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Gegen den Strom. Olympiasiegerin Conny Waßmuth paddelt in der Potsdamer Anlage, die in dieser Art weltweit einmalig ist.

© Andreas Klaer

Potsdamer Kanu-Rennsport: Puzzleteil aus sausendem Wasser

Es ist ein außergewöhnliches Relikt aus der DDR-Zeit: Die Kanu-Gegenstromanlage am Potsdamer Luftschiffhafen gilt als "Technikwunderwerk". Doch der Zahn der Zeit nagt an ihn. Daher wird die Sportstätte nun für einen siebenstelligen Betrag umfangreich saniert.

Von Tobias Gutsche

Ruhe ist wieder eingekehrt. Die große Schar an Politikern und Sportfunktionären hat die Räumlichkeiten der Kanu-Gegenstromanlage im Potsdamer Luftschiffhafen verlassen, die Maschinen sind abgestellt, das Wasser im zehn Meter langen, vier Meter breiten und einem Meter tiefen Becken liegt spiegelglatt da. „So, das war es dann erst einmal“, sagt Detlef Winkler. Der Trainingswissenschaftler des Olympiastützpunktes Brandenburg (OSP) sitzt auf der steinernen Umrandung und schmunzelt: „Nun kann der Stöpsel gezogen werden.“

Denn die Anlage wird in den nächsten Monaten einer Komplettsanierung unterzogen. Fast 1,4 Millionen Euro sind dafür veranschlagt, wovon der Bund als wichtigster Geldgeber des deutschen Spitzensports 70 Prozent übernehmen soll. Das Land Brandenburg steuert knapp 268.000 Euro bei – Sportministerin Britta Ernst übergab am Montag den entsprechenden Fördermittelbescheid an Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (beide SPD), aus dessen kommunalen Finanztopf rund 116.000 Euro in die Erneuerung der Trainingsstätte gehen. „Das tut Not. Die Anlage ist in die Jahre gekommen“, sagt Detlef Winkler. Zuletzt gab es vor 25 Jahren eine umfangreiche Modernisierung.

Bis zu 23,4 Stundenkilometer möglich

Mit der Entwicklung des Kanals begannen DDR-Wissenschaftler und -Techniker 1978, ab 1980 wurden die Pläne in die Tat umgesetzt und es entstand ein Unikat. „Weltweit ist uns bisher nur eine andere Anlage solcher Art bekannt. In Japan.“, betont der OSP-Mitarbeiter. „Aber die funktioniert nach einem anderen Prinzip.“ In Potsdam sorgen Elektromotoren und zahlreiche weitere technische Elemente für ein „vertikales Strömungsbild“, wie er an einem kleinen Modell zeigt. Auf eine Geschwindigkeit von bis zu 6,5 Metern pro Sekunde – macht 23,4 Stundenkilometer – können die 375.000 Liter Wasser beschleunigt werden. „So hoch gehen wir in der Regel nicht, weil selbst die besten Sportler nur kurzzeitig ordentlich dabei paddeln können.“

Für Conny Waßmuth sind gerade 3,5 Meter pro Sekunde eingestellt. Die Olympiasiegerin ist über eine Leiter ins Kajak geklettert und demonstriert Britta Ernst, Jann Jakobs sowie den weiteren Gästen das Training im Kanal. Ein Metallarm fixiert ihr Boot an der Spitze, dazu trägt sie ein Sicherheitsseil am Oberkörper – Vorkehrungen, um gefährliche Stürze ins sausende Wasser zu vermeiden beziehungsweise glimpflich ausgehen zu lassen. Was die 35-Jährige leistet, wird durch zahlreiche technische Anzeigen ausgespielt. Puls, Frequenz und Kraftwerte, die mittels Sensoren am Paddel gemessen werden, sind auf Monitoren zu sehen, dazu ein Live-Fernsehbild, mit dem sie die eigene Technik begutachten kann. Und direkt vor ihr ein Leuchtbalken: unten rot, mittig grün, oben gelb. „Sie muss in den grünen Bereich kommen. Dann paddelt sie frei gegen den Strom und wird nicht mehr von der Halterung unterstützt“, erzählt Ralph Welke.

Leistungsdiagnostik und Training im Schichtbetrieb

Der Trainer weiß um die Bedeutung, der Anlage, die am Luftschiffhafen zur Verfügung steht. „Vor allem für die Diagnostik ist sie enorm wertvoll“, meint er. Im Dezember und März kommen Kadersportler aus ganz Deutschland nach Potsdam, um ihren Leistungsstand, Defizite und Entwicklungen zu ermitteln. Bei stets gleichen Bedingungen. Kein Wind, keine Wellen, keine zu hohen oder zu niedrigen Außentemperaturen. „Quasi ein Labortest“, sagt Ralph Welke. „Draußen kann man das nicht so verlässlich analysieren.“ Damit ist die Gegenstromanlage ein wichtiges Puzzleteil für den Erfolg von Deutschlands Kanuten. Seit 1992 wurden auch dank dieser Stätte 49 olympische Medaillen – 26 davon in Gold – durch den Deutschen Kanu-Verband (DKV) eingefahren, hat DKV-Sportdirektor Jens Kahl gezählt. Vielfach waren Potsdamer Aktive beteiligt.

Nicht zuletzt, weil ihnen der Kanal auch für das Training und nicht nur für die Überprüfungen zur Verfügung steht. Im Winter, wenn es zu kalt oder der Templiner See gar zugefroren ist, paddeln die Top-Athleten halt drinnen. Dann herrscht Schichtbetrieb, weil immer nur ein Boot ins Wasser gelassen werden kann – Einer und Zweier im Kajak oder Canadier sind möglich. Coach Welke: „Bis zu eine Stunde läuft eine Einheit. Ist ein Sportler durch, kommt der nächste. Die Anlage ist durchaus von 7 bis 19 Uhr im Betrieb.“

Wiederinbetriebnahme für Ende 2018 geplant

Für die Potsdamer sei es ein „absolutes Privileg“, ein derartiges „Technikwunderwerk“ vor Ort zu haben, findet Conny Waßmuth. Ihr Demonstrationstraining für die mittlerweile bereits weitergezogenen Politikbesucher ist vorbei, ein Mix aus Schweiß- und Wassertropfen rinnen auf der Haut der sechsfachen Weltmeisterin. Aus Athletensicht lobt sie insbesondere die ständige Kontrolle der Leistungsparameter im Kanal: „Du kannst sofort reagieren, wenn etwas nicht passt.“ Und zudem werde eine bedeutsame Fähigkeit geschult, wenn man gegen den Strom paddelt. „Es gibt ein vorgegebenes Tempo. Du wirst also gefordert, gleichmäßig, kontinuierlich zu fahren“, sagt sie. „Draußen fallen kleine Durchhänger nicht ganz so auf – hier werden sie gleich vor Augen geführt.“ Wenn man eben nicht im grünen Bereich liegt.

Den steuern Waßmuth & Co. auch Richtung Olympia 2020 an. Dabei sollen sie rechtzeitig auf ihren sanierten Strömungskanal setzen können. DKV-Sportdirektor Jens Kahl plant mit einer Wiederinbetriebnahme im Dezember. Also zu Beginn der Saison 2019, jener, in der die meisten der olympischen Quotenplätze für Tokio vergeben werden.

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