreier wollen Blut spenden, um so die Vereinskasse aufzupäppeln.

Auch Fußballfans anderer deutscher Vereine, wie dem FC St. Pauli, Union Berlin, Hertha, dem FC Carl Zeiss Jena, Arminia Bielefeld, Rostock, Schalke oder Dresden haben für die notleidenden Babelsberger gespendet. Hertha-Fans forderten ihren Verein zu einem Benefizspiel auf. Bis Redaktionsschluss am späten Donnerstagabend waren bereits rund 10 000 Euro auf dem Spendenkonto gesammelt. Über den Bezahldienst Pay-Pal können nun sogar Überweisungen aus dem Ausland entgegengenommen werden, knapp 500 Euro flossen bereits. Auch Spenden per SMS sind seit gestern möglich.

Im Fanbeirat wird damit gerechnet, dass bis heute etwa 20 000 Euro zusammenkommen. „Ich hoffe, dass es mehr wird“, sagt Maik Dudzak, der gestern Abend auch seine Pfandflaschen zum Rathaus brachte. Schon im Jahr 2003, als Babelsberg erstmals in die Insolvenz rutschte, sammelten die Fans rund 25 000 Euro, sagt Dudzak. Angesichts der heutigen Vernetzung via Facebook gelte es die Marke zu knacken. Von der Resonanz und der Solidarität im Netz wurde der Fanbeirat überrascht. „Wir Fans tun alles, um Babelsberg zu retten“, sagt Dudzak. Die Spendenaktion soll ein Zeichen an Politiker und Sponsoren sein: „Jetzt seid ihr gefragt!“

Immerhin: Die Rettung des Vereins wird auch in der Stadtpolitik diskutiert. In einem Dringlichkeitsantrag fordert die FDP, dem Verein 350 000 Euro zur Verfügung zu stellen. Das Stadtparlament soll dazu nächsten Mittwoch tagen. Dass die Fans das Millionenloch aus eigener Kraft stopfen, scheint unmöglich. „Unser vorrangiges Ziel ist es, die Klasse zu halten“, sagt Dudzak. Sollte das nicht gelingen, will man zumindest das Überleben in der Regional- oder Oberliga sichern.

Abseits dessen suchen die Fans selbst nach weiteren, kreativen Möglichkeiten, ihre Rücktrittsforderung an den Vorstand durchzusetzen und Geld für den Verein aufzutreiben. Am morgigen Samstag ist um 12 Uhr ein Demonstrationsmarsch vom Babelsberger Rathaus geplant. Unter dem Motto „Farbe bekennen“ sind alle Vereine der Stadt eingeladen. Am Samstagnachmittag soll es am Karl-Liebknecht-Stadion ein Fanfest geben. Rex-Pils hat fünf Fässer Bier gespendet, die Band „Kumpelbasis“ wird den neuen Stadionsong spielen – die Erlöse sollen dem Verein zugute kommen. Um 22 Uhr ist im studentischen Kulturzentrum Kuze eine Soli-Veranstaltung geplant. Im gesamten Stadtgebiet sollen Abreißzettel mit dem Spendenaufruf verteilt werden. Am Sonntag heißt es außerdem ab 10 Uhr „Kicken für Nulldrei.“ Vereine aus der gesamten Region können auf der Sandscholle für das Startgeld von 1903 Cent für die Rettung Babelsbergs spielen.

Weitere 25 Cent hat gerade Christian Lichte dem SVB vermacht. Noch ein Schluck und die Bierflasche ist leer. Einen ganze Rucksack voller Flaschen hatte der Fan gestern Abend zum Babelsberger Rathaus gebracht. „Das waren bestimmt 50 Flaschen, aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Lichte. Deshalb hat er schon am Vormittag zusätzlich 100 Euro überwiesen, ins Handy tippt er gerade eine Spenden-SMS. „Man muss möglichst viele animieren zu spenden, nur so wird es uns bald noch geben.“

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