zum Hauptinhalt
Der Taktikflüsterer. Alexander Haase (l.) ist an der Seite von Bundestrainer Christian Prokop der Navigator für das deutsche Spiel.

©  Philipp Szyza/imago

Potsdam und die Handball-WM 2019: „Wir müssen es konsequenter machen“

Der Potsdamer Alexander Haase wurde als Co-Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft Vierter bei der Heim-WM. Jetzt spricht er über das Turnier und den Schwung für seinen Sport.

Herr Haase, wie ist Ihre Gefühlswelt knapp eine Woche nach Ende der Weltmeisterschaft, bei der die deutsche Nationalmannschaft Millionen Deutsche so begeistert hat und sich am Ende mit Tränen der Enttäuschung verabschiedet hat?

Ich habe auf der Heimfahrt aus Herning ein Zeitungsinterview gegeben, das mit dem Titel überschrieben war: „Die Enttäuschung ist riesengroß.“ Ich dachte bei der Autorisierung, dass das nicht die Überschrift sein kann. Aber die Enttäuschung bei mir ist schon sehr groß. Ich weiß, dass es nicht so leicht ist, eine Medaille bei einer Weltmeisterschaft zu gewinnen, aber die Chance hatten wir auf jeden Fall. Aber das müssen wir jetzt akzeptieren. Das Halbfinale ist eine Riesen-Leistung, wenn du dort stehst, kannst du Erster werden, oder eben auch Vierter. Zwischen den besten Mannschaften der Welt ist es eben eng.

Was sind die Unterschiede zum Weltmeister Dänemark?

Mit Dänemark habe ich mich gar nicht so intensiv beschäftigt, weil die in der Vor- und Hauptrunde nicht unser Gegner waren. Was die Dänen natürlich auszeichnet, ist die Zirkulationsgeschwindigkeit des Passspiels. Das machen sie besser als alle anderen. Und man hat das Gefühl, dass die ohne jeden Zweifel spielen. Sie machen ihr Spiel, egal ob zwischendrin mal ein oder zwei Fehler passieren. Davon lassen sie sich nicht aufhalten. Sie sind absolut von sich überzeugt, dass das, was sie machen, richtig und das Beste ist.

Mit Dänemark, Vize-Weltmeister Norwegen und Schweden sind drei skandinavische Teams unter den Top 5 dieser WM. Ist die von Ihnen beschriebene Überzeugungskraft eine skandinavische Tugend?

Das weiß ich nicht. Aber wie gesagt, bei den Dänen ist mir besonders aufgefallen, dass sie sehr bei sich bleiben und wahnsinnig von ihrer Stärke überzeugt sind.

Haben Sie einen Einblick in die Nachwuchsarbeit des dänischen, beziehungsweise skandinavischen Handballs?

Es gibt sicher Unterschiede zu Deutschland. Aber sie haben genauso Leistungszentren wie wir auch. Ich habe mit einer VfL-Jugendmannschaft vor einiger Zeit ein Trainingslager in Viborg gemacht, wo Fußball, Handball und weitere Sportarten in einem großen Komplex wie hier im Luftschiffhafen oder in Berlin und Magdeburg angesiedelt sind.

DHB-Vizepräsident Bob Hanning (l.) und Alexander Haase sind auch über ihre kooperierenden Vereine Füchse Berlin und VfL Potsdam verbunden. 
DHB-Vizepräsident Bob Hanning (l.) und Alexander Haase sind auch über ihre kooperierenden Vereine Füchse Berlin und VfL Potsdam verbunden. 

© Soeren Stache/dpa

Nach dem Halbfinal-Einzug der deutschen Handballer soll in der Geschäftsstelle des VfL Potsdam das Telefon nicht mehr stillgestanden haben, weil Eltern ihre Kinder zum Training anmelden wollen. Demnach scheint das eine ausgegebene Ziel erreicht, eine Begeisterung für den Handballsport zu entfachen.

Ich selbst verfolge während eines Turniers überhaupt nicht, was in den Medien geschrieben wird. Aber allein die Stimmung in den Hallen war der Wahnsinn. Ich glaube schon, dass wir eine Begeisterung entfacht haben. Ich habe eine schöne Nachricht von einem Freund aus Babelsberg bekommen, in der er erzählt hat, dass er mit seinem Sohn auf dem Spielplatz war und ein anderer Junge meinte: „Komm, wie spielen jetzt Handball und ich bin Pekeler.“ Er wollte nicht Mesut Özil oder Bastian Schweinsteiger sein, sondern ein Handball-Nationalspieler. Das ist auf jeden Fall ein Zeichen. Ob das dauerhaft so sein wird, kann ich nicht sagen.

Sie sind Lehrertrainer an der Potsdamer Sportschule und auch Vizepräsident des Brandenburgischen Handballverbandes. Was ist zu tun, damit die Begeisterung anhält und der Zuspruch für den Handballsport dauerhaft bleibt?

In Brandenburg haben wir im Vergleich zum bundesweiten Trend keinen Mitgliederschwund und kaum einen Rückgang an Mannschaften. Aber es ist ein Problem, dass Handball generell aus dem Schulsport verbannt ist. Wir müssen Mittel und Wege finden, wie wir das Spiel im Grundschulbereich etwas modifizieren – mit weichen Bällen, mit Überzahlspiel im Angriff, damit es nicht so viele Zweikämpfe gibt und das Passspiel geübt wird. Und auch, wenn wir aktuell eine Nachfrage ausgelöst haben, muss der Sport – vielleicht mit Ausnahme von Fußball – zu den Kindern hin. In Potsdam, Oranienburg und anderen Städten funktionieren die Kooperationen mit Grundschulen bereits sehr gut. Ein weiterer wichtiger Schlüssel sind gute Jugendtrainer, die es schaffen, Kinder zu binden. Gerade im jungen Alter spielen die Persönlichkeit und Begeisterungsfähigkeit eines Trainers eine entscheidende Rolle, ob Kinder dabeibleiben. Davon bin ich fest überzeugt.

Sehen Sie in Zukunft einen VfL-Handballer in der Nationalmannschaft?

Ja! Aber ich werde jetzt keinen Namen nennen. Wir hatten in den vergangenen Jahren immer Einladungen in die Jugend-Nationalmannschaften. Wir müssen nur akzeptieren, so wie bei Fabian Wiede und Fabian Böhm, dass sie das nicht bei uns, beim VfL, machen können. Aber es tut unserem Verein gut, wenn ihre Namen immer wieder mit uns in Verbindung gebracht werden.

In den beiden WM-Wochen ist vor allem in den lokalen Medien viel über das Potsdamer Trio geschrieben worden – über Sie als sportlichen Leiter des VfL Potsdam sowie Fabian Böhm und Fabian Wiede, die beim VfL groß geworden sind. Haben Sie während eines Turniers eine besondere Beziehung zu den beiden Spielern, die Sie von der Jugend auf kennen?

Ja, ich denke schon. Aber wir sind ja in einem großen Tross unterwegs, sodass man wenig Zeit hat, mit ihnen das ein oder andere Wort mehr zu sprechen. Es ist eher eine emotionale Verbindung für mich. Generell waren und sind wir ein verschworener Haufen, was sicher auch deutlich geworden ist.

Der Teamspirit und das Standing von Bundestrainer Christian Prokop, der nach der letztjährigen EM in der Kritik stand, gelten für viele Beobachter als Gewinn dieser WM. Sie haben vor dem Turnier gesagt: „Wir haben Großes vor!“ Wie groß ist es denn geworden?

Natürlich hätten wir alle gern eine Medaille gewonnen und wären gern Weltmeister geworden. Wir akzeptieren aber, dass andere Mannschaften besser waren und das an den Spieltagen auch gezeigt haben. Aber Großes haben wir geschafft, indem das Halbfinale zwölf Millionen Menschen in Deutschland geschaut haben und wir bei Leuten unterschiedlichen Alters eine Begeisterung ausgelöst haben, die bislang vielleicht noch gar nicht so einen großen Bezug zum Handball hatten. Und mit unserer Art, Handball zu spielen und zu kämpfen, haben wir offensichtlich etwas bedient, wonach man sich in Deutschland gesehnt hat: Es war ja offensichtlich der Bedarf da, so etwas zu sehen. Wir haben in die Waagschale geworfen, was wir gut können und das hat offenbar begeistert.

Was muss passieren, um im kommenden Jahr bei den Olympischen Spielen tatsächlich eine Medaille zu gewinnen?

Wir waren gegen Norwegen im Halbfinale und gegen Frankreich im Spiel um Platz drei, vielleicht auch bei den beiden Unentschieden in der Vorrunde gegen die Franzosen und gegen Russland in den entscheidenden Momenten nicht cool genug. Diese Überzeugung, wie sie die Dänen haben und die sich nicht implantieren lässt, muss wachsen in den nächsten anderthalb Jahren. Das, was wir machen, ist gut und richtig, wir müssen es nur noch konsequenter und überzeugter machen.

Gefragt. Als Co-Trainer der deutschen Mannschaft stand Alexander Haase im bundesweiten Fokus der Öffentlichkeit. 
Gefragt. Als Co-Trainer der deutschen Mannschaft stand Alexander Haase im bundesweiten Fokus der Öffentlichkeit. 

© Soeren Stache/dpa

Sie selbst schildern das Wahnsinns-Gefühl, in einer vollen Halle angefeuert zu werden, berichten von Jungs, die "Pekeler" und Co. sein wollen. Warum halten Sie es in Zeiten, in denen der Stellenwert des Sports häufig in Frage gestellt wird und nur für den Moment einer medialen Aufmerksamkeit während einer WM oder Olympischer Spiele Begeisterung erfährt, dennoch für empfehlenswert, dass sich junge Menschen für den Leistungssport entscheiden?

Weil ich glaube, dass der Leistungssport hilft, verschiedene Eigenschaften einer Persönlichkeit herauszubilden, wie es vielleicht nur der Leistungssport kann. Das Arbeiten an Zielen, auf etwas Großes ausgerichtet sein. Als Team zusammenzuarbeiten, wie in unserer Sportart Handball, und gleichzeitig persönliche Ziele verfolgen. Was in der heutigen Zeit etwas verloren geht, ist das Dranbleiben an einer Sache. Leistungssportler bist du nicht für drei Monate oder nur für ein Jahr. Leistungssport heißt, eine Ausdauer zu entwickeln, für etwas, was man gern macht. In der heutigen Zeit werden die Aufmerksamkeitsspannen ja immer kürzer, weshalb ich es für junge Menschen erstrebenswert halte, etwas zu finden, an dem man langfristig festhalten und arbeiten kann. Eine Hartnäckigkeit zu entwickeln, was ja beinhaltet, dass es auch mal hart und nicht immer schön ist.

ZUR PERSON: Alexander Haase (42) ist seit Ende 2014 Co-Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft, mit der er 2016 Europameister und Olympiadritter wurde. Am vergangenen Sonntag schloss er mit Team Deutschland die Heim-WM auf Platz vier ab. In Potsdam ist er als Lehrertrainer an der Sportschule sowie als sportlicher Leiter des VfL Potsdam tätig. Der ehemalige Zweitliga-Spieler ist zudem Vizepräsident des Handballverbandes Brandenburg.

+++ Ditte Liga: Adler in Altenholz +++

Schwere Aufgabe für die Drittliga-Handballer des VfL Potsdam: Am Samstag treten die Adler beim Top-Team TSV Altenholz an (Beginn: 19.30 Uhr). Der norddeutsche Verein, der mit dem Deutschen Rekordmeister THW Kiel kooperiert, gehört seit Jahren zu den Besten in der 3. Liga Nord und rangiert auch aktuell weit oben im Klassement – Platz drei. Potsdam ist Sechster. Das Hinspiel verlor der VfL knapp 32:34. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false