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Sport: „Ich habe letztlich alles richtig gemacht“

Babelsberg-03-Mannschaftskapitän Marian Unger über Leistungsaufschwung, sein 100. Punktspiel und die mögliche Zukunft des Vereins

Marian Unger, Ihre Mannschaft hat am Dienstagabend nach dem sehenswerten 4:1-Sieg über den FC Carl Zeiss Jena noch im Karl-Liebknecht-Stadion zusammengesessen und bei einem Bier gegrillt. Wie lange wurde denn gefeiert?

Ich selbst bin so gegen 0.30 Uhr los.

Wurde auch auf den Klassenerhalt des SV Babelsberg 03 in der 3. Liga angestoßen?

Ja, irgendwie haben wir schon den Schritt Richtung Klassenerhalt gefeiert.

Wie viele Punkte wird Babelsberg in den letzten vier Spielen dieser Saison noch holen?

Noch fünf, hoffe ich. Beispielsweise durch einen Heimsieg am nächsten Freitag gegen Dynamo Dresden.

Am Ostersamstag bestreiten Sie beim 1. FC Heidenheim erst einmal Ihr 100. Punktspiel für Babelsberg 03. Was ist dort drin?

Für uns ist derzeit alles möglich. Heidenheim hat keinen Druck mehr, wir auch nicht – das kann ein schönes Spiel werden. So gut, wie wir momentan drauf sind, ist es schwer, uns zu schlagen.

Wie wird das Jubiläum in Heidenheim für Sie sein?

Keine Ahnung. Vor Babelsberg gab es noch keine Mannschaft, für die ich so ein Jubiläum hatte. Ich werde nach dem hoffentlich erfolgreichen Spiel dort auf der Rückfahrt oder dann hier zu Hause der Mannschaft noch etwas springen lassen.

An welche Ihrer bisherigen 99 Punktspiele seit Sommer 2008 erinnern Sie sich besonders gern?

Unabhängig vom nun anstehenden Jubiläum gleich an das allererste Pflichtspiel im DFB-Pokal zu Hause im vollen Karli gegen Mainz. Ich weiß noch, wie ich in der Verlängerung einen Kopfball von Bancé noch rausholte und mich richtig auf die anstehende Saison freute. In der war dann unser Spiel in Magdeburg ein Höhepunkt. Alme (Almedin Civa/d. Red.) hat mir damals nach dem 1:1 das Trikot ausgezogen und es in die Fankurve gehängt. In der vergangenen Saison war es die Partie in Wolfsburg, in der wir beim 0:0 nicht den besten Tag hatten, ich aber einen Punkt festhalten konnte.

Und welche Ihrer Spiele sehen Sie selbst als Ihre schlechtesten an?

Unser Heimspiel gegen Kiel in meinem ersten Jahr hier in Babelsberg, da haben wir beim 1:2 zwei unglückliche Tore bekommen. Aus der vergangenen Saison habe ich kein negatives Spiel im Kopf, aus diesem Jahr die Spiele in Stuttgart, Bremen und das 0:4 zu Hause gegen Unterhaching. Das war der Tiefpunkt.

Danach war Ihre Mannschaft tief im Tabellenkeller – nun plötzlich ist der SVB praktisch alle Abstiegssorgen los. Wie erklärt man sich das?

Wir hatten schon in der Hinrunde eine gewisse Spielstärke, wenn es wirklich darauf ankam. Das ging dann zwischenzeitlich ein bisschen verloren. Als es im Spiel bei Bayern München II aber um Sekt oder Selters ging, haben wir genau dabei die Kurve bekommen und gewonnen. Und mit dem aus diesem wichtigen Sieg resultierenden Selbstvertrauen konnten wir nochmal eine Schippe drauflegen und danach zu einem tollen Fußball finden.

Auch Sie selbst standen mit Ihrer Leistung zwischenzeitlich in der Kritik. Wie sehen Sie im Nachhinein diese Phase?

Nach den zwei guten Jahren war mit dem Aufstieg für mich erst einmal sehr sehr viel Arbeit erledigt. Ich hatte viel Kraft und volle Konzentration in dieses Ziel Dritte Liga investiert. Und danach war das sofortige Fixieren auf den Klassenerhalt bei mir wohl eine noch nicht so ausreichende Motivation, um zur Leistung der Vorjahre zurückzufinden. Ich spielte mal besser, mal schlechter. Der Tiefpunkt für mich persönlich war dann Unterhaching. Danach bin ich nach Hause gegangen und habe zu meiner Freundin gesagt: Pass auf, Annett, ich bin raus, am Wochenende wird der Trainer umstellen. Er muss das, er muss sich etwas einfallen lassen und mit mir beginnen. Ich war nicht einmal böse darüber. In der Trainingswoche habe ich aber wieder eine gute Leistung abgeliefert, so dass ich am Freitag in München doch dachte: Wäre schade, wenn du jetzt nicht spielst. Da war der Ehrgeiz bei mir zurück, und er wurde am Samstag beim Gespräch des Trainers mit mir nochmal richtig geweckt. Er fragte: Was ist jetzt mit Dir, Junge? Und ich sagte: Trainer, ich hoffe, Sie geben mir nochmal die Chance, das auszuwetzen und mit der Mannschaft die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Von diesem Tag an habe ich diesen Ehrgeiz und Elan, der mir unbewusst vorher gefehlt hat, wiedergefunden.

Wie gehen Sie mit öffentlicher Kritik an Ihrer Leistung um?

Kritik gehört dazu und stört mich nicht. Ich bin durchaus ein Stück weit selbstkritisch und werte Fehler mit meinem Torwarttrainer Sebastian Rauch aus. In der Strafraumbeherrschung beispielsweise bin ich zu brav, zu ballfixiert.

Nulldrei hat vier Spieltage vor Schluss schon 43 Punkte auf dem Konto. Ehrlich – haben Sie damit gerechnet?

Wir als Mannschaft und unser Trainerteam waren von Anfang an davon überzeugt, dass wir die Klasse halten – egal wie. Dass es unterm Strich schon jetzt so gut aussieht, hätte aber keiner gedacht. Von anderen Spielern höre ich oft: Krass, was ihr aus euren Verhältnissen und Bedingungen macht. Dann kann ich auch immer nur sagen: Es ist schon erstaunlich, wie wir das hier schaffen.

Inwiefern?

Das Schlimmste ist, dass man gerade im Winter manchmal nicht mehr von der Couch hochkommt. Nicht weil einen die Trainingsarbeit fertig gemacht hat, sondern weil man als Torhüter den Körper über Erde schleifen musste und die Ellenbogen dick sind. Ich habe vorher noch nie erlebt, dass ich im März mit Ellenbogenschützern und Kunstrasenschuhen auf dem Trainingsplatz rumlaufen muss, weil kein Rasen mehr darauf ist. Das ist es, was einen stört. Das ist eigentlich auch der einzige Kritikpunkt, bei dem ich mich persönlich immer mal wieder frage: Warum fühlst du dich hier so wohl?

Warum denn?

Weil mittlerweile viel Herzblut von mir hier drinsteckt. Das ist ja Babelsbergs Faustpfand: Dass dieser Wohlfühlfaktor bei vielen Spielern hier einsetzt. Andererseits aber denke ich mir: Muss ich mir das noch Ewigkeiten antun? Dem Verein geht es immer so gut, wie es der ersten Mannschaft geht. Und ich bin der Meinung, dass man das hier noch nicht verstanden hat.

Wie sehen Sie die Zukunft des SVB 03?

Auf längere Sicht müssen, wenn der Verein die Klasse halten möchte, Strukturen geschaffen werden. Ich hoffe, dass der Trainer einen gewissen Etat bekommt, um wieder eine schlagkräftige Mannschaft für die kommende Saison zusammenstellen zu können. Es wird sehr schwer im zweiten Jahr. Daher hoffe ich, dass sich der Verein auch so schnell wie möglich um vernünftige Trainingsbedingungen bemüht. Wenn ich mir vorstelle, bei der Vorbereitung für die neue Saison durch die Gegend fahren zu müssen, sind das wieder völlig unnötige Störfaktoren, die wir uns selbst machen. Ich hoffe, dass der Verein so clever ist und langsam mal daraus lernt.

Besteht die Gefahr, dass die Mannschaft im Sommer auseinanderfällt?

Jein. Der große Vorteil ist, dass sich viele Spieler hier wohlfühlen. Auf der anderen Seite fragen sich viele Spieler: Wozu soll ich hier jedesmal in den Wintermonaten mit dicken Füßen und Leistenproblemen von den Plätzen kommen? Das dickste Geld verdient man hier auch nicht, daher ist es eine Fifty-Fifty-Geschichte. Mit dem Wohlfühlfaktor, denke ich, wird es aber möglich sein, wieder eine tolle Truppe zusammenzubekommen. Der Verein kann nicht mehr ausgeben als er hat, aber ich denke, dass die Möglichkeiten drum herum nicht ausgeschöpft sind. Man kann aus Babelsberg mit einem neuen Stadion und guten Bedingungen eine tolle Drittliga- Mannschaft machen, so dass Spieler gern hierher kommen, denn Geld ist nunmal nicht alles. Wenn man den gewünschten Stamm wirklich behält, ist in dieser Mannschaft viel Potenzial mit Verbesserungsmöglichkeiten. Unser Trainer hat schließlich ein Händchen für Leute.

Sie haben noch einen Vertrag bis 2012.

Ich hatte von vornherein einen Vertrag von zwei Jahren für die Dritte Liga.

Wie sehen Ihre sportlichen Ziele aus? Wo soll es noch hingehen?

Ich gehe mal davon aus, dass ich bleiben werde. Zum einen habe ich noch einen Vertrag, zum anderen müsste mich eine andere Aufgabe schon sehr reizen. In der Dritten Liga zu wechseln macht für mich nicht viel Sinn, ebenso wenig ein höherklassiger Verein, wenn ich dort nur auf der Bank sitze. Es gibt nicht viele Gründe, warum ich dieses Jahr nicht in Babelsberg bleiben sollte. Dann ist Zeit, alles neu zu ordnen. Mit 28 bin ich dann in einem guten Torwartalter mit zwei guten Regionalliga- und hoffentlich zwei grandiosen Drittliga-Jahren.

Haben Sie 2008 damit gerechnet, hier mal auf Ihr 100. Punktspiel zurückzublicken?

Das nicht. Aber als ich noch in Neuruppin spielte, habe ich mal hier in Potsdam einen Freund besucht. Damals saßen wir in der Nähe des Café Heider und ich sagte zu ihm: Mensch, Potsdam ist eine so schöne Stadt, dazu Babelsberg mit dem kleinen, niedlichen Stadion. Wenn ich hier Zweite Liga spielen würde, wäre das eine Station, die ich wohl Ewigkeiten mitmachen würde. Nun sind wir in der Dritten Liga, und die hat ja auch einen gewissen Stellenwert. Ich habe mich ja damals auch bewusst für Babelsberg entschieden, weil ich daran geglaubt habe, dass ich mich hier wohlfühle, und bin nicht beispielsweise nach Chemnitz gegangen. Ich habe damit letztlich alles richtig gemacht.

Vom Sport noch zu einem anderen Thema, mit dem Babelsberg 03 derzeit in den Schlagzeilen steht: Was sagen Sie zu Mittelfeldspieler Süleyman Koc, der wegen des Verdachts, an Raubüberfällen auf Automatencasinos in Berlin beteiligt gewesen zu sein, seit Dienstag in Untersuchungshaft sitzt?

Sülo ist ein sehr zuvorkommender Mensch, der mir persönlich als Kapitän immer unglaublich viel Respekt entgegengebracht hat. Man bekommt natürlich trotzdem mit, dass bei ihm daheim in Berlin ein gewisses Klientel vorherrscht, was man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann. Es ist daher nicht so, dass ich jetzt zu Hause darüber nachdenke und sage: Wie kann das denn sein? Es ist aber so schade, wenn die Anschuldigungen stimmen, was ich immer noch nicht hoffe, weil ich sie dem Jungen nicht zutrauen möchte. Er könnte so viel Schöneres erreichen, weshalb es mich menschlich viel mehr enttäuscht als sportlich.

Mit dem 4:1 am Dienstagabend auf dem Platz hat die Mannschaft das Thema vergessen lassen.

Das ist im Fußball aber gang und gäbe. Wir hatten im Fußball eine Zeit das Thema Robert Enke, als alle sagten: Jetzt müssen wir mehr zusammenrücken und diese Leistungsgesellschaft mal kritischer hinterfragen. Im Fußball ist für solche Geschichten aber gar kein Platz. Da erfährst du so etwas wie mit Sülo vor dem Training in der Sitzung, und dann musst du auf den Platz und Leistung bringen. Da musst du spielen, du willst die Klasse halten. Da steckt so viel hinter, dass du als Fußballer gar nicht so sensibel bist für solche Geschichten.

Aufgezeichnet von Michael Meyer.

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